Şafak Sarıçiçek: kabum ! dank den verseuchten fledertieren

meiner stadt bist du ach so fern
tentakelfinger deiner krakensonne

zerschuppend sterben pangoline dort schaufeln wege neue wochen
vögel pfeifen den morgen auf meine keloidnarbe
endlose würfel aus altaigesang und keiner weiß wohin o! affenmonat
grinsender jurtengott zwei kinder zürnen deiner gunst
nicht codes schlürfen aber bots transzendieren.

mensch, stacheln der lüfte, bleibt aus
es grüßt ein spaziergang herrenlose hünde.
diese hasen schlagen haken nicht
der mond schlägt nun haken für sie
aber milch leuchtet auf zum roten stern

alle brocken pulverisiert, ein weites vergeben
und ein geisterbaum schraubt lunten aus licht
alte meister behängt mit satin neu, o quantenflirren !
ich bau haus um haus aus meiner ahnensprache.

eine mulde gibt es wo wir liegen können nackt wie sand
dein aug und mein aug ein steter überfall bis schmelze die farben
nähen eine taiga aus parabeln, streamen all unsre folgen mit einem nicken
gebet ewiger stromzufuhr, werden eingehen in suppen aus kristall
ruf permanente revolte! alle himmelskörper infiltrieren den feind
die nacht trinkt pyromanisch und der morgen ist ein mutiger kossak
orte wirds geben, wo affen und tiger ringen
es wird orte geben ja es wird

Eve Massacre: Zombieträume

Es ist sonnig, die Luft ist zäh wie die Zeit, fast geronnen. Es treibt mich. Was, bleibt ungenau, aber die Angst sitzt im Magen. Unförmige Hände, glibbrig, glitschig, wabernde Haut, überall Körper, versuchen zu fassen, drängen, gleiten ab, gleiten ab, gleiten ab. Ich schiebe mich durch, dränge, renne, laufe, gehe, spaziere durch den Sommertag, die Straße liegt wieder leer vor mir. Häuser ohne Eingänge, Fenster wie gezeichnet. Ich erinnere mich selten an Träume, aber wenn, dann waren es in den letzten Jahren fast immer welche mit Zombies. Langsamen Zombies, wie es sich gehört. So auch dieser vor ein paar Tagen. Ich wache auf, es ist noch dunkel, die Furcht aus dem Traum hängt in den Schatten, aber ich weiß ja, im Haus bin ich sicher. Ich geh pinkeln, nur halb wach, bin so müde, will nicht ganz aufwachen, aber weiß, wenn ich jetzt weiterschlafe sinke ich wieder in diesen Traum. My private Elm Street. Ich schlafe wieder ein, träume den Traum weiter, und wache endlich erschöpft auf. Der Traum hängt den ganzen Tag in den Falten der Luft, immer nur einen Windhauch entfernt. Den ganzen verdammten sonnigen Tag, der so zeitlos verstreicht wie der vorherige. Corona hat neue Zeitempfinden geschaffen. Für die Daheimbleibenden ticken die Uhren anders als für die da draußen.

Ich muss an It Follows denken, einen hervorragenden Zombiefilm ohne Zombies. Er trifft den Zeitgeist indem er in einem seltsamen Zeitvakuum schwebend verharrt. Zombiefilm, weil es darin um untote Figuren geht, die dich verfolgen. Langsam, aber unausweichlich verfolgen. Du hast immer genug Zeit, wegzurennen, aber sie verschwinden nicht. Außer du hast Sex mit jemandem, dann überträgst du sie, wie eine Infektion, auf diese Person. Der Film spielt in einer zeitlosen Zeit, es gibt schwarzweiß Fernsehen, aber auch E-Reader, er legt sich auf kein wann fest. Diese ungewisse Zeit, ein Fehlen der Zukunft, eine Geschichtsenthobenheit, eine Gleichzeitigkeit aller Zeiten, ein hektisches Verharren, so wird unsere Ära gern beschrieben. In einem Faststillstand kurz vorm Weltuntergang gefangen. Wir sind nicht vor einer Zukunft und wir sind nicht nach etwas, wir sind jetzt, für mehr fehlt uns die Luft und wir fühlen uns, als wären wir auf Dauer damit beschäftigt, gegen die verdammten Zombies ankämpfen zu müssen, bevor wir ernsthaft eine Zukunft angehen können. Selbst die Zombiegeschichten selbst sind ihrer Geschichte enthoben, die, wie mich erst kürzlich ein Freund erinnerte, ja ihre Wurzeln in einer kolonialen Historie von haitiianischen Sklavenaufständen und Voodoo haben. Unter den heutigen sind die meisten der bekanntesten aber, von Walking Dead über Zombieland bis World War Z, auf einen pandemischen Gehalt reduziert, vielleicht noch mit ein bisschen Angst vor Überbevölkerung gespickt.

Zombies nicht nur in meinen Träumen, sondern auch als Hype der Stunde, mal wieder. Als Bild liegt das nahe, und wer kann, verschanzt sich drinnen vor dem Rest der Menschheit, der zum Fremden, zum unverstehbaren feindlichen Element geworden ist. Gerade als meine Selbstquarantäne wegen Corona anfing, habe ich einen Vortrag überarbeitet, in dem ich mich gegen Sicherheit ausspreche, angesichts einer Politik, die zunehmend unreguliertes öffentliches Leben als Bedrohung denkt, und prompt kommt die Pandemie, in der die Anwesenheit von vielen Menschen im öffentlichen Raum fast nur noch als potenzielle Gefahr gedacht werden kann. Danke auch.

