Christian Knieps: Für was Verben?

Eine kaum zu identifizierende Leiche, grässlich zugerichtet, auf dem nackten Boden, der blutdurchtränkte, in der gleißenden, unbarmherzigen und an dem Geschehen unbeteiligten Sonne, mit massenhaft schwirrenden Fliegen überall, dieses eindringliche gleichfrequente Summen, dieser beißende, bleierne Geruch nach fortgeschrittener Verwesung, beginnende Zersetzung allen ehemaligen Lebens, hinaus nach dem längst eingetretenen Tod. 

Starke, höchst emotionale Ablehnung von meiner Seite aus, die Ermittlung, nicht mein Wunsch, großer Drang nach Weglaufen, doch hier, an diesem Ort, meine neue, ungewollte Ermittlung, dieses menschliche Desaster vor mir und in meinem schmerzenden Kopf. 

Der eigenartige, äußert mitteilsame Täter, seine exakte Adresse und Handynummer auf der ansonsten zugerichteten, vor uns liegenden Leiche, penibel saubere Schrift, fast zu perfekt, nahe an einer gedruckten Druckschrift, comic sans serif, diese spaltende Schriftart, geliebt oder verhasst. 

Meine überaus engagierten Kolleg:Innen, unterwegs zu der auf der Oberhaut der Leiche angegebenen Adresse, ausgeschaltetes Blaulicht, keine unnötige Aufmerksamkeit, auch wenn der vermeintliche Täter, der mitteilsame, die Ankunft erwartungsfroh, am dreckigen Fenster hinter dem ebenfalls dreckigen Vorhang erkennbar, zitternd und über den Maßen stark schwitzend. 

Ein vermeintlich einfacher Einsatz, in Sicherheitsausrüstung anrückende Kolleg:Innen, gepanzerte schwarzgefärbte Kevlarprotektoren, vorsichtiges, koordiniertes Vorrücken, der nervöse Täter hinter dem durchscheinenden Vorhang, erwartungsgespannt auf die nähere Zukunft, die langsamen, zähflüssig verrinnenden Sekunden. Näherung, minutiös kontrolliert, professionelles Training und exakte Umsetzung, einem ballettesken Schwanentanz gleich, Kommandos per abgesprochenen Zeichen, Umstellung des baufälligen Hauses, Klärung der Bereitschaft aller beteiligten Einheiten Zugriff, Sturm durch die nicht abgeschlossenen Türen vorne und hinten, Drücken des Knopfes trotz allen Schweißes, augenblickliche Zündung der angebrachten, versteckten Bomben, grande catastrophe, unsere geordnete Welt völlig anders als zuvor.

Matt S. Bakausky (mit Alex K) – Die Schmähl-Eiche

Als Kind war ich gut im Tauchen, ich liebte die Besuche im städtischen Schwimmbad. Als ich dann mein erstes Haus mit den Millionen aus der Schriftstellerei gekauft hatte, war ich voller Freude. Nur ein Nachbar weit und breit und es gab eine wunderschöne Gartenanlage mit viel Platz. Vor meinen Augen hatte ich bereits den Swimming Pool eingeplant. Bei Brenners beauftragte ich das Schwimmbecken, zahlte in Bar. Denn Bargeld lacht.

Sie kamen vorbei und nahmen Maß. Dieser eine Baum müsste gefällt werden. Das würde ich locker in Kauf nehmen, dachte ich mir. So ein Baum mehr oder weniger würde doch nicht stören. Da irrte ich mich wohl. Herr Brenner sagte, dass man für so einen Swimmingpool-Bau im Garten bei der Behörde sich eine Genehmigung holen müsste. Eine reine Formalität.

Dienstag zwischen zehn und 14 Uhr wollte ein Herr Humpfel vorbeikommen und  ich dachte mir, der schaut sich das nur an und unterschreibt dann die Papiere. Aber Pusteblume. „Als Kind tauchte ich gerne und es war schon immer mein Traum einen eigenen Swimmingpool zu haben“, erzählte ich dem Humpfel, als er auftauchte. Er betrachtete den Bauplan und dann den Garten. Dann zeigte er auf den Baum. „Das ist eine Schmähl-Eiche, die steht unter Naturschutz.“ Ich schaue entgeistert. „Ja, kann man die nicht irgendwie woanders hinstellen?“ – „Ja ja, der Glaube versetzt Berge…“, sagt da Herr Humpfel, „aber so ne Schmähl-Eiche, die hat Wurzeln, das ist ihnen bewusst? Ne, die sind auf ihrem ganzen Grundstück.“ Ich schaue jetzt blöd.

„Das wird nichts mit ihrem Swimmingpool, sie können ja ein Planschbecken aufstellen“… Irgendwas in mir zerbrach in diesem Moment, ich konnte einfach nicht anders. Als kleines Kind war ich gut im Tauchen, ich liebte die Besuche im städtischen Schwimmbad. Es kam jetzt über mich, als ich wieder nüchterner wurde, lag da ein Herr Humpfel mit zermatschten Gesicht und in meiner Hand die verrostete Gießkanne, verschmiert mit Blut.

Am nächsten Tag kam ein Kommissar vorbei, um mich zu befragen. Ein Herr Humpfel hätte bei mir am gestrigen Tag einen Termin bei mir gehabt zu einer Begutachtung. Ich sagte, dass er irgendwie nicht erschienen wäre und dass ich mich zwar gewundert, aber nichts weiter dabei gedacht hätte. Der Kommissar notierte Dinge auf seinem Block.

Am Abend  ein Sucheinsatz. Das ganze Dorf sucht nach Herrn Humpfel von der Behörde. Mein Haus wird von der Polizei durchsucht. Kein Herr Humpfel wird gefunden. Irgendwann am frühen Morgen steht der Kommissar in meinem Garten und betrachtet den Baum.

„Wir wissen mittlerweile, dass sie gelogen haben, ein Nachbar hat Herrn Humpfel an ihrem Hauseingang gesehen“, sagt der Komissar. „Ich… ich…“ – mehr kommt nicht aus mir raus. „Wir werden jetzt ihren Garten ausgraben müssen“ – „Sehen Sie den Baum, das ist eine Schmähl-Eiche, sie steht unter Naturschutz.“

Der Kommissar beginnt zu telefonieren. Ich höre nur die Worte „Schmähl-Eiche“ und „Kann man da nichts machen?“… Dann wendet er sich mir zu: „Sie sind vorläufig festgenommen…“ Mir werden Handschellen angelegt.

Als Kind war ich gut im Tauchen, ich liebte die Besuche im städtischen Schwimmbad. Nach einem Tag in der Zelle kam ich wieder in Freiheit, das Auto von Herrn Humpfel wurde gefunden – auf dem Grundstück von meinem einzigen Nachbarn. Derjenige, der gegen mich ausgesagt hatte.

Einige Zeit später stand das Nachbargrundstück zum Verkauf. Ich schlug zu und ließ die Brenners einen Swimming Pool bauen.