Harald Kappel: BlauWeißNahsehen

irgendwo am Meer
wo’s warm ist
Bewegungen der Körper
Lampe aus
Lampe an
zwei Farben begegnen sich
blaue Tablette im Magen flau
weiße im Glas 
zusammengefügtes Warten
auf nassem Laken
im Zimmer
ein stummer Fernseher
die Wände voller geheimer Gedanken
draußen die Volksmenge
tobt
ein strömendes Grau
in Erwartung des Augenblicks
im Zimmer
Schneefall in der Wüste
draußen lärmende Mehrheiten
Bewegungen des Hauptstroms
im Zimmer
ein stummer Schrei

Harald Kappel: SchwarzWeißFernsehen

inmitten der Arbeit der Nacht
bade ich im Schwarzen Gold
die rauchigen Schlote
werfen Ungemach auf Unterwäsche und Laken
dunkle Schwerkraft
durchdringt unsere private Stille
das Dich und Mich
Käfer fallen im Novemberdunst
in die Kälte des nebligen Wassers
das letzte Grubenpferd lahmt
auf dem Heimweg
die Augen gewöhnen sich
an seine Langeweile
mein Fernseher schreit
in den meisten Ohren wächst wildes Grün
ich will es nicht hören
verdammter Mond
halbfertige Novembernacht
in den Kanälen rauschen Worte
erwartet 
und blöd 
ein dünner Draht 
verbindet die Unterwelt
mit der katholischen Messe
in eigenen Binnenmeer
sprechen Fische
unerwartet
der Neubau der Sprache
hellt die seltsame Befindlichkeit auf 
und ich sehe
in der Arbeit der Nacht
ungestrichene Sinnlosigkeit
nur
wer hilft dem Grubenpferd
auf dem Heimweg
zu sich selbst?
Du?
Ich?
nicht 

Elmar Tannert: Ins Land der Franken fahren

In den guten alten Zeiten klang das Wort „Budget“ nicht nur französisch-elegant, sondern durch das gedehnte „e“ am Schluss auch sehr großzügig: „Büdschee“. Im Zuge der Anglisierung Europas ist auch sein Stiefzwilling von der Insel bei uns bekannt geworden, den man genauso schreibt, aber barsch bellend „Batschitt“ spricht. Bezeichnenderweise hat sich das englische Batschitt in Koppelung mit dem Wort „low“ verbreitet, mit Vorliebe im Jargon der Cineasten. Ein low budget-Film ist, wie wir wissen, ein Film, der mit einem Minimum an materiellem Aufwand gedreht wurde.
Inzwischen sind wir soweit, dass Batschitt das „low“ gar nicht mehr braucht, um billig zu klingen. Eine Hotelkette hat dies als erstes bemerkt und flugs das Wort mit ihrem Namen kombiniert, und nun prangen die zwei Wörter, Hotelname plus Batschitt, an vielen grauen Gebäuden, die sozialistischen Plattenbau-Charme versprühen und oftmals in Gewerbeparks an Stadträndern auf verzweifelte Reisende mit schmalem Geldbeutel lauern – Leute wie mich also.
Die Gründe zu nennen, weshalb ich in Würzburg übernachten musste, und dies möglichst preisgünstig, würde hier zu weit führen. Kommen wir lieber gleich zur wesentlichen Feststellung, die ich etwa so umreißen würde: Ein solches Ausmaß an Trostlosigkeit auf gleichbleibend hohem Niveau, vom abendlichen Empfang am Rezeptionsautomaten bis zum industriell vorfabrizierten Frühstück, hatte ich für meine bescheidenen fünfzig Euro weder erwartet noch bisher so erlebt, nicht einmal in den Ländern, die man früher unter „Ostblock“ subsumierte. Um diesen Effekt zu erzielen, greift die Leitung des Hauses zu allen Mitteln. Ist man etwa nach Eingabe diverser Geheimzahlen ins Innere des Hauses vorgedrungen, oder, mit anderen Worten: Hat man per Kreditkarte das Zimmer bezahlt, ohne vorher prüfen zu können, wofür man sein Geld ausgibt, wird man bunter Broschüren ansichtig, die sich mit liebevoll ausgewählten Abbildungen der Würzburger Altstadt als besonders wirkungsvolles Kontrastmittel erweisen, um dem Gast vor Augen zu führen, in was für einer architektonischen Zweckmäßigkeitshölle er da gelandet ist.
Es fehlt dieser Sorte Hotel eigentlich nur eines: Der vollautomatische Gastroboter, der an rauhen Winterabenden noch frohgemut durch die zugigen Straßen des Gewerbeparks flaniert, um, bevor er sich zur Ruhe legt, seine Seele an den lauschigen Autowerkstätten und Speditionshöfen zu erbauen und seinen Hunger im drei Kilometer entfernten Schnellrestaurant zu stillen, und später, in seine Zelle zurückgekehrt, selig über dem Faltblatt einschlummert, das ihm eine Karriere als selbständiger Franchise-Hotelierroboter anpreist. Den menschlichen Gast dagegen versetzt die Lektüre in Weltuntergangsstimmung, denn nun hat er die Gewissheit: Dies Hotel, in dem er nächtigt, ist nicht etwa durch ein bedauerliches Versehen zustandegekommen, ist kein einmaliges Missgeschick, dessen Ausradierung kurz bevorsteht, sondern wird sich noch in unzähligen weiteren Exemplaren über die Welt verbreiten, wird Reisende mit vermeintlicher Preisgünstigkeit in Zimmer locken, aus deren Fenstern man sich stürzen möchte, und mit seiner puren Existenz den Begriff „Gastlichkeit“ verhöhnen. „Sowas lebt“, ist der letzte Gedanke des Reisenden, bevor er sich im Elend seiner sterilen Herberge, die ebenso artgerecht ist wie der Käfig einer Legebatterie, in den Schlaf weint, „sowas lebt, und das Parkhotel in Fürth musste sterben …“
Ein Batschitt-Hotel wird niemals sterben. Jeden Tag Punkt zehn Uhr vormittags, wenn der letzte Gast das Weite gesucht hat, wird es durch einen ausgeklügelten Mechanismus in die Hölle hinabgesenkt und von armen büßenden Seelen in seine Einzelteile zerlegt, mit siedendem Schwefelwasser gereinigt, desinfiziert und pünktlich zum Check-In am Nachmittag wieder zusammengesetzt und an die Erdoberfläche gehoben. So wird es mitsamt seinen Artgenossen die Zeiten überdauern, immerdar, und falls das nicht stimmen sollte, dann versteht es zumindest perfekt, den Anschein zu erwecken, als ob es so wäre.
Nichts gegen ein kleines Budget – aber vielleicht sollte man vom low budget-Film hin und wieder auch den künstlerischen Anspruch übernehmen. Damit die Realität nicht zum schlechten Film wird.