Daphne Elfenbein: Wohnen…

… ist ganz schön anstrengend, findet Daphne Elfenbein. Immer gibt es irgendwas zu putzen.

Nachdem Gastronomie, Museen und Wellness von Virus-Verordnungen vermiest sind, wird nicht mehr entspannt. Doch selbst fürs Nicht-Entspannen braucht man den passenden Sessel. Ach, Frau Elfenbein hat beim Putzen immer ganz philosophische Gedanken und eine Welle der Wonne wogt durch ihr Herz, als sie den Schmutzlappen im Schmutzwasser auswringt und nochmal über ihre Fußtapsen wischt. Ein blanker Boden – eine Wohltat! Sie wird sich einen Sessel kaufen!

Je länger das mit dem Zwangswohnen währt, um so sichtbarer wird der Schmutz. Frau Elfenbein hat den Dreck nie wahrgenommen, als sie noch in der weiten Welt vagabundierte. Jetzt wuchtet sie täglich Staubwedel, Wischlappen und Bohnerwachs gegen den stetig niedersinkenden Staub. Der kommt nicht aus dem Weltall, sondern wird abgeworfen von Haut und Haar, Hemd und Hose, Hausdecke und Handtuch… und einer haarigen Katze.

Heftig pfeffert sie Wischlappen und Schürze in einen Winkel. Die Sache mit dem Sessel will ihr nicht aus dem Kopf. Mit Maske und Impf-App marschiert sie zum Möbelhaus. Soll doch die Katz die Staubmäuse jagen. Ein neuer Sessel muss her… Ein Sessel, der sich ergonomisch Frau Elfenbeins aristokratischem Hintern anpasst, dynamisch schwingend, hydraulisch verstellbar, leicht. Nur so wird Wohnen wieder zur Wohltat! Sonst ist Frau Elfenbein ja so anspruchslos wie ein Käsebrötchen. Doch die Pandemie fordert ihren Tribut. Wer sich anpasst, überlebt!

Zum Glück ist Shopping noch nicht infektiös, nachdem jeglicher Spaß virusverdächtig auf dem Altar des Infektionsschutzes geschlachtet wurde. Knirschend zerbröckelt eine gebrannte Mandel unter Daphne Elfenbeins dritten Zähnen, als sie in der Cafeteria sitzt und Prospekte studiert, während eine Putzfrau mit OP-Maske den Feudel über die Bodenfläche schwingt. Dann setzt sich ein maskierter Mann im Möbelhaus-Kostüm an Frau Elfenbeins Tisch und mit 1,5 m Abstand und einem Tablet entwerfen sie gemeinsam einen Fernsehsessel mit hellbraunem Lederbezug und Alugestell. Das Design wird dann gleich zum 3-D-Druck ins Depot gegeben. Frau Elfenbein freut sich schon, bald federleicht im Sessel zu wippen, dem Himmel entgegen, der unter der Zimmerdecke endet.

Erschöpft kehrt sie abends vom Einkaufen zurück und reißt sich die Maske vom Gesicht. Endlich wieder wohnen! Doch die von Ikea und co. beworbene Wohn-Wellness muss warten! Da ist noch die Wanne auszuwischen und Wäsche zu waschen. Doch was wird nicht alles auf morgen verschoben. Denn nun wird weitere zum Wohnen wichtige Ware im Web bestellt. Es fehlt noch so Vieles.

Wenigstens ist Wohnen nicht ansteckend. Pech hat, wer sein Heim mit anderen teilt, oder mit lebensmüdem Leichtsinn noch Kontakte pflegt. Der einst so geschätzte Mitmensch ist zur Infektionsgefahr mutiert! Geduckt gehen wir aneinander vorüber. Auch Augenkontakt weckt schon Argwohn. Sirenengeheul von früh bis spät, wenn sie die Todgeweihten abholen, oder Durchgedrehte aufsammeln. Der Rest hat sich beim Lüften den Tod geholt.

