Harald Kappel: frische Wichtel

die Kirche
geisselt die Unzucht
die welken Engel
verbreiten das Laster
auf der Flaniermeile
ist ein Strich gezogen
die Wasser fliessen rückwärts
in ihren Quell

der Kardinal 
ein fetter Bläser
lebt seinen goldenen Traum
unter der Soutane
pulsiert das Aspergill 
harzt der Weihrauch
Oblaten sind getrüffelt
im Katalog
hat man
den Priesterkalender
im Internat
frische Wichtel bestellt

das Bussgeld ist witzig
die Oblaten flambiert
der Weihrauch entleert
die Verdauung intakt
Testikel werden pochiert
die Engel
verbreiten das Laster
der Kardinal
auf der Flaniermeile
zieht 
keinen Strich

Harald Kappel: abgeschenkt

das Neonlicht
flackert
in der Dunkelheit
in meinem Dorf
winden sich die Lenden
am Euter

der Spucknapf
ist fett
und einsam
am Lagerfeuer
wird er zur Butter
für Steckrüben

am Arsch der Welt
zählt nur
das Ritual 
rote Lippen 
sind ein Skandal
nass
zeigen sie
die Wirklichkeit
ungefragt 

das Neonlicht 
flackert
am Arsch der Welt
zählen nur
Geschenke

Theobald Fuchs: Tapezierer – Gefährder oder gefährdet, so viel ist unklar!

Wie gefährlich sind Tapezierer? Ist das massenhafte Auftreten von Tapezieren wirklich ein Zeichen für eine florierende Ökonische? Oder eher der Vorbote, dass die Menschen die Freundlichkeit verlernt haben?  

Aus aktuellem Anlass fragen wir: Wie gefährdet sind Tapezierer wirklich?  

Stimmt es, dass sie nicht mehr wissen wie man lächelt und daher alles »hinter die Tapete kehren« wollen? Fragezeichen…?  

Aber nein: wie ein Neuseeländisches Experiment gezeigt hat: die unkontrollierte Vermehrung des gemeinen Tapezierers bringt andere Gruppen rasch in Bedrängnis. Zum Beispiel den wandernden Kalkbrenner, die Papierschöpferin oder das nächtliche Mauerkratzerlein. Und was reimt sich schon auf Tapezierer? Richtig: Gegenieber.  

Das hat das Neuseeländische Experiment deutlich gezeigt: Die Übersiedlung der wenigen Überlebenden nach Australien – völlig sinnlos. Plötzlich flohen alle australischen Furzkissenbläser*innen über den »Leimeimer«, wie der Pazifik zwischen den Kontinentalstaaten genannt wird.  

Nun hat Neuseeland ein Problem, während in Australien alle Wohnungen schön Raufaser. Die Tapezierer jedoch, die haben sich erst noch einmal kräftig vermehrt und dann gegenseitig. So ist das eben in der Praxis.  

Scheiß auf Neuseeland. Elitäres Blumenmuster-Pack… Meine liebe Güte, bin ich heut drauf! Na ja, ganz normal. Lag heut früh schon Gefährdung in der Luft. Irgendwas mit dem Wetter, man glaubt es nicht! 

Gordie Lachance: Im Nebel oder Mit 17 hat man noch Träume

Ich bin bei dir und bin glücklich.  
Das Gedicht über deinem Bett sagt, dass kein Mensch den anderen sieht und jeder allein ist. Ich kenn dieses Gedicht fast auswendig, so oft habe ich es gelesen.
Jetzt lese ich es zum ersten Mal, ohne mich dabei einsam und ungesehen zu fühlen.
Weil du mich siehst. 

Meine Mutter ruft an und sagt, dass ich heimkommen soll, weil mein Vater „wieder spinnt“. 
Ich will bei dir bleiben, verdammt. Aber „spinnen“ kann Mord und Totschlag bedeuten. Glaub ich. 

Du sollst mich nicht für ein Muttersöhnchen halten. Ich versuche, einen coolen Abgang hinzulegen. Ich gebe dir einen pseudo-ironischen Handkuss. Bescheuert. Dann renn ich nach Hause, im Glauben, meine Mutter retten zu müssen.
Als ich heimkomme, ist gar nix los. Meine Eltern gehen sich nur aus dem Weg, sonst nix. Arschlöcher.

Ich telefoniere mit dir und irgendwie ist es komisch. Du sagst, dass du mich wieder anrufst und legst auf.