Zombies also. Simon Pegg und Nick Frost haben einen kurzen Clip mit Corona-Tipps gedreht, in dem sie Shaun of the Dead wiederaufleben lassen. Es gibt jetzt schon einen Film namens Corona Zombies. Es gibt ein Meme, das eine sonst vielbefahrene Straße in Atlanta zeigt, die wegen der Corona-Ausgangssperre menschenleer ist, und daneben ein Bild derselben leeren Straße aus einer Szene in The Walking Dead. Ein anderes Bild, das zum Meme wurde, zeigt schreiende Protestierende in Ohio, die an eine geschlossene Glaseingangstür drängen und fordern, dass die Geschäfte wieder aufmachen. Eine Frau mit USA Flagge, ein Mann mit Trump-Käppi, ein Mensch mit Anonymous-Maske im Hintergrund, es wirkt wie eine Szene aus einem Romero-Film, und das Bild wurde schon mit allen möglichen kommentierenden Titeln wie “28 Business Days Later” oder “Dawn of the Braindead” gepostet.

Ach ja, eher Zufall, aber auch Zufälle gehören zur Hypebildung: Das Video zum Cranberries-Hit “Zombies” erreichte vor ein paar Tagen eine Billion Views auf Youtube. Daniel W. Drezner schreibt auf Foreign Policy darüber, wie uns Zombieapokalypse-Filme auf die Pandemie vorbereitet haben: Sie beschreiben meist den hohen Grad von Hilflosigkeit von nationalen Regierungen und Bürokratien angesichts einer internationalen Katastrophe. Er verweist aber auch auf die Lücke, die Zombiefilme haben: Sie zeigen nie lange die Übergangszeit, den Zusammenbruch der Gesellschaft, sondern immer bald kleine Gruppen übriggebliebener Menschen, die den anderen Menschen zum Wolf geworden sind. Da stimme ich ihm zu: Die Solidaritäten, die sich derzeit bilden, die kreativen Seebrücken-Demos, die Masken-Nähenden, die Menschen, die nicht müde werden, darauf hinzuweisen, dass die sogenannten systemrelevanten Berufe viel zu schlecht bezahlt sind, und die nach mehr sozialer Hilfe für alle rufen – sie tauchen in den modernen Zombiegeschichten nicht auf.

Laurie Penny schreibt auf Wired über das Gegenteil wie Drezner, nämlich darüber, auf was uns die ganzen Zombieapokalypse-Filme nicht vorbereitet haben. In ihnen sind Menschen immer abgeschnitten vom Rest der Welt, die Fernseher, Computer, die Nachrichten erlöschen nach und nach. So auch in Tim Maughans Science Fiction Infinite Detail vom letzten Jahr, in dem er durchspielt, was gesellschaftlich passiert, wenn es plötzlich kein Internet mehr gäbe. Menschen sind komplett auf Kontakte in ihrer lokalen Umgebung zurückgeworfen. Er hat sich schon auf Twitter beschwert, dass jetzt das Gegenteil eingetreten ist: Wir sind in unserer lokalen Umgebung physisch isoliert, aber das Internet erhält unsere soziale Verbundenheit aufrecht, Webcams sind ausverkauft und das Netz glüht vor Videokonferenzen und Livestreams, und versorgt uns mit Nachrichten von überall her, Onlineproteste und -diskussionen organisieren sich. Wir bekommen alles mit, können alle Facetten der Ereignisse mit Menschen aus aller Welt diskutieren.

Eins meiner ersten Auffangnetze in der Selbstquarantäne war ein Slack, das ein britischer Twitterbekannter aufgemacht hat, der in Barcelona in kompletter Ausgangssperre daheim saß, und in dem sich vor allem Menschen aus den verschiedensten Ecken Europas trafen, die sich zum Großteil nicht kannten, und sich ihren Alltag erzählten, sich emotionalen Support holen konnten, sich Film- und Musiktipps gaben, von Projekten erzählten, an denen sie gerade arbeiten und natürliche alle möglichen News und Einschätzungen und Politikdiskussionen zu Corona. Eine kleine Wahlfamilie für eine Weile, für mich sehr tröstend in ihrer Internationalität. Ich liebte sie schon immer, meine Internet-Zufallsfamilien.

Aber zurück zu meinen Zombieträumen. Sie würden sich nicht als Filme eignen, weil viel zu wenig passiert. Der eigentliche Horror liegt in der dauernden Angespanntheit und Wachsamkeit, zu der sie mich zwingen. Wie ein Hai, der ständig in Bewegung bleiben muss, weil er sonst erstickt. Ich mag Zombiefilme. Theoretisch. Praktisch kommen sie mir inzwischen manchmal zu nah, seit mir die Welt immer mehr aus den Fugen zu geraten scheint, ich mich bei aller Aktivität oft ohnmächtig fühle. Private Ohnmacht, weil große Teile meiner Tätigkeit und Möglichkeiten erst wegen einer Brandstiftung für Monate lahmgelegt wurden, und jetzt durch die Pandemie. Politische Ohnmacht, angesichts nicht verödender frauenfeindlicher und heteronormativer Strukturen, menschenverachtender Flüchtlings- oder HartzIV-Politik, aber auch Ohnmacht angesichts von Menschen, die in Verschwörungstheorien oder weirde Ideologien hineinrutschen, und nicht mehr durch Worte zu erreichen sind. Worte, für die ich auch nicht mehr so oft die Geduld aufbringe. Vielleicht auch deswegen Zombieträume: Wegen einer Gesellschaft, die dir scheint, als gäbe es in ihr immer mehr Menschen, die du nicht mehr erreichen kannst, die keine solidarische soziale Basis mit dir teilen. Oder ganz ins abstrakt Psychologische gehend: Vielleicht auch einfach Angst, dass Menschen, die dir etwas bedeuten, zu Fremden werden könnten. Ein Leben führen, das so anders ist, mit Zielen und Träumen, die sich so weit von deinen entfernen, dass wir einander Zombies werden. Eine der anderen, einer dem anderen. Wir müssten einander die Hirne nicht nur aus den Schädeln zerren, um einander zu verstehen, wir müssten sie fressen. Dantons Untod. Einander fremd werden zu können, hat mir schon immer mehr Angst gemacht als Fremde.

