Carolin Wabra: Heißgetränke

Vor mir steht wieder einer dieser Personen. Späte Mittagspause, schlecht sitzende Anzugshose zum fröhlich gestreiften hemd, dazu natürlich helle Sneakers. Schließlich ist heute casual Friday und da darf, ja muss, sollte man sich sogar ein bisschen gehen lassen. Ein bisschen laissez faire, ein bisschen livin la vida loca.

Und die pause von der konzernarbeit verbringt man dann natürlich in dieser wunderbar, regionalen cafe-rösterei in der kleinen straße ums eck. Weil in der geht es ja so herrlich unkonventionell zu und da riecht es ja auch so intensiv nach gemahlenen bohnen und da kann man ja auch einfach so gut abschalten von den kollegen und dem chef und den 38 ungeöffneten emails im postfach, die man in den letzten 20 min erhalten hat. Und dann stellt man sich an diese schwere bar aus dunklem holz und überlegt erstmal ob man die bohne aus brasilien oder doch äthopien nehmen sollte, weil die eine ja eher nach schoko-nuss und die andere nach traube-grapefruit schmeckt und man ja nicht weiß was sich jetzt besser auf aufgeschäumter hafermilch macht.

Glücklicherweise muss man diese entscheidung nicht alleine treffen, denn als wäre es Schicksal – nein, vielleicht sogar Bestimmung – gewesen, steht da wer hinter der Bar, dessen langjährige und unverschämte teure Barista-Ausbildung nun endlich zum Einsatz kommen darf. Endlich darf man sich diesen ganzen Fragen stellen. Wie denn der Mahlgrad nun eingestellt war? Und die richtige Rösttemperatur? Wie hoch denn der Wasserdruck im Stadtgebiet läge und wie viel Gramm von welcher Bohne bei einer Sonneneinstrahlung von 35 Grad östlich benötigt wird?

Wenn dann die wichtigen Dinge endlich geklärt sind, darf der Gast von seinen eigenen Café-Gewohnheiten erzählen, von der kleinen Aeropress, die man sich erst kürzlich angeschafft hat, weil die ja so wunderbar praktisch ist, wenn man im selbstgebauten VW-Bus durch Marokko fährt. Von der kleinen italienischen Siebträger-Maschine neben der Herdplatte, die aber immer ein wenig leckt. Von diesem total starken, süßlich duftenden Mokka, den man sich damals auf der Durchreise nach Vietnam am Flughafen in Dubai gegönnt hat. Ach, die orientalischen Café-Gewohnheiten schlechthin. Total anders ist das ja, aber so interessant. 

Und während dieses ganzen Gespräches kann man endlich sein im Internet angelesenes Wissen anbringen und hält nach diesem mindestens drei minütigen Ritual endlich das heilige Cappuccino-Kalb in den Händen. 

Wenn ich hinter einer dieser Personen stehe möchte ich sie immer ein klein wenig schubsen. Nicht sehr. Nur einen ganz kleinen Schubs geben, damit der frischaufgeschäumte Milchschaum über den Tassenrand schwappt und das feine Blattmuster nicht mehr so ganz akkurat durch den Schaum schimmert. Ich selbst bestelle dann meist einer dieser Cold Brew Cafes mit Tonic Water, weil das ja auch so unkonventiell und eben doch ein wenig anders ist. Und während der engagierte Mann hinter dem Tresen das kühle Getränk ins Glas füllt, erzähle ich von meinem Urlaub in Rom und diesem unfassbar authentischen Café an der Promenade.

Carolin Wabra: Fidgetspinner

Etwas liegt in meiner Hand. Es ist silber glänzend mit rosa-türkisfarbenen Streifen. „Metallic“, hat die Verkäuferin gesagt. „Total angesagt zur Zeit. Das geht weg wie..naja sie wissen schon…warme Semmeln, frische Schrippen, brandneue Brötchen. Meine Neffen haben das auch fährt sie fort. Und deren ganze Klasse. Zweimal hab ich schon eine neue Lieferung bestellt. Die Leute reißen es mir aus der Hand. Nur 7,50 Euro, kostet das und ist dabei jeden Cent wert. Das beruhigt die Nerven, sagt meine Tochter auch, das ist nicht nur Spielzeug für die Kids, sondern auch was fürs Hirn. Ich hab so viele Kunden die darauf schwören, wegen dem ganzen Stress heutzutage…wird ja alles immer schnelllebiger, die neuen Medien und die Erreichbarkeit. Naja sie wissen schon.“

„Das nehm ich“, habe ich gesagt. Habe das Geld aus meinem schwarzen, durchgegessenen Geldbeutel gefischt und in ihre rauen Hände gelegt, deren Fingerkuppen schon ganz wund waren.