Frau Elfenbeins Nachbarn zum Beispiel: Es ist ja nur eine Frage der Zeit, bis die auch infiziert sind. Dauernd klingeln Leute bei denen an der Tür und sie grölen und lachen und reden laut durcheinander. Sie presst das Ohr an die Wand, einen Zettel mit der Nummer der Notfallrettung in der Hand: Husten und röcheln sie schon? Wetten, die sind morgen alle in Quarantäne? Sie dichtet schon mal die Türen ab…

Bei Kerzenschein und Kräutertee feiert Frau Elfenbein ihre unbefleckte Gesundheit und wartet auf Ware, entschlossen, zu den Überlebenden zu gehören, wenn das Virus die Menschheit dahingerafft hat. In Ihrem Schwingsessel träumend produziert sie post-pandemische Prognosen: Sie wird ihre Waren nur noch aus den Wohnungsauflösungen der Corona Opfer erwerben, denn Amazon hat keine Mitarbeiter mehr. Sie wird ihr Gemüse selbst anbauen, denn der Rosenkohl wächst nicht mehr bei Penny. Nur ihr aerodynamischer Sessel. Auf dem wird sie dann irgendwann, wenn alles geputzt ist und das Wohnen beginnen kann, tief durchatmen ….

Daphne Elfenbein: Daphne Elfenbeins Leichenschmaus

Trauerweiden sind nicht traurig. Sie haben lediglich ein Bündnis mit der Schwerkraft. Drum lassen sie ihre Zweige runter hängen, statt sie in den Himmel zu stemmen wie die anderen Bäume, die Pappeln zum Beispiel. Überdies können sie ihre Finger ins Wasser tupfen, wenn ihnen zu warm ist. Das ist ökonomisch, ökologisch und nachhaltig. Jawohl! 

Daphne Elfenbein findet, dass Trauerweiden zu Unrecht auf Friedhöfen herumstehen. Wenn es auf Friedhöfen keine Trauerweiden gäbe, vielleicht würden dann nicht so viele Hinterbliebene weinen an den offenen Gräbern, die im Totenmonat November besonders häufig weit auseinanderklaffen und Einblicke in furchtbare Abgründe bieten… die Möglichkeit, selbst zu sterben vielleicht…

Es ist nicht gesund, sich an der Trauer zu weiden. Und dann einen Baum auch noch Trauerweide zu schimpfen, weil man glaubt, er ließe den Kopf hängen, wie die Menschen es tun. Das stimmt einfach nicht.

Drum hat Daphne Elfenbein beschlossen, ihre eigene Beerdigung zu feiern. Damit sie noch zu Lebzeiten was davon hat. Schließlich möchte sie wissen, wer sich noch etwas aus ihr macht und wer an ihrem offenen Grab die Augen rollt und mit schiefem Grinsen murmelt: Na endlich hat sie rübergemacht, wurde auch Zeit…

Na warte, euch werde ich’s zeigen! Schwört Daphne Elfenbein, als sie ein Café betritt und es sich in einen schwarzen Sessel fläzt, um ihr Schreibzeug auszupacken. Nicht dass sie jetzt einen Beitrag für Eisenbart und Meisendraht schreiben würde, nein, sie zückt den Stift und schreibt in großen Lettern „GÄSTELISTE“ auf den leeren Papierbogen. 

Dann legt sie eine Pause ein und schlürft Grünen Tee. Dazu gibt es ein Quarkkeulchen. Mit dem Löffel sticht sie in die fettgebackene Zuckerhülle und reißt ein Fenster auf, durch das sie Zugriff zur Vanillecreme erhält. Diese wird nun ausgelöffelt und lange im Gaumen zerdrückt, bis alle Geschmacksknospen aufgewacht sind und die Creme gemächlich den Rachen hinunterfließt. 

Dabei fallen Daphne Elfenbein sämtliche Leute ein, die NICHT auf die Gästeliste kommen. Also muss sie noch gar nichts schreiben und kann das Quarkbällchen auslöffeln, bis nur noch eine krosse braune Hülle übrig ist die sie mit zwei Fingern aufhebt und reinbeißt….