Das Gefühl des unausweichlich kommenden Horrors, den ich nur hinauszögern, aber nicht abwenden kann, den mein Zombietraum hinterließ, begleitete mich einen ganzen Tag lang in leisen Echos. Nicht dauernd präsent, eher wie Wellen, die sich zurückziehen und manchmal dann doch wieder so weit den Strand hochschwappen, dass sie dir um die Knöchel spielen. Bis in den späten Nachmittag hinein spürte ich immer mal wieder eine leise Furcht vor dem nächsten Schlaf, in dem ich wieder zurück in diese Welt geraten könnte. Je näher das Einschlafen rückte, desto ruhiger wurde ich aber und spürte ganz antiklimaktisch: heute wird keine dieser Nächte sein. Heute kriegen sie mich nicht.

Eva Schwindsackel: Von der Linde und dem Nadelwald oder Alles Glück dieser Welt

I
Schlau, listig, durchtrieben heißt es, ist der junge Fuchs Reinecke mit seinem blass gewordenen orangefarbenen Pelz. Seine einst glänzende Silberbrust wirkt schon seit Langem etwas matt und ergraut. Nach außen hin zeigt er sich aber weiterhin stolz und trägt den buschigen Schwanz beinah zwanghaft hoch zum Himmel empor. Die Ohren gespitzt, die Augen bemüht wach. Niemals müde, sondern stets gefeit – vor Gefahren, Verpflichtungen und unliebsamen Aufgaben. Raffiniert wie er so ist, kostet ihn das nicht mal sonderlich Anstrengung. Seine einst so leichten und flinken Pfoten sind ihm aber auf dieser Reise schwer geworden. Dennoch durchwandert er immer weiter, wenn auch träge sein Leben. Dabei stets auf der Hut und von Fernweh getrieben. Zahlreiche holperige Pfade hat er genommen, viele Begegnungen und Erlebnisse sind ihm auf seinen Reisen widerfahren.  Gänzlich alles meint er schon zu kennen und dabei alles und jeden zu durchschauen. Der Weg ist sein Ziel, glaubt er zu wissen.
Und plötzlich im tiefsten und erfülltesten Grün ändert sich alles.

II
Man sagt, störrisch und faul ist der kleine Esel Boldeqyn – nicht schlau, nicht listig und bestimmt nicht durchtrieben. Sein strubblig silbergraues Haar ist vom Wind zerzaust und von der Sonne verblichen. Etwas dünn ist sein Haar über die Jahre geworden, in denen er gelernt hat, sich in seinen Tagträumen gekonnt zu verlieren. Und trotzdem scheint das Silber seines Fells von Tag zu Tag mehr zu glänzen, das Leuchten in seinen Augen zuzunehmen. In seinen Gedanken frei – nämlich manchmal in einer ganz anderen Welt, in entfernten Ländern oder anderen Köpfen – liegt er doch am selben Fleck, in seiner Kuhle unter der alten Linde. Denn genau dort lässt er sich die Sonne auf den Bauch scheinen und ist dennoch zeitgleich unterwegs auf den gefährlichsten und schönsten innerlichen Reisen. Nah und fern, alles in
Einem.

Eines Tages also, als Boldeqyn gerade seit bald sieben vollen Tagen vom höchsten aller Berge durch wilde Schneestürme hinabbrauste, erreichte er ihn endlich: den lang ersehnten Sandstrand und die warme, smaragdgrüne See. Er fand dort unzählige Muscheln und leuchtende Edelsteine, sodass er sehr froh war, mit großem Schlitten angereist zu sein. Aber nicht das sollte den Ort so einzigartig machen. Denn das riesige Sandschloss, das er an jenem Ort bewohnte, hatte in seinem Innenhof den wohl prächtigsten Nadelwald, den die Welt je gesehen hatte. Und dort mitten im Dickicht, im sattesten Grün, erblickte er ihn. Die Sonne verriet ihn. Denn in dem grünen Nadelmeer erstrahlte ein schlafender Fuchs mit einem so glänzend leuchtorangefarbenen Fell, wie es Boldeqyn noch nicht mal aus seinen wildesten Träumen kannte.

