Daphne Elfenbein: Das Märchen vom Waldbaden

Es war einmal eine Elfe. Die lebte auf einem Baum. Der Baum stand mitten im Wald der im Sommer herrlich nach Zedernholz roch und im Winter nach  dem feinen Moder gefallener Nadeln.  Die Vögel begannen im März ihr Konzert und im Herbst zogen sie in lärmenden Schwärmen über die Wälder  hinweg.  

Gerne ließ sich die Elfe an sonnigen Tagen in einer Astgabel zum Mittagsschlaf nieder. Dabei ließen die Schatten der Äste im Wind Sonnenflecken auf  ihrem Gesichtchen tanzen. Den Winter durchschlief sie meist in einem hohlen  Stamm, der an einem Bach stand. Erst wenn es kalt wurde, verschwand sein  liebliches Gluckern und Plätschern unter starrendem Eis. Doch wenn die ersten  Rinnsale sich wieder lösten und die Vögel zurückkehrten, putzte die Elfe ihre  Flügel und flog übermütige Kreise und Schleifen um Blumen und Bäume herum. 

Da kam eines Tages ein großer alter Elch und sprach: Kleine Elfe. Komm in die  große Stadt. Dort wartet ein wunderbares Leben auf dich. Du kannst arbeiten  und Geld verdienen und wohnst in einem schönen Haus und am Wochenende  gehst du ins Kino. Schau. Ich selbst arbeite schon lange bei einer Bank und habe  Geld auf dem Konto für das ich mir alles kaufen kann: Elchkühe, Zähne, Häute,  Wassertränken aller Art, und im Winter gibt`s heiße Kastanien. Gibt es auch  Elfen in der Stadt?, fragte die Elfe und zirbelte mit den Flügeln. Sehr wohl, sagte  der Elch: Viele interessante Elfen. Du wirst staunen. Ach ich weiß nicht recht,  murmelte die Elfe, und wippte im Takt ihres Herzschlags davon.  

Des Nachts konnte die Elfe nicht schlafen. Zu schön klang das Leben, das der  Elch ihr vorgemalt hatte. Und hatte sie selbst nicht längst genug von dem ein samen Leben im Wald? Es wurde Herbst. Es wurde Winter. Und immerzu dach te die Elfe an die Worte des alten Elchs. Arbeit,  

Geld, Kino, viele aufregende Elfen… Es war an einem Novembertag, an dem sie ausgiebig ihre Flügel putzte, Nüsse und Honigwaben sammelte und zum hohlen Baum trug zur Vorbereitung auf den Winterschlaf. Doch diesmal war der Baum besetzt. Ein dicker fetter Dachs machte sich breit in ihrem Winterdomizil. Hau ab, grunzte der nur und drehte ihr sein Hinterteil zu. Jetzt reicht`s mir aber, sagte die Elfe und schmiss ihre Sachen hin. Denn mit dem Dachs wollte sich keiner im ganzen Wald anlegen. Ich geh in die Stadt, rief sie, jawohl! Und schon packte die Elfe ihr Bündelchen und flog mit ihren frisch geputzten Flügeln in die Stadt.  

Als sie klein war, hatten ihre Eltern sie oft mit dorthin genommen. Damals hatte  sie ihren Elfengeschwistern alle alle Reklameschilder vorgelesen, an denen sie  vorbei geflogen waren. Die Elfe konnte nämlich lesen. Und nun war die Elfe  schon groß und flog ganz allein in die Stadt. Als Erstes ging sie zur Bank. Die lag direkt neben der Börse: Bitte, ich möchte Herrn Elch sprechen, sagte sie zu der  Frau am Schalter, die sie verwirrt anschaute. Dann drehte sie sich um und rief  zu ihren Kolleginnen: Schaut mal! Eine Elfe! Eine Elfe! Die Anderen eilten herbei  und riefen: Ja dass es so etwas noch gibt. Aus dem Wald, rief eine. Was? Gibt es  noch Wald?, fragte eine. Und da kam auch schon der Herr Elch im feinen Anzug  aus dem Backoffice: Ja guten Tag liebe Elfe. Ich freue mich, dass du zur Vernunft  gekommen und in die Stadt gekommen bist. Endlich, rief er und breitete die  Arme aus. Die Elfe flatterte auf seine Schultern. Zeigst du mir wohl, wo mein  Baum ist?, und Ihre Flügel summten. 

Und so kam die Elfe in die Stadt.  Der Herr Elch zeigte ihr einen unbewohnten Dachsbau in einem Mietshaus, einen Laden, in dem es Honig und Nüsse in Gläsern und Plastiktüten gab und ein Büro, wo sie jeden