Du rufst nicht an und ich ruf dich nicht an, weil du gesagt hast, dass du mich anrufst und ich mich nicht aufdrängen will. 

Ich möchte irgendwas für dich sein.

An einem Sonntagabend sitz ich mit meiner Mutter vorm Fernseher. Es war den ganzen Tag friedlich, weil mein Vater Notarztdienst hatte und deshalb kaum zu Hause war. Jetzt kommt er heim. 

Er sagt, dass man deine Leiche gefunden hat. Dass du dich in den Tod gestürzt hast.

Sowas kommt vom Kiffen, sagt mein Vater. 

Sowas kommt von Menschen wie dir, schrei ich ihn an.

Am Ende bin ich nur sich selbst.

Franz Walser: Maßnahme

Ja guten Tag Sie ham keine Arbeit grade? Na da müssen wir eine Maßnahme durchführen

Da wird jetzt mal ordentlich Maß genommen 🙂

Aha ja 1,73, das reicht natürlich nicht, kein Wunder ham Sie keine Arbeit, hier Sie machen jetzt mal ein Training. 

Schön Rücken durchdrücken, ja, schön, gleich 2 Zentimeter mehr, haben Sie mal über Schuhe mit Absatz nachgedacht? Sehen Sie ja das sind so die Kniffe, sowas will gelernt sein, gell da freuen Sie sich ja direkt, dass Sie zu uns gekommen sind, nicht wahr?

Sehen Sie ich wäre ohne eine Maßnahme nie hier gelandet, unter 1,80 geht hier gar nix, außer Sie ham ein Attest.

Da muss man auch mal dankbar sein, Sie wären ganz überrascht, wenn Sie wüssten, wie ich früher…

Ach einen Master haben Sie? Na das ist schön, ich bin ja promoviert, aber ohne Maßnahme bringt einem das heutzutage ja nix mehr.

Na genug Smalltalk, haha, small, klein, von wegen, Größe ham Sie gezeigt, also, Sie haben ja bestimmt noch einiges zu tun, nicht wahr? Jetzt wo Sie wissen wie man sich, na, genau, toll. Na dann noch einen schönen Tag Ihnen und viel Erfolg, Sie kommen noch hoch hinaus, haha.

(Die gemessene Person verlässt, auf den Zehenspitzen balancierend, das Zimmer, die Maßnahmenperson setzt sich auf den Teppich vor ihrem Schreibtisch, kontrolliert mit einem Blick verstohlen, ob die Tür zum Nachbarbüro geschlossen ist, zieht die Absatzschuhe aus, macht den Rücken krumm, fast Embryonalstellung, und weint leise in sich hinein.)

Lea Schlenker: Das Liebesgedicht einer Frau, die zu Weihnachten keine Geschenke macht

Die Autowaschanlage ist heute geschlossen 
Ich sehe nur von weitem aus Möwen  
die sich auf dem Parkplatz versammelt haben 
Wir sind nicht mehr in Bern 
Hier kennt uns überhaupt niemand mehr 
Alle unsere Freunde die morgen wieder arbeiten 
In einem Kaufhaus oder in einer Kanzlei oder in einem Radiostudio
Die werden nächste Woche alle tot sein 

Mein Dichter, mein Hochstapler,  
Lieber bin ich dumm als brillant wie du 
lieber bin ich glücklich als weinend wie du 
mein dilettantischer Schwerenöter 
Du sitzt auf deinem Stuhl als verhandelst du mit Kleinkriminellen
verteilst Küsse als würdest du auf Holzkohlen gehen.  

Wenn du mich dann hochhebst und ich versuche zu fliegen  
den Mond holen will und die Sterne stehlen  
und auf dem intergalaktischen Schwarzmarkt verkaufe 
siehst du aus wie ein Kind, und ich wie eine Erwachsene.  

Die Autowaschanlage ist heute geschlossen 
Ich sehe nur von weitem aus Möwen  
die sich auf dem Parkplatz versammelt haben 
Wir können uns in einem leeren Kino verstecken 
Mit meinem Schwager der durch den Saal ruft 
Wenn das Popcorn etwas mehr Salz dran hätte würde ich vielleicht wiederkommen 

Gelächter von der Frau an der Kasse von La vie claire 
Mit dem hellblauen Haarband und dem silbernen Nasenring  
Gelächter von dem Pizzabäcker 
Der seit Jahrzehnten Pizza mit Emmentaler Käse für Touristen bäckt
Gelächter von dem grauen Ehepaar 
Das auf dem Weg zum Aussichtspunkt vom Weg abkommt und verhungert
Das könnten wir zwei sein 
Wenn wir nur einmal so mutig wären

Uschi Heidinger: Tinkerbell in New York

Mit ihren 20 Jahren sitzt Tinkerbell angegurtet im Flugzeug, schwebend über New York. Gleich soll nun die Maschine landen. In Gedanken ist sie bereits bei ihrer besten Freundin, mit der sie zusammen eine kleine Wohnung tief unten in dieser Großstadt besitzt. Lyra wollte sie eigentlich abholen. Ob sie daran gedacht hatte?