III
Tief und fest und völlig frei von seinen sonst stetig kreisenden Gedanken schlief Reinecke und bemerkte weder den Esel, noch den Schlitten voller unzähliger Muscheln und leuchtender Edelsteine. Verblüfft über die Reinheit des Grüns in den Millionen Nadeln fand er dort ganz unerwartet in sich und bei sich selbst das Gefühl tiefster, echter Zufriedenheit. Ein Gefühl, das ihm völlig neu war. Sein ganzes Wesen schien hier aufzugehen und die vielen Pfade, die er genommen hatte, die sich bisher scheinbar völlig willkürlich an einander reihten, ergaben nun Sinn. Hier will er sein, hier will er bleiben. Niemals spürte er das mehr. Erst in diesem Grün angekommen, fühlte er die Müdigkeit in seinen Augen und er spürte die Strapazen seiner lebenslangen Reise. Denn nicht listig und getrieben wollte Reinecke einst sein, sondern lustig und dabei durch keinen, auch nicht durch sich selbst getrieben. Mit wahrlich stolzer Silberbrust erfährt er hier den wahren Wert von Freiheit, den er bisher glaubte, nur durch stetiges Reisen zu finden. Erst jetzt, wo er erstmals nicht mehr weiterziehen will, merkt er, dass es die gedankliche Weite ist, die ihm den Einlass zu allen schönen und fernen Orten gewährt. Schlau ist der Reinecke, merkt er doch gleich, dass dieser Ort etwas Besonderes ist: Ganz nah und gleichzeitig fern.

IV
Der Wind weht durch die Blätter der großen Linde. Boldeqyn spürt die warme Sonne auf seinem silbern glänzenden Bauch. Er öffnet die Augen und weiß, dass er nur geträumt hat. Noch ganz müde und bisschen faul, kommt ihm der so friedlich schlafende Fuchs in den Sinn. Doch von der späten Abendsonne geblendet, reißt es ihn plötzlich schroff aus seinen Gedanken. Störrisch geht er vor der blendenden Sonne in Deckung und wird plötzlich Zeuge eines sonderbaren Farbspiels auf seinem strubbeligen Fell. So schimmert es doch im warmen Abendlicht in einem feuerroten Leuchtorange, wie er es gerade noch inmitten des tiefen Nadelwalds gesehen hatte. Ganz erschrocken schließt er die Augen für einen Moment und erinnert sich an etwas, das lange her ist. Der Wind bläst ihm kräftig ins Gesicht, Bilder von Wäldern, Feldern, Städten, Gesichtern, schöne und schlechte Begegnungen fliegen an ihm vorüber.

Ganz außer Puste, mit Rastlosigkeit im Herzen und dem Gefühl einer schon viel zu lang andauernden Reise lässt er sich erschöpft in seine Kuhle sinken und wird sich bewusst: Glücklich ist er hier, ganz reich und wach fühlt er sich. Reich an Erfahrungen durch die Vielzahl seiner zurückgelegten Pfade, die vielen Begegnungen und Erlebnisse. Wach durch die farbenfrohen Bilder, die das Leben gezeichnet hat. Lustig, denkt er noch, als er zufrieden in die Baumkrone unter dem Himmelszelt blickt und plötzlich weiß, dass er Reinecke und auch den sattgrünen Nadelwald schon lange kennt. Seine Augen strahlen, als ihm klar wird, dass ihm aus allen Erinnerungen, ob durch sein innerlich oder äußerlich erlebtes Reisen, am Ende das gleiche Gefühl bleibt. Nämlich das Gefühl, genau an dieser Stelle den Sinn von Nähe und Weite, von Freiheit und Geborgenheit, alles in Einem gefunden zu haben. Und ein Lächeln tritt in Boldeyqns Gesicht und er ist glücklich, dass auch Reinecke endlich den Platz unter seiner Linde gefunden hat. Denn nicht immer bleibt der Weg das Ziel. Manchmal ist es die Rast, die einen an genau jenen Ort führt, hinter dem sich ganz unerwartet aller Sinn verbirgt und der sich wie aus Zauberhand in alles Glück dieser Welt verwandelt.

Lily Schuster: Traum

Stefan: „Was liegt dir denn auf dem Herzen, was du mir mitten in der Nacht erzählen musst?“

Sie: „Ich gebe in diese hochmoderne Suchmaschine namens „Google“ die Buchstaben -T-r-a-m- Definition ein.

-Enter-… Straßenbahn, hä? Straßenbahn?

Achsooo, vertippt!

-Löschtaste- u- m- Definition-Enter-. Na also.. hammas jetzt?

Erstens: im Schlaf auftretende Abfolge von Vorstellungen, Bildern, Ereignissen, Erlebnissen.

Beispiel: „ein schöner, seltsamer Traum“

Zweite Definition ist unterteilt in zweitens a und zweitens b.

Zweitens a: sehnlicher, unerfüllter Wunsch.

Beispiel: „Der Traum vom Glück“

Zweitens b: etwas traumhaft schönes, Person; Sache, die wie die Erfüllung geheimer Wünsche erscheint.

Beispiel: „Das ist ja ein Traum von einem Haus.“

Sie: „Als ob ich nicht wüsste was ein Traum ist, Stefan . Ich träume jede Nacht und jeden Tag.

Stefan: „Hattest du schonwieder einen deiner Albträume?“

Sie: „Zum Beispiel träume ich in meinem Traum von einem Traum in dem ich träume, Träume wahrwerden zu lassen.“

Stefan: „Ist alles gut bei dir?“

Sie: „Träume wie… mir den roséfarbenen, von kleinen Diamanten, umgebenen Ring zu kaufen, den ich so oft in diesem Schaufenster um die Ecke liegen sehe.