Jetzt halte ich es in meiner Hand. Ganz kalt ist es, aber auch wenig weich. Es liegt gut darin. Ich stupse es leicht an als es auf meiner Fingerspitze liegt. Ganz behutsam bringe ich es in Bewegung, so als würde ich den kleinen Hundewelpen meiner Nachbarin das erste Mal mit vor die Tür nehmen, um ihm diese große weite Welt zu zeigen.

Ganz tapsig dreht sich auch das schimmernde Ding auf meinem Finger. Es strauchelt etwas, fängt sich aber schnell und kommt in Bewegung. Immer schneller wird es je öfter es seine Runden auf meiner Fingerkuppe dreht. Die Geschwindigkeit zieht mich in den Bann, kleine Reflexionen die, die das Licht auf der Oberfläche zeichnet laufen die Wände meines Zimmers entlang. Es ist so schön. So unfassbar schön.

Das habe ich geschaffen. Alleine, ich, hier, in meinem Zimmer. So stolz war ich das letzte Mal nach dem Abitur. Glaube ich. Habe ich aber vergessen.

Vermutlich war ich nie wirklich stolz. Auf was denn auch. Die abgebrochene Ausbildung und den Job an der Tanke, den ich habe seitdem ich 15 bin. Stolz kann man darauf nicht sein. Vor allem nicht, wenn alle, um dich herum etwas Richtiges studieren.

Als sie noch studierten konnte ich auf sie herabblicken. Schließlich hatte ich ein festes Gehalt, arbeitete 40h. Begrüßte Kunden, füllte Regale auf, langte Kaffee und Leberkäse über die Theke und nahm mir Samstagabend die liegengebliebene Motorsport und die Zeitungen ab 18 mit nach Hause. Ein systemrelevanter Arbeitsplatz würde man wohl sagen. Damals haben sie mich noch beneidet, redete ich mir ein. Sie, die mit dem Fahrrad zu mir kamen und Bier und Zigaretten zu kaufen, sie die mit weniger als 800 Euro im Monat auskamen und den Kopf voller unwichtiger Texte hatten von Menschen die schon längst nichts mehr zu sagen hatten.

Die langen Studienjahren holen die nie wieder auf, glaubte ich. Bis ja, bis sie ihr Studium beendet hatten, ihre Haare kürzten, ihre Moralvorstellungen gegen regelmäßige Gehaltseingänge und das Fahrrad gegen die neue C-Klasse tauschten. Dann merkte ich dass ich es war der sie beneidete.

Jetzt grinsten sie mich halb feixend, halb mitleidig an, wenn sie zu mir kamen. Na, immer noch hier? Ja, ja, doch. Macht Spaß, gut bezahlt. Ja, ja. Gehört dir der Laden mittlerweile? Ne, nee. Ich bin da bescheiden, so. Ist ja auch schwierig so ohne Abschluss. Naja, der steinige Weg ist der lohnende und so…sie wissen schon. Da habe ich bemerkt, dass ich es war der die ganzen Studienjahre nicht mehr aufholte, der, der stehengeblieben war. Der, der es zu nichts gebracht hat in dieser Gesellschaft in der es doch alle irgendwie zu irgendwas bringen müssen.

Aber jetzt. Jetzt bringe ich etwas in Bewegung. Kein Stillstand mehr in meinen Händen, nur noch Geschwindigkeit, Fortschritt. Ich bin gottgleich, allmächtig. Ich bin alles. Ich bin alles durch dieses metallische Geschöpf. Der dreifaltige Kreisel in meinen Händen. Ein beruhigendes Zischen füllt die Stille um mich herum aus. Ich stelle mir vor, dass wir gemeinsam abheben. Dass sich das schimmernde Ding von meiner Fingerspitze bewegt, nach oben steigt und mich mitzieht an die Decke meines Zimmers. Dann stoßen wir beide gegen den rauen Putz. Ein dumpfes Geräusch macht das. Dann ist. der Hype vorbei.