Auf dem Nachhauseflug, von Paris herüber, konnte sich Tinkerbell gut mit ihrem etwa gleichaltrigen Reisenachbarn unterhalten. Er sah nett aus, mit seinem offenen Gesicht und den kurzen lockigen, dunklen Haaren. Sein Blick besitzt etwas Vertrauen Erweckendes, dass sie veranlasste, sich mit ihm zu befassen.

Als sie die Landung gut hinter sich gebracht, beginnt im Innenraum reges Treiben. Jeder will möglichst schnell sein Handgepäck mit sich nehmen, um sein jeweiliges Ziel zu erreichen.

So eilt auch Tinkerbell in die große Halle und vergisst doch, sich nach deem Namen ihres so netten Begleiters zu erkundigen. Freudig entdeckt sie in der Halle Lyra, die heute sehr fesch gekleidet, den Abholtermin der Freundin doch nicht vergessen. Lyra besitzt einen Kleinwagen, während Tinkerbell noch nicht die Prüfung für einen Führerschein in Angriff genommen.

Beide betreten den Flur ihrer gemeinsamen 3 Zimmerwohnung. Jede der Beiden bewohnt hier, am Central Park ein Zimmer, der dritte Raum dient als gemeinsames Wohnzimmer. Eine geräumige Küche lädt zum kochen, sitzen und klönen ein. Der gesamte Bereich beider ist hübsch gestaltet und trägt jeweils die spezielle Note der Einzelnen. Hier fühlen sie sich wohl. Auch eine große Terrasse, auf der viele Pflanzen wachsen, schließt sich der Küche an.

Tinkerbell erkundigt sich bei ihrer Mitbewohnerin, wozu diese heute so elegant gekleidet sei? „Nun, Du wirst nicht mehr daran gedacht haben, aber heute Abend ist mein erster großer Abend. In der Osloer Galerie. Wirst Du mich begleiten, damit ich seelische Unterstützung habe?“ „Da fragst Du noch? Natürlich werde ich dir Schützenhilfe leisten.“

„Tinkerbell, bevor wir los düsen, wollte ich mich noch nach Deinem Rückflug erkundigen. Hast Du immer noch Flugangst?“ Tinkerbell antwortet ihr: „Du wirst es mir nicht glauben, aber neben mir saß ein so himmlisch netter und interessanter junger Mann, dass ich kaum zum Angst haben gekommen bin. Leider vergaß ich, mich nach seinem Namen und der Adresse zu erkundigen. Aber er dachte auch nicht daran. Ich weiß nur, dass er auch in New York lebt und irgendetwas mit Theater zu tun hat. Wie soll ich ihn nur wieder finden in dieser großen Stadt?“ Geplagt von schweren Seufzern ruht sie auf dem Sofa des gemeinsamen Wohnzimmers.

Lyra fährt kurze Zeit später, nach Ankunft der Freundin weiter und parkt das Auto in einer Seitenstraße der Ausstellungsräume. Hier wird sie dringend von ihren Helfern gebraucht, um die Bilder während der Vernissage gut präsentieren zu können. Tinkerbell wird später mit einem Taxi nachfolgen.

Viele interessierte Gäste besuchen heute am 4. Juli, dem Nationalfeiertag der USA, die Galerie. Bei dieser Präsentation geht es für Lyra um mehr, als nur um einzelne Gemälde zu verkaufen. Hier dreht es sich auch darum, sich einen Namen in der Kunstszene zu machen. Aber ob das von Erfolg gekrönt sein kann, wird man doch erst am nächsten Tag in der Zeitung lesen können.