Stefan: „Sag doch einfach, dass du heiraten willst.“

Sie, genervt von allem: „Oder wie… einfach mal mein Hinterteil von der Couch heben, mich Richtung Zimmer bewegen, den Schrank öffnen, die Matte rausholen, auf den Boden legen, Musik am Handy anmachen und einfach Sport treiben, damit ich mich wohl fühle in meiner Haut und gesund sowie fit bleibe.“

Stefan, genervt von ihr: „Gleich so theatralisch.“

Sie, kurz vorm Nervenzusammenbruch: „Oder… es auch mal zu schaffen PÜNKTLICH aus dem Haus zugehen, ohne vorher fünf Wecker gestellt zu haben. Der eine klingelt, wenn ich aufstehen muss. Der zweite, wann ich aus dem Bad raus sein muss, der dritte gibt mir dann an, dass ich jetzt fertig mit Frühstücken sein sollte und auch schon mit dem Hund Gassi gewesen sein sollte. Dann gibt es da desWeiteren den vierten Wecker, welcher so nett ist und mir sagt, wann der richtige Zeitpunkt zum Anziehen ist. Der fünfte ist dann logischerweise jener, der mich zur Tür bittet.“

Stefan: „Du hast ja Probleme!“

Sie, wieder etwas beruhigt und traurig: „Ganz abgesehen von den Träumen nach Zärtlichkeit. Nach Liebe und abends nicht alleine den Film anzuschauen. Der auch mal kocht, den Haushalt macht und gemeinsam mit mir weint und lacht. Also so was wie „Der Traum vom Mann“

Stefan schweigt

Sie: „Ach ja! Selbstverständlich ist die Welt in meinen Träumen glücklich und DAS ÜBERALL auf diesem Planeten. Sie ist bunt und harmonisch, nicht einfarbig und kalt. Sie wird bewohnt und belebt von Wesen, die es schätzen dort zu sein und alles dafür tun, dass es noch lange ein solch wertvolles Etwas gibt. Wo jeder und jede die Chance hat zu träumen und die Träume erfüllen zu können. Zumindest die meisten.

Stefan, indem er sie Finger auf den Tisch klopft: „Mmmh.“

Sie: „Erfolg spielt auch eine große Rolle in meiner Utopie*. Ich will es schaffen selbstständig zu sein, in dem was ich tue um erfolgreich zu sein. Mich ins Zeug legen und anstrengen. Nicht ständig mein Glück vor mich herschieben und darauf warten, dass es mir aus dem Nichts in die Arme fällt. Glück haben mit den richtigen Menschen am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein. Oder eben den richtigen Zeitpunkt für sich an seinem richtigen Ort erschaffen. In der Realität und nicht im Traum!“

Stefan flüstert fragend vor sich hin: „ Mit den richtigen Menschen am richtigen Zeitpunkt zur richtigen… was?!“

Sie: „In meiner -mehr als nur- Kopfgeburt* gehe ich selbstbewusst durchs Leben, mache mir keine Gedanken darüber, was andere über mich und mein Outfit denken. Ich tanze in der Disco für mich und nicht für die, die sich dort aufhaltenden eventuell in Frage kommenden, zukünftigen Traummänner. Ich esse nur so viel bis ich keinen Hunger mehr habe und nicht noch sieben Portionen mehr, weil es halt wieder so lecker schmeckt. Ich bin konzentriert auf mein Wohl und vergesse dabei nicht das Wohlbefinden meiner Freunde und das, der Familie. Mit denen ich übrigens nie Streit habe und wenn, ich mich sehr schnell wieder versöhne. Denen es allen gut geht und auch niemals schlecht.Die auf keinen Fall krank werden im Alter und unter Schmerzen sterben. Zwischen jenen und mir stetig ein großartiger Kontakt besteht, der für immer bleibt. Wunderschöne Haare an dem Tag meines ersten Dates. Schöne Nägel, stressfreies pünktliches Losgehen OHNE meine klingelnden fünf Schätze. Wohlfühlen in meiner eigenen Haut.“

Stefan, versucht sie ernst zu nehmen: „Und was machst du, damit sich deine Träume erfüllen?“

Sie: „Den Mund mache ich auf und sage „NEIN“. Wenn ich das nicht will. Wenn ich nicht will, dass mirder eventuell in Frage kommende zukünftige Traummann, mit dem ich mein erstes langersehntes Date unter einer leuchtenden Lichterkette im leicht schwenkendem Boot auf dem Meer habe, mir unter den Rock fassen möchte. Nein! Zu mir selbst, wenn ich mal wieder auf der Couch hocke, Frust in mich rein fresse, anstatt meinen verf..„Piiiip“..rsch anzuheben und sportlich zu sein. Nein zu all dem, was mir in der Realität aufgeschwatzt wird und mir nicht gut tut.“, sagt sie voller Elan und zugleich aufbrausend. [immer energischer werdend:] Und JA. Ja, den Mut zu haben, mir den Ring aus dem Schaufenster um die Ecke zu kaufen. Mir zuzutrauen, dass ich rechtzeitig aus dem Haus komme. Ja zu mir, wenn ich vor dem Spiegel stehe und mir in die Augen schau. Ja zu denen, die mein Nein nicht kapiert haben: JA, du hast recht, ich habe gerade NEIN gesagt. Und „DOCH“ zu allen, die behaupten, dass Träume nicht wahrwerden können. Denn das sind verträumte, die ihren Träumen nicht einmal die Chance geben, geträumt zu werden.“

Stefan schaut sie verwirrt an und fragt: „Aber was ist, wenn sich alle meine Träume erfüllt haben?“

Sie: „Dann TRÄUM WEITER!“

Stefan ängstlich: „Wann, hast du nochmal gesagt, ist dein Psychologe vom Urlaub wieder zurück?“

Malva: Traum

Flirrende Sommerhitze, ein altes Bauernhaus, hohes Gras und Mondblumen.

