Miriam Gil: Schwarze Wolken der Erinnerung

Hier ist keine Liebe – die Leichname der Engel tanzen auf den schwarzen Wolken der Erinnerung.
Sie rauchen Zigarre und wähnen sich ihren Männern nahe –
gefallene Tote auf den Hügeln des Krieges der Welt.

Schwarzer Dunst über den Schreien der Sehnsucht –
Kälte in den Federbetten der Knaben und quälende Angst in den Fratzen der Mädchen.
Am Horizont der Traurigkeit Blicke des Todes –
Raben verschwimmen im Dunkel der Nacht und legen ein Goldstück auf die Schiene der Vergänglichkeit.

Sie laben sich an einem faulen Apfel und erheben sich elegant in den Himmel der Brüder und verlorenen Väter.
Und Schwestern singen die Lieder der Liebe und fallen zu Boden der Leidenschaft in Umarmung mit Freunden und Seelen der auf Erden verweilenden Geister.
Frost in der Höhle der Schlange – unerträgliche Hitze in den Bergen der Diamantengräbern.

Stille bei den Liebenden. Sich Küssend und Wiegenden.

Stolze Frauen schreiten den Abgrund hinab – passen die Lanzen der Ungerechtigkeit ab und verschmelzen in ihrem hitzigen Traum mit dem in der blutbefleckten Abendsonne silbern-schimmerndem Meeresschaum.
Sich bekämpfende Völker erstarren vor der Schönheit der Jungfräulichkeit – legen die Waffen nieder und verfallen in besoffene gemeinsame Heiterkeit.

Stolz, Vorurteil und Eitelkeit ertrinken im Rausche der sanft auf dem Boden der Geschichte abgelegten Feigheit – Einigkeit über das Leben – nach Neuem streben.

Watching a Crime

Ich sinke in Gedanken.

Die Treppen zur U-Bahn hinunter.

Sehe Menschen.

Höre Schreie.

Weine leise.

Ich fliege in Gedanken.

Durch die Straßen von Kiew.

Sehe Soldaten und erkenne nicht,

zu welchem Heer sie gehören.

Unter mir mein Schatten.

Oder bin das ich?

Am Fenster steht ein Kind.

Oder ist es schon erwachsen?

Der Himmel dröhnt.

Was war, ist auf einmal wieder, was sein wird.

Nichts kann meinen Flug durch die Stadt stoppen.

Ich sauge den Schmerz auf,

gerate in Taumel,

und mein Körper stirbt im Bombenhagel der Vergangenheit.

Ich stehe auf und laufe zu Fuß weiter.

Es ist Krieg.

Heute und morgen gibt es nicht mehr.

Es gibt nur noch diesen Krieg.

Lea Schlenker: Ich kann nicht über den Krieg schreiben

Ich kann nicht über den Krieg schreiben
Mein Blut ist
Ignazio Cassis
Und ein bisschen
Emmanuel Macron
Auf dem Weg zur Arbeit im Labor
Fallen mir die Earpods aus den Ohren
Nach dem Aufstehen mache ich mir einen Tee
Aus Schweizer Alpenkräutern
(seit zehn Jahren denselben)
Ich kenne
Ich will
Stabilität

Ich kann nicht über den Krieg schreiben!
Wenn ich die Nachrichten lese halte ich mir
Die Hand vor den Mund
Und greife dann zur Fonduegabel
Ich lese von
Demonstrationen
Bin aber schon ein bisschen müde
Ich döse ein wenig in einem Kinosessel
Mitten in meiner Stadt
Meinem Monbijou
Während in einer nicht allzu weit entfernten Stadt
Die Filmrollen explodieren

Ich kann nicht über den Krieg schreiben
Ich plane meinen sweet thirty in Montreux
Und einen Weekendtrip nach Paris
Drinks in Basel und St. Louis
Die Zeit vergeht wie im Flug während draussen
Die Bomben knallen

Ich kann nicht nicht über den Krieg schreiben
In meinem Kopf Geschrei
Und in meinen Beinen
Ich drehe Runden wie ein geschlagener Hund
Alles was ich denke
Alles unter der Sonne
Und dem blauen Himmel

Ich kann nicht nicht über den Krieg schreiben
Nie würde ich für mein Land kämpfen
Nie würde ich für ein Land sterben
Ich würde Abrüstung schreien
Ich kenne
Ich will
Stabilität

Ich kann nicht über den Krieg schreiben
Und ich kann nicht nicht über den Krieg schreiben
Live Ticker und Panikattacken
Was heisst Neutralität
Es heisst Grau wo normalerweise Farbstufen wären
Emmanuel Macron telefoniert
Schon wieder?
Ich wasche mein Gesicht
wie jeden verdammten Morgen