Theobald O.J. Fuchs: Waldlagebericht

Während die Lage bei den Räubern seit Jahren stabil ist, stellen die Jäger für Anlieger wie Forstwirte unvermindert ein ernstes Problem dar. Insbesondere zur Balzzeit im Frühjahr durchbrechen immer wieder einzelne Exemplare den Jägerschutzzaun und durchwühlen Schuppen, Garagen und Altglascontainer nach Schnapsresten und Baumaterialien für den rituellen Hochstand. Eine vertrauliche Studie des Ministeriums für Bildungsbürger, Illusionisten und Märchen prognostiziert, dass alleine in Süddeutschland jährlich ein Schaden von neun Festmillimetern entsteht. Eine beachtliche Menge Unterholz also.
Die Dunkelziffern sind hoch wie nie, weil sich viele Geschädigte aus Scham oder auf Grund von tödlichen Verletzungen weigern, bei der Polizei Meldung zu erstatten. Die Waldforschung steckt tiefer denn je in der demoskopischen Krise, so dass allen Anstrengungen zum Trotz bis heute nicht zuverlässig ermittelt wurde, wie viele Jäger genau sich in deutschen Forsten versteckt halten. Mehr als ein Drittel aller bayerischen Wälder sind schlechter erforscht als die Rückseite des Mondes, wie der Städte- und Gebrüder-Grimm-Tag alljährlich anprangert.
Die Population der Frauenmörder scheint sich hingegen auf einem niedrigen Niveau eingependelt zu haben. Stand vor 20 Jahren noch hinter jedem zweiten Baum ein Sexualstraftäter, der nach Einbruch der Dunkelheit auf alleine im Wald spazierende Frauen wartete, so dürfte es heute schätzungsweise nur hinter einem von zehn sein. Experten sind sich weitestgehend darin einig, dass sich die meisten  Sittlichkeitsverbrecher schlicht gegenseitig umbrachten. Irrtümlich freilich, wie das in überbevölkerten Habitaten des Öfteren vorkommt.
Als angespannt, wenn nicht kritisch gilt nach wie vor die Situation bei den Werwölfen. Zahlreiche Berichte über Schwarzschlachtungen wurden zwar bisher in keinem einzigen Fall offiziell bestätigt. Andererseits liegen die Zeugenaussagen verschiedener Rehe und Wildschweine vor, die nur knapp dem Angriff eines verwilderten Werwolfs entkommen konnten. Hierbei kann die Beurteilung der Lage nicht unabhängig vom Hexen-Vorkommen geschehen. Als natürliche Kulturfolger sind Untote, Wiedergänger und andere Teufelsbündprinzipiell im Umfeld von Hexen-Populationen zu finden, die wiederum schon vor Jahren von der UNESCO auf die rote Liste des aussterbenden Schauermärchenpersonals gesetzt wurden.
Doch es gibt auch gute Nachrichten: unabhängig voneinander ist es den Schutzverbänden im Sächsischen Ostzaubererzgebirge als auch im tiefen, tiefen Bayerischen Wald gelungen, Zigeuner-Sippen erfolgreich auszuwildern. Gerade bei den Sommertouristen ist die Beobachtung eines Lagers des »fahrenden Volkes« tief im Wald während der frühen Abendstunden, das sogenannte »gypsy watching« zur beliebten Attraktion avanciert. So gibt es mittlerweile diverse Anbieter, die mit Dämmertouren und garantierter Sichtung eines Stammeshäuptlings werben. Prospekte zeigen unscharfe, mit Restlichtverstärker geschossene Aufnahmen, auf denen jüngere Männchen und Weibchen in scheinbar grünlichen, vermutlich aber farbenfrohen Kostümen um ein Lagerfeuer tanzen. Vereinzelt werde selbst Wahrsagerei wieder in der freien Wildbahn beobachtet. Der sächsische Landesverband für Mittelalterpflege erklärte, dieser Erfolg sei ein ermutigendes Zeichen für die in nächster Zeit geplante Wiederansiedlung des gemeinen Gauklers, des trügerischen Quacksalbers, des Landsknechts sowie des nostalgischen Zonengrenzsoldaten.
Doch abgesehen von diesen sicherlich beachtlichen Fortschritten, herrscht insgesamt die Besorgnis vor, dass spätestens unsere Enkel keine Chance mehr haben werden, im Deutschen Wald ordentlich ausgeraubt, verhext oder erschossen zu werden. Es fehle, so der Sprecher des Landesverbandes, nach wie vor der politische Wille, ausreichend Kinder im finsteren Wald auszusetzen. Dies würde, wie auch in ähnlich gearteten Fällen, stets mit begrenzten personellen Ressourcen begründet. Alleine im Landesbezirk Oberpfalz, der für den bayerischen Wald diesseits der tschechischen Grenze verantwortlich ist, sind seit Jahren gut ein Dutzend Planstellen für böse Schwiegermütter unbesetzt, lediglich ein buckliger Eremit, ein Däumling und zwei Gnome sind für das gesamte Gebiet zuständig. Der Dämon »Nachwuchsmangel« schlägt auch hier gnadenlos zu. Die alte Weisheit, dass, was das Teufelchen nicht lernt, auch der Satan nimmermehr lernt, ist unverändert gültig. Als weitere Ursache nennen die Experten einstimmig den besorgniserregenden Rückgang verarmter Holzfällerfamilien mit Stiefmutterhintergrund.
Eine Stellungnahme des Bundesverbandes der Gehenkten zum Thema nachhaltiger Ansiedlung von Gespenstern lag bis Redaktionsschluss leider nicht vor. Die Geschäftsstelle des BdG ist derzeit wegen eines Trauerfalls vorübergehend nicht besetzt. Eventuell aber auch bis in alle Ewigkeit.

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