Der kleine Bach im August 1969.

Augen schließen sich, Leben erzähl mir von dir!

Kindheit, Konformität, alles ist möglich, ich betrete mein Haus, sehe eine alte Holztreppe, geschlossene Türen, kalte Fliesen, Stille.

Neugierde führt in Raum Eins, Leichtigkeit, Experimentierfreude, Lieben, Tiefschlaf.

Größtes Glück, in Raum Zwei sind sie, sechs Kinder, meine Kinder- und dann, ungläubiges Staunen, meine fünf Enkel.

Rückblick in Raum Drei.

Steile Stufen führen hinauf, Kälte, Anstrengung, Angst, Schuld, Hoffnung, ich gehe nach Jahren schnell hinaus und nie wieder zurück.

Ich spüre die Sonne, noch eine Tür, Raum Vier. Ist verschlossen.

Zaghaft öffne ich sie und sehe die Menschen und Tiere, die immer Bedeutung hatten, die bedingungslos liebten, die meinem Haus Leben gaben und die mich in schlafloser Nacht zum Traum einladen.

Tiefer Frieden ist hier. Zuhause.

Die helle Sommersonne blendet.
Augen öffnen sich.

Traum, erzähl mir mehr vom Leben!

Philip Saß: Traum

Ich stand, wie Menschen meistens stehn, doch sah nichts:
Das war mir neu (man kann ja häufig sehn,
wie alle Dinge rundherum geschehn).
Nur, wenn mein Blick nicht täuschte, dann geschah nichts.

Da stand ich nun und sah nicht viel, na ja: nichts.
Das soll, wer das verstehen kann, verstehn!
Ich sorgte mich schon um mein Wohlergehn,
und rang und sprang und sang la la la la: nichts!

Ich stand – das sagte ich schon oben einmal –
und wusste keinen Rat, weil nichts geschah.
ich stand und stand und war den Tränen nah.

Ich stand und nahm mir hilflos vor: Ich wein mal,
obwohl ich das im Grunde gar nicht mag.
Ich weinte. Und ich wachte auf. Und lag.

Robert Segel: Der Abendwind

Der Abendwind hat viele Stimmen.
Ein Röcheln,
ein Flüstern,
ein Flehen,
ein Drohen,
ein Rufen,
ein Schreien.

Schlaflos auf dem Bett, über dem aufgeworfenen Laken, darunter du, mein Gesicht begraben in den Händen.
Der Abendwind und seine vielen Stimmen, mit mir, aber gegen meinen Schlaf.
Auch gegen deinen Schlaf, doch nun: deine Stärke stärker.
Meistens, wenn er mich besucht: meine Schwäche stärker, so auch heute.
Der Abendwind, ohne Einladung und doch bei mir, bei dir.
Ohne Vorankündigung, ohne Anklopfen und doch bei uns.

Unser Haus in der Dunkelheit, in der Einsamkeit, ich als einziges Lebenszeichen an diesem Ort – doch: kein Leben, keine Zeichen, keine Lebenszeichen für ihn, nicht in dieser Nacht.
Kein Schlaf möglich, der so etwas erschaffen könnte.
Unser Haus in der Dunkelheit, ich in der Einsamkeit, du in der Sicherheit, zwei von dreien umgeben von Wind.
Die Stimmen des Abendwindes.

So zahlreich, so kalt, so bedrängend. Stimmen.
So alleingelassene Ohren, so alleingelassene Fingerspitzen, ohne Unterstützung anderer Sinne,
die Augen in Händen.

Ein Röcheln,
ein Flüstern,
ein Flehen,
ein Drohen,
ein Rufen,
ein Schreien.

Das Bett leer und aufgewühlt, auf meiner Seite, die letzte Wärme hinfort ins ferne Exil.
Meine Fingerspitzen an der Stelle, an der noch Wärme, an einem Teil von dir,
an dem Teil von dir.
Hellhörige Fingerspitzen.
Noch immer verborgene Augen, genau wie dein Rest.
Der Rest, den ich ansprechen kann.

Hörst du mich?
Hörst du ihn?“

Meine Fragen unbeantwortet.
Kein Rest, kein ansprechbarer Rest.
Meine Fingerspitzen zurück in die Kälte, zu einem Teil von mir,
auffindbar, selbst mit vergrabenen Augen.

Hörst du ihn?“

Unter meinen Füßen nun der Untergrund.
Nackte Haut auf abgelaufener Baumwolle.
Die Augen nun aus den Händen,
offen, wachsam,
vor dem vorhanglosen Fenster,
damals: deine Schwäche stärker.
Und hinter dem gesprungenem Glas, kraftvoll, unsichtbar, unüberhörbar

Wie kannst du nur schlafen?“,

Abendwind, der Abendwind, die Stimmen des Abendwindes.

Deren Wunsch so nah.
Deren Wunsch schon immer ein Befehl.

Das Fenster offen und störrisch, kurzzeitig lauter noch als alle Stimmen, die Nacht nun innen.
Die Dunkelheit als Wärmeräuber, als Windgastgeber, als Stimmenbringer.
Der Abendwind auf meinen Fingerspitzen, eine willkommene Kühle.
Der Abendwind um meine Ohren, eine willkommene Hitze.
Doch: das Fenster nicht groß genug für ein Röcheln,
ein Flüstern,
ein Flehen,
ein Drohen,
ein Rufen,
ein Schreien.

Heiße Ohren in ausgekühlten Händen, keine Ruhe.
Aber ich, umschmeichelt vom Abendwind, seinen Stimmen, und er von mir.
Die Fingerspitzen also am Türknauf,
nackte Haut also auf feuchtem Gras,
nutzlose Augen also unter sternenlosem Himmel,
ruhelose Ohren also inmitten des Abendwindes.
Ich kann ihn besser hören.
Und es gefällt mir nicht, was er sagt.
Wie er es sagt.
Warum er es sagt.
Unser Haus in der Dunkelheit, ich in der Einsamkeit.
Der Abendwind keine gewollte Begleitung – der Abendwind kein Leben, kein Zeichen, kein Lebenszeichen für mich, nicht in dieser Nacht.
Mr McCarthys alte Worte:

Wo keine Menschen leben können, ergeht es den Göttern nicht besser.“

Deshalb die Flucht. Deshalb ihr Exil.
Deshalb ich noch hier.

Nackte Haut noch immer auf feuchtem Gras,
nun in richtigfalscher Richtung,
die Fingerspitzen erneut am Türknauf.
Ich nun innen.
Er außen – es gefällt mir nicht, was er sagt, wie er es sagt, warum er es sagt.

Also zurück im Raum, einst Hort unerschöpflichen Schlafes.
Das Bett leer und aufgewühlt, auf meiner Seite, die Wärme hinfort. Ins Exil?
Meine Fingerspitzen an der Stelle, an der noch Wärme, vor wenigen Augenblicken
oder Nächten,
an einem Teil von dir,
schließlich,
wie vorherbestimmt,
an dem Teil von dir.
Dort, damals: meine Stärke stärker.

Und nun – unklar, wo die Decke.
Die letzte Wärme: wohin?,
bereits auf jeder Seite, ins Exil.

Wie kannst du nur?“

Ich zurück in der Kälte.

Hörst du mich?“

Augen verborgen, ohne Hilfe der Hände,
um den Abendwind, um seine Stimmen zu verstehen.
Besser.
Endlich.
Endlich Schlaf.
Dieser verdient.

Der endliche Schlaf schließlich verdient.

Where men can’t live gods fare no better.”
(Cormac McCarthy)

Matt S. Bakausky: Aus dem Traum erwachen

Schreibe niemals über Träume, hat er geschrieben. Mein Idol. Träume interessieren niemanden. Das schlimmste was du machen kannst ist eine Geschichte zu schreiben, die mit „Und dann wachte ich auf“ endet.

Das las ich in seinem neuen Buch über das Leben als Schriftsteller und das Schreiben.

Auf dem Weg zur Arbeit. Die Straßenbahn hielt, es waren wenige Autos unterwegs. Es gab wohl einen Unfall. Ich traf auf alle meine Freunde und unterhielt mich mit ihnen, darüber dass heute irgendwie wenig los wäre. Sie waren alle sehr nett zu mir und gut gelaunt. Arbeit fiel heute aus. Ich mache mich auf den Weg zurück. Treffe einen guten Freund, der zufällig mein Lieblingsessen dabei hat. Ich esse während ich weiter laufe. In einem Bürogebäude wundere ich mich, ob hier überhaupt alles stimmt. Draußen am Fenster fliegen meine Lieblingsbands vorbei und spielen ihre Hits.

Die Frau von der Zentrale ist bei mir. Ich realisiere, dass etwas überhaupt nicht stimmt und frage sie ob ich gestorben bin. Sie sagt: „Du bist nicht tot, du warst zu gut für diese Welt.“ Sie fragt mich, ob ich bereit wäre zu gehen. Ich sage ihr, dass ich gerne mehr Erfolg bei den Frauen gehabt hätte. Sie antwortet, dass das alles ändert und beginnt zu telefonieren. Ich verstehe, dass das bedeutet, dass ich wieder zurück gehe. Ich ändere meine Meinung und teile es ihr mit. Ich verlasse den erdlichen Raum, die menschliche Form, es existiert nur noch ein Energiefeld. Ein See aus Liebe, wie in der Gebärmutter. Ich erinnere mich an einen Freund von mir. Will zurück, um ihn zu sehen.

Und dann wachte ich auf.

Überströmt mit Liebe liege ich um 3:30 Uhr früh im Bett. Mein Herz wird offen sein für ein paar Tage, dann wird es sich langsam wieder schließen. Mir ist klar was ich suche und wohin die Reise geht.

Felix Benjamin: Traum

„Angebot und Nachfrage, Angebot und Nachfrage“ murmle ich nervös vor mich hin, als der Wirtschaftslehrer das Klassenzimmer betritt. Doch ich habe Glück: Ich werde nicht abgefragt, sondern wir machen Klassenfahrt. In der Jugendherberge teile ich mir ein Zimmer mit Linus Volkmann und nenne ihn Wenzel. 

Wir sitzen auf dem Sofa, trinken Bier und rauchen. Wenzel unterhält sich mit Arne Zank, der uns gegenübersitzt. „Das ist ja Arne Zank!“, denke ich aufgeregt, will mich aber nicht als nerviger Fan zu erkennen geben und rauche still vor mich hin.

Auf einmal sind da aber auch alle anderen Tocos und da muss ich dann doch mal aufstehen und hingehen. Ihre Managerin lässt mich nicht zu ihnen durch und sagt, dass die jetzt leider keine Zeit haben, weil sie professionelle Pressefotos machen müssen. Sie sind alle ganz in schwarz gekleidet.

Jan Müller steht hinter der Managerin und nickt mir freundlich zu.

Benjamin Weissinger: Pflaumen

Musikalienhandel, später Nachmittag kurz vor Ladenschluss

„Guten Tag!“
„Guten Tag! Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Och… ich schau mich erstmal ein bisschen um“
„Gerne 🙂 wir schließen zwar um 18 Uhr, aber ein paar Minuten haben sie ja noch 🙂 „
„Oh. Dann…komme ich doch lieber gleich zur Sache. Schauen Sie mal hier, was ich in meiner Tasche habe“
„…was ist das? Pflaumen!?“
„Eine Dose eingelegte Pflaumen. Sie fragen sich jetzt sicher, was ich damit in einem Musikladen möchte.“
„Ja, da bin ich gespannt.“
„Und zwar würde ich da 50 Euro für haben wollen. Aber wir können auch noch handeln.“
„Ich glaube ich verstehe nicht. Also wir…. „
„45!“
„Nein, also wir kaufen hier generell nichts an. Also noch nicht mal Instrumente oder Noten. Aber Konserven garnicht.“
„[wird ernst]…na gut, 40.“
„Ehm…es tut mir wirklich leid, aber ich kaufe ihnen diese Dose Pflaumen definitiv nicht ab!“
„… und das ist ihr letztes Wort?!“
„Ja, leider. Wir schließen jetzt auch.“
„[guckt auf die Uhr]…wir haben 17:57…drei Minuten habe ich noch“
„Das ist richtig, aber wenn sie…“
„Schauen sie mal. Ich öffne die Dose mit einem Dosenöffner, den ich dabei habe“
„Nein, bitte…“
„Warten sie es ab!“
„Hier drinnen bitte nicht essen.“
„Da, jetzt ist sie auf. Haben sie eine Tuba?“
„Tuba?! Großer Gott, bitte nicht. Jetzt weiß ich, wer sie sind. Wir dachten auf der Berufsschule immer, sie seien eine urban legend. Aber es gibt sie wirklich.“
„Hihihi. Und da hinten sehe ich auch schon die wunderschöne Tuba. Sie hätten mir die Dose abkaufen können, aber jetzt wird die Tuba mit leckeren Pflaumen gefüllt.“
„[rennt um die Pflaumenperson herum und stellt sich schützend vor die Tuba] Nein, das dürfen sie nicht!!!! Ich rufe die Polizei!!!“
„Das können sie gerne machen. Aber die Pflaumen kommen in die Tuba [setzt zum Wurf an]“

„Aaaaaaaaah“
„Oh Gott, Schatz, was ist los?!“
„Scheiße. Ich hatte wieder den Traum mit der Tuba und dem Kunden mit den Pflaumen“
„Hä. Das ist doch erst heute abend passiert. Wieso hast du denn dann schon mehrmals davon geträumt“
„Ich hab heute Nacht schon mehrmals das gleiche geträumt, die ersten Male hast du nicht mitbekommen.“
„Hach Mensch. War es denn so schlimm?“
„Es war diese Hilflosigkeit. Ich konnte nichts machen, stürzte ihm noch entgegen. Aber er muss eine unglaubliche Übung im Werfen von Pflaumendosen in Tubas haben. Voll rein.“
„Das ist nicht deine Schuld. Du konntest nichts machen.“
„Doch. Ich hätte mich sofort an die Geschichten über den Verrückten erinnern können, als er mit der Pflaumendose anfing. Aber erst als er Tuba sagte, klingelte es.“
„Ja, aber was hättest du machen können. Ihn angreifen und sie ihm abnehmen? Wer weiß, wie gefährlich der ist.“
„Ja, aber trotzdem…“
„Vergiss die Sache jetzt. Du weißt doch, der letzte Kunde ist immer der schlimmste. Morgen wird bestimmt ein ruhiger Tag. Und jetzt schlaf weiter.“
„Ich kann das Geräusch nicht vergessen. Dieses Scheppern von Metall auf Metall und dann dieses Glottergeräusch der raussuppenden eingelegten Pflaumen. Und wie er dann zu spielen begann, als wäre nichts geschehen.“
„Er hat auf der Tuba mit den Pflaumen drin gespielt?!?“
„Nein, auf einer unser Violinen. Die Havanaise. Recht gut sogar.“
„Und wann hast du ihn dann endlich rausgeschmissen?!“
„Gar nicht. Mir wurde alles zuviel, hab einfach den Laden hinter ihm abgeschlossen und bin nach Hause gerannt.“
„Er ist noch im Laden?????“
„Nein, er hat mit einer Pauke die Schaufensterscheibe eingeworfen und ist mir wie ein Irrer hinterher…“
„Oh Gott, und dann? Hast du ihn abgehängt?“
„Ja, er war ziemlich schlecht zu Fuß“
„Gott sei Dank. Was für ein scheiß Albtraum.“
„Und das alles morgen dem Chef erklären. Aber es hilft alles nichts, ich versuch noch ein paar Stündchen zu schlafen“
„Ja, genau, mach das. Ich mach uns mal ein bisschen das Fenster auf Kipp, frische Luft tut immer gut.“
(Von unten von der Straße hört man leise die Havanaise)