Eine Menge an Besuchern belagern Lyra. Tinkerbell kann unmöglich zu ihr durchdringen. So beobachtet sie aus den Augenwinkeln das Verhalten einzelner Kunstliebhaber. Die Bilder sind für die Freundin nicht neu. Sie kennt viele davon und hat auch schon für einige Modell gestanden. Wenn es sich nicht um ihre beste Freundin handeln würde, sie wäre längst nach Hause gegangen. Sie findet das ganze ein wenig affig. Tinkerbell, die selbst momentan noch eine Schreinerlehre absolviert.

Aber irgendwann wird es ihr doch zu viel. Sie spürt den Flug noch in den Knochen, winkt Lyra kurz zu und so verlässt sie die Ausstellung, indem sie die enorme Glasflügeltüre leise hinter sich schließt. Sie winkt eine Taxe heran. Zu Hause fällt sie todmüde endlich in ihr ersehntes Bett. Mit einem letzten Gedanken an ihren so gut aussehenden Flugbegleiter schläft sie endlich ein.

Tinkerbell erwacht am nächsten Morgen. Sie findet bereits in der Küche frischen Kaffee und Brötchen vor. Nimmt Platz.

Vor ihr liegt ein Zettel mit einer Nummer.

Lyra kommt aus dem Bad. Tinkerbell zu Lyra: „Was ist das denn für eine Telefonnummer?“ „Dreimal darfst du raten!“

Tinkerbell bekommt große Augen. „Nee, echt?“ Freudig öffnet sie ihr erstes Brötchen. „Wie bist Du denn an die geraten?“ Lyra: „Wenn Du nicht schon so bald gestern von der Ausstellung heimgegangen wärst, hättest du ihn selbst getroffen. Er war vergangenen Abend derjenige, der ein Bild mit Deinem Portrait von mir kaufte.“

Fabian Lenthe: FFP2

Ahh, Herr Söder! Schön, dass ich Sie treffe!

Gott zum Gruße!

Ähh, ja… Sie gehen auch hier einkaufen?
Hier, in meinem Lieblingsdiscounter,
das hätte ich ja niemals gedacht.
So nah am Volk, Respekt!

Was? Nein, achso….
nene, ich bin nur hier um….
um..ich wollte nur…

Ja, Herr Söder….
der Leberkäs ist übrigens grad im Angebot…
1,39€

Mmmhh…najaaaa,
ich wollte eigentlich nur schauen,
ob jeder eine FFP2-Maske trägt.
Ich trage ja schließlich auch eine!

Oh, ja, das verstehe ich natürlich.
Wie Sie sehen trage ich auch
nur ein T-Shirt um den Mund.
Aber gehen wir doch einmal kurz
zu den beiden Herren neben dem Mülleimer,
die gerade ihr Frühstück trinken,
dann können Sie sich ja selbst überzeugen!

Nein, BITTE, ich…

Was ist denn mit Ihnen,
fühlen Sie sich nicht wohl? …
Ich verstehe! Naja, aber jetzt,
wo wir schon einmal so schön beinander sind,
würden Sie mir vielleicht Ihre Maske geben?

Ich weiß nicht…ich…

Sehen Sie, ich habe noch 5€
für die nächsten zwei Tage,
bin hungrig und habe keine FFP2-Maske.
Das bedeutet entweder Maske oder Spaghetti,
aber ohne Maske keine Spaghetti,
verstehen Sie?

Nein?!?

Nein?
Also gut, ich erkläre es Ihnen noch einmal,
damit Sie es auch verstehen, okay?

EY, KALLE…KOMMSTE MA SCHNELL HER!

Hören Sie sofort auf!

Jetzt stellen’se sich ma nich so an!
LOS, MASKE HER, ICH HAB HUNGER!!

HILFE HIL…

Na bitte, geht doch!
Vielen Dank für ihre Kooperation, Herr Söder.
Und jetzt geben’se mal ne Runde Masken aus,
ABER DALLI!

Uschi Heidinger: Soziale Gestalt

Was ist denn mit sozialer Gestalt?
Hauptsache die werden reich alt
und gar den Boden nach unten verlier’n
Ich könnte jedem von denen da oben
am liebsten eine schmier’n

Da steigt mir der Ärger hoch
und wutentbrannt denk‘ ich,
das wieder mal fand,
was Geld zu Geld sich auf Banken häuft
und was macht der Arme ohne Geld?
Er säuft.

In Frust zu verarmen und wissen,
es wird nie so sein,
Wünsche mir zur erfüllen.
Mann/Frau findet sich drein.
Aber freiwillig niemals aufgeben ihr Ziel,
dass jeder Mensch gleich wert so viel.