Keine Elektroroller-Fahrer, Keine Impfgegner, Veganer, AfD-ler, Fanatiker, Besserwisser und Weltuntergangs-Propheten. Und keine… ja was…. Keine…. VERWANDTEN!! Ganz besonders die sind ausgeladen. Gestärkt von Grüntee und Quarkkeulchen erklärt Frau Elfenbein auch warum:

Mit Verwandten verbinden sie noch unerwünschte Reste von Bindung, die ihr Ableben am Ende doch noch zum Drama hochstilisieren könnten. Also keine Verwandten zum Abschied. Denen läuft man im Jenseits sowieso über den Weg…gezwungenermaßen…

Ja wer soll denn dann eingeladen werden? 

die Dame, die immer auf dem Leopoldplatz schläft, die Säuferin von nebenan, der kleine Inder, der für Lieferando in die Pedale tritt, die Oma, die auf dem Sterbebett noch Sprachkurse gibt, all diejenigen, die ihre selbst gemachten Tontöpfchen, Recyling Täschchen und Natur-Seifen auf dem Wochenmarkt verkaufen…alle, die sich ein Talent zum Fröhlichsein bewahrt haben. Auch Zufällige Passant*innen sind willkommen! Es gibt Englischen Teekuchen und Selleriesalat mit Speckwürfeln.

Am Totensonntag im November findet Daphne Elfenbeins Leichenschmaus statt. Motto: Wir taufen die Trauerweide um. 

Vorschläge bitte einreichen unter: daphneelfenbein@online.de

Vom Weinen wird gebeten, während der Veranstaltung Abstand zu nehmen. Spenden für die Beerdigungskosten sind willkommen.

Es freut sich auf euch: Eure Daphne Elfenbein

Daphne Elfenbein: FERNSEHEN…

.. nein, nicht Medien, nicht Internet, sondern Fernsehen! 

Das ist das Gerät, das ich neulich im Ferien Appartement vorfand, das ich für meinen Urlaub gebucht hatte, nur 150 Meter bis zum Strand. Ich bin von Natur aus neugierig, drum habe ich abends, als ich sonnenverbrannt und erfrischt vom Strand zurückkam, doch mal diese Fernbedienung in die Hand genommen, mit der ich die Welt der Sendekanäle so wundervoll beherrschen kann. Obwohl ich zu Hause keinen Fernseher habe, ich will ja im Urlaub nichts verpassen. 

Auf dem Bildschirm erschienen ein Mann und eine Frau, jung, attraktiv, modisch gekleidet, eloquent, geschminkt, totale Gewinnertypen, sogar mit leicht anarchischen Merkmalen, wie z. B. der zum Zöpfchen geflochtene Bart beim Mann und die Tattoos bei der jungen Frau. Etwas steif und verkrampft saßen sie da und unterhielten sich ganz zivilisiert. Da die beiden nichts wirklich zu sagen hatten, zappte ich weiter. Ein Rettungssanitäter gab Auskunft zu mehreren umgekippten und ineinander verkeilten Lastwagen im Hintergrund. Man habe ein Bein amputieren müssen. Aha, denke ich und zappe weiter. So lange, bis ich wieder zu den beiden Herrschaften mit den Tattoos und dem Zöpfchen Bart komme. Wie aus dem 3D-Drucker sehen die aus. Doch was sie sagen, weckt noch immer nicht mein Interesse. Ich schalte die 35 Kanäle, die rund um die Uhr für mich da sind ab und öffne das WLAN auf meinem Smartphone…. Die Zugangsdaten hängen – für jeden Feriengast sichtbar – an der Wand. Doch auch hier fand ich heute nichts von Interesse.

Wenn ich also hier etwas über das Fernsehen sagen soll, muss ich von der Vergangenheit sprechen. Unser erstes Gerät war ein SABA Schauinsland T2000 color von 1967. Ich war sechs Jahre alt. Am Samstag nach dem Baden saßen 4 saubere Kinder, mit Grießbrei und Apfelmus abgefüttert, vor dem Fernseher zur Sendezeit von Daktari. Danach kreischten und hüpften wir wie Judy der Schimpanse, oder brüllten wie Clarence der Löwe. Später kamen andere Serien dazu. Bonanza, Tarzan, Raumschiff Enterprise. Nur Fußball und Nachrichten waren das Fernseh-Monopol des Vaters. Hier herrschten klare Verhältnisse. Drum gab es wegen des Fernsehens niemals Streit. 

Eine meiner lebhaftesten Kindheitserinnerungen war Karl-Heinz-Köpcke, der unseren Vater regelmäßig derart in Rage brachte, dass er aufsprang und tobte wie Rumpelstilzchen, weil Herr Köpcke seiner politischen Meinung widersprach. Als auch die Nachrichten zu einer kommerziellen Unterhaltungsware wurde, verlor Vater sein Interesse an Politik. Fortan schlief er bierselig vor der Flimmerkiste ein. Sein allabendliches Schnarchen und Grunzen, während bewegte Bilder vergeblich um seine Aufmerksamkeit buhlten, gehörte zu den friedvollen Momenten in unserem Familienleben. Manchmal schreckte er aus dem Schlaf hoch, wenn ein Schuss fiel oder eine Frau kreischte. Das weiße Rauschen nach Sendeschluss versetzte ihn in Tiefschlaf. Wenn der durchdringende Pfeifton das nächtliche Wohnzimmer zerriss, ging er zu Bett, wenn er es fand. 

Heute wird 24/7 gesendet Die guten Sachen nach Mitternacht, wenn ohnehin keiner mehr fernsieht, denn Vater verstarb noch bevor der Flachbildschirm erfunden wurde. Vielleicht das Beste für ihn. Denn während über den Röhrenbildschirm noch Inhalte mit gedanklicher Tiefe in die Wohnzimmer gelangten, war der Flachbildschirm eine folgerichtige technische Entwicklung. 

Ich verkaufte meinen letzten Röhrenfernseher 2004 für 5 Euro an einen Nachbarn. Bis dato hatte ich schwarz gesehen und dem GEZ Mann an der Haustür kaltblütig Lügen aufgetischt. Danach habe ich nie mehr ferngesehen. Paradoxerweise zahle ich seither aber diese Gebühren. Darüber könnte ich mich jetzt auslassen. Mach ich aber nicht. Das würde die Sendung sprengen und Prof. Eisenbart und Dr. Meisendraht zur Verzweiflung bringen. Die haben es eh schwer genug. 

Zurück zu meinem Urlaub. Ich habe für den Rest der Tage die Fernbedienung nicht mehr in die Hand genommen. WLAN habe ich auch nicht mehr genutzt. Das war kein Verzicht, sondern das natürliche Wegfallen von Überflüssigem, wenn man zu sich selbst kommt. 

Fernsehen erhielt dann seine ursprüngliche Bedeutung zurück. Ich sah in die Ferne. Zum Beispiel aus dem Fenster direkt in den Himmel, wo die Wolken sind und das Wetter gemacht wird, ohne die Vermittlung des Deutschen Wetterdienstes. Oder ich sah – auf der Bank am Meer sitzend – zum Horizont, dort wo Meer und Himmel zusammenstoßen, ein Ort, den man niemals erreicht. Nichts ist im Weg, nichts versperrt die Sicht, nichts beansprucht die Informationsverarbeitung in meinem Gehirn, sodass ich anfange wirklich zu sehen, den Wind im Gesicht zu spüren und den eigenen Atem, leicht und frei. Das ist nicht nur Fernsehen, liebe Leute, das ist Großes Kino…

Daphne Elfenbein: Das Märchen vom Waldbaden

Es war einmal eine Elfe. Die lebte auf einem Baum. Der Baum stand mitten im Wald der im Sommer herrlich nach Zedernholz roch und im Winter nach  dem feinen Moder gefallener Nadeln.  Die Vögel begannen im März ihr Konzert und im Herbst zogen sie in lärmenden Schwärmen über die Wälder  hinweg.  

Gerne ließ sich die Elfe an sonnigen Tagen in einer Astgabel zum Mittagsschlaf nieder. Dabei ließen die Schatten der Äste im Wind Sonnenflecken auf  ihrem Gesichtchen tanzen. Den Winter durchschlief sie meist in einem hohlen  Stamm, der an einem Bach stand. Erst wenn es kalt wurde, verschwand sein  liebliches Gluckern und Plätschern unter starrendem Eis. Doch wenn die ersten  Rinnsale sich wieder lösten und die Vögel zurückkehrten, putzte die Elfe ihre  Flügel und flog übermütige Kreise und Schleifen um Blumen und Bäume herum. 

Da kam eines Tages ein großer alter Elch und sprach: Kleine Elfe. Komm in die  große Stadt. Dort wartet ein wunderbares Leben auf dich. Du kannst arbeiten  und Geld verdienen und wohnst in einem schönen Haus und am Wochenende  gehst du ins Kino. Schau. Ich selbst arbeite schon lange bei einer Bank und habe  Geld auf dem Konto für das ich mir alles kaufen kann: Elchkühe, Zähne, Häute,  Wassertränken aller Art, und im Winter gibt`s heiße Kastanien. Gibt es auch  Elfen in der Stadt?, fragte die Elfe und zirbelte mit den Flügeln. Sehr wohl, sagte  der Elch: Viele interessante Elfen. Du wirst staunen. Ach ich weiß nicht recht,  murmelte die Elfe, und wippte im Takt ihres Herzschlags davon.  

Des Nachts konnte die Elfe nicht schlafen. Zu schön klang das Leben, das der  Elch ihr vorgemalt hatte. Und hatte sie selbst nicht längst genug von dem ein samen Leben im Wald? Es wurde Herbst. Es wurde Winter. Und immerzu dach te die Elfe an die Worte des alten Elchs. Arbeit,  

Geld, Kino, viele aufregende Elfen… Es war an einem Novembertag, an dem sie ausgiebig ihre Flügel putzte, Nüsse und Honigwaben sammelte und zum hohlen Baum trug zur Vorbereitung auf den Winterschlaf. Doch diesmal war der Baum besetzt. Ein dicker fetter Dachs machte sich breit in ihrem Winterdomizil. Hau ab, grunzte der nur und drehte ihr sein Hinterteil zu. Jetzt reicht`s mir aber, sagte die Elfe und schmiss ihre Sachen hin. Denn mit dem Dachs wollte sich keiner im ganzen Wald anlegen. Ich geh in die Stadt, rief sie, jawohl! Und schon packte die Elfe ihr Bündelchen und flog mit ihren frisch geputzten Flügeln in die Stadt.  

Als sie klein war, hatten ihre Eltern sie oft mit dorthin genommen. Damals hatte  sie ihren Elfengeschwistern alle alle Reklameschilder vorgelesen, an denen sie  vorbei geflogen waren. Die Elfe konnte nämlich lesen. Und nun war die Elfe  schon groß und flog ganz allein in die Stadt. Als Erstes ging sie zur Bank. Die lag direkt neben der Börse: Bitte, ich möchte Herrn Elch sprechen, sagte sie zu der  Frau am Schalter, die sie verwirrt anschaute. Dann drehte sie sich um und rief  zu ihren Kolleginnen: Schaut mal! Eine Elfe! Eine Elfe! Die Anderen eilten herbei  und riefen: Ja dass es so etwas noch gibt. Aus dem Wald, rief eine. Was? Gibt es  noch Wald?, fragte eine. Und da kam auch schon der Herr Elch im feinen Anzug  aus dem Backoffice: Ja guten Tag liebe Elfe. Ich freue mich, dass du zur Vernunft  gekommen und in die Stadt gekommen bist. Endlich, rief er und breitete die  Arme aus. Die Elfe flatterte auf seine Schultern. Zeigst du mir wohl, wo mein  Baum ist?, und Ihre Flügel summten. 

Und so kam die Elfe in die Stadt.  Der Herr Elch zeigte ihr einen unbewohnten Dachsbau in einem Mietshaus, einen Laden, in dem es Honig und Nüsse in Gläsern und Plastiktüten gab und ein Büro, wo sie jeden Tag hingehen musste zum Geldverdienen. Letzteres leuchtete ihr zwar nicht so ganz ein. Doch der Elch versicherte ihr, das habe schon alles seine Richtigkeit. Jeder müsse sich nützlich machen. Aha, meinte die Elfe und nickte vage.  

Und so zog sie ein in einer kleinen Betonschachtel und ging täglich ins Büro.  Eines Tages aber lief ihr der Dachs über den Weg. Tollpatschig strollte er über  die Straße und ein Mercedes machte eine Vollbremsung direkt vor seinem fet ten Hinterteil, das jetzt noch fetter geworden war. Die Elfe blieb stehen: Was  machst du denn hier? Nu nä, grunzte der Dachs, das mit dem Wald war nicht  mehr so mein Ding. Man wird älter… außerdem hab ich einen Job bei der Börse  bekommen. Die Elfe legte das Köpfchen schräg an den Flügel und überlegte: Ja,  eigentlich… das mit dem Wald war auch für mich nicht mehr so… 

Und so nahm das neue Leben seinen Lauf. Sie fuhr U-Bahn. Sie fuhr im Bus. Sie  kaufte hinter großen Glasscheiben allerhand ein, und am Samstag ging sie ins  Kino. Alle anderen Tage flog sie in einem Büro herum und trug auf ihren dünnen  Ärmchen Papierstapel hierhin und dorthin. Sie tippte schwarze Buchstaben auf  einen weißen Bildschirm, von dem ihr die Augen brannten. Sie lernte, dass ihre  Arbeitskollegen alle so taten, als seien sie keine Elfen. Denn sie waren nie zum  Spielen aufgelegt. Immer guckten sie ernst und streng und schüttelten missbilli gend den Kopf, wenn die Elfe jubelte, weil draußen Blütenstaub in unsichtbaren  Wolken durch den Äther stob.  

Es ging nicht lange und die Elfe wurde krank. Sehr krank. Immer war sie müde. Und nie hatte sie Lust zu irgendwas. Sie fing an komische Sachen zu machen: dass sie immerzu gegen die Wand flog in ihrem Zimmer oder Nächte lang mit hohem Flügelschlag an der Decke neben der Lampe hing wie ein gefangener Nachtfalter. Es wurde so schlimm, dass sie sterben wollte. Der Herr Elch sagte, nimm eine Aspirin, und geh zum Arzt. Der Arzt betastete Panzer und Flügel der Elfe und befand: Eigentlich bist du ganz gesund. Das ist bestimmt psychosomatisch 

Ich gehe zurück in den Wald, sagte die Elfe zu einer Nachbarelfe. Das ist mir alles zu komisch hier. Ich will nach Haus. Es war schon  wieder Frühling geworden und sie vermisste so sehr das Gluckern des Baches beim hohlen Baum, den Duft der Schneeschmelze und der ersten Veilchen. Be stimmt ist mein Baum jetzt wieder frei, dachte sie, packte ihr Bündel und flog  zurück in den Wald.  

Aber ach! Der ganze Wald war gerodet. Ihr Baum war nicht mehr da.  

Der Bach war begradigt und verlief unter der Erde. Sie musste das Ohr fest an die Erde pressen, um ihn zu hören. Der hohle Baum fehlte gänzlich. Die Erde war aufgeschürft wie eine einzige große Wunde. Oh weh! Rief sie, wo ist mein Wald? Wo soll ich jetzt hin? Im Torkelflug landete sie wieder vor der Haustür ihres Mietshauses. Ja hast du denn nicht die Zeitung gelesen?, fragte der Elch. Es ist doch allgemein bekannt, dass die  Bank den Wald roden lässt. 

Es ist eben der Stress, das Wetter, die Jahreszeit, sagte der Doktor, der am  nächsten Tag ihr rasendes Herzchen abhörte. Dann setzte er sich hinter seinen  Schreibtisch und holte den Rezeptblock aus der Schublade. Ich verschreibe dir  Waldbaden, sagte er.  

Waldbaden? Fragte die Elfe und schüttelte den Kopf.  

Du weißt nicht was Waldbaden ist?, fragte der Arzt, du bist doch eine Elfe. Ja ja, meinte die Elfe, und ließ den Kopf hängen.  

Waldbaden beruhigt, sagte der Doktor. Und Ruhe ist, was du jetzt brauchst.  Dann gab er ihr noch eine CD mit Vogelstimmen. Da, die musst du jetzt jeden  Abend zum Einschlafen hören. 

„Waldbaden ist gut gegen Krankheiten aller Art“, stand in dem Prospekt der Krankenversicherung. Die zahlte von nun an für das regelmäßige Waldbaden. Dazu musste sie lange im Zug fahren. Dann stand sie auf einem Parkplatz in einer großen Gruppe von Elfen auf Krücken, an Rädern, hustend, bleich wie der Tod. Die Elfe selbst war nur noch Haut und Knochen, winzig und blass mit durchsichtigen Flügeln. Der Waldtherapeut schnallte ihr einen Rucksack auf den Rücken. Ein Experte hielt den Neuankömmlingen einen Vortrag: Dieser Badewald gehört der Elch-Bank und ist zertifiziert wegen seines hohen Gehalts an Zedernöl. Hier liegt im Übrigen auch der Ursprung der Elfen! Am Bach könnt ihr das heilsame Plätschern des  Wassers hören. Aber ihr müsst immer auf den auf den vorgezeichneten Wegen bleiben…

Daphne Elfenbein: Der Mundschutz-Hype

Corona Corona Corona – das ist mein neuer Song.

Ich sing ihn von früh bis spät. Außer ich trag den Mundschutz, dann kann ich nicht singen. Mundschutz ist das Accessoire unserer Zeit. Ich hab schon ein Gewerbe angemeldet dafür. Alles online. Raus darf man ja nicht. Die Welt steht ja still. Jetzt vertreibe ich Designer Mundschutze übers Internet. Leute ich mach die große Kohle aus der Krise und sing dazu: Corona Corona Corona, während ich an der Nähmaschine hocke und die schönsten Stoffe zu den schönsten Masken nähe. Rot mit weißen Punkten. Weiß mit grünen Punkten, Glencheck, Burlington, Japanese, Karo mit Edelweiß, Regenbogen, Orientalisch, Jugendstil, Asiatisch, Vintage, Dalmatiner-Look, ein ganzer Katalog.

Wenn ich jetzt noch wie gewohnt zu meinem Nagelstudio, zur Massage und Kosmetik gehen könnte wie gewohnt, dann wär mein Leben perfekt. Stattdessen hat mir mein sehr geschätzter Göttergatte heute früh eröffnet: Du kotzt mich an. Bloß weil ich mal etwas länger in der Badewanne gesungen habe. Für mich ist eine Welt zusammengebrochen. Ich hab mich dann schön gemacht (das Vintage Kleid mit den Riesen-Orchideen, Parfum und Bambi Hütchen), und bin flanieren gegangen. Roter Mundschutz mit weißen Punkten. Passend zum Outfit. Und Abstand halten!

Prompt hat mich an See ein Jogger angerempelt. Ich hab geschrien und ihm ein Bein gestellt. Dann fuhr zufällig die Polizei vorbei. Sofort stand ein Pulk von Gaffern um uns herum. Ich will sofort ins Krankenhaus! Hab ich geschrien, einen Seuchen – Test machen. Ich lass mich doch von diesem dahergelaufenen Jogger nicht infizieren. Der Kerl wand sich am Boden und hustete mein Pfefferspray aus. Na ja, vielleicht überleg ich’s mir noch, ob ich ihn anzeige, ich zeig ihn sicher an.
Jedenfalls hatte ich dann, umringt von besorgten Leuten aus meiner Nachbarschaft, Gelegenheit meine Designer-Mundschutzmodelle vorzuführen, ich hab die ja immer dabei. Ich hab Riesen-Aufträge mit nach Hause gebracht.

Und kaum bin ich zu Hause… hab ich die nächste Geschäftsidee, obwohl mein Göttergatte schon wieder die Augen rollt deswegen.
„Unter Masken zu singen!“ Yes we can! Diese Krise macht mich reich! Ich biete online Seminare an, wie man unter der Maske singt. Corona Corona Corona… und dann texte ich einen Krisen-Song. schließlich war ich mal Opernsängerin… Es wird einen YouTube Kanal geben.

Huch! Es klingelt, das ist meine Delikatessen Lieferung. Schatzi, mach den Schampus auf. Es gibt was zu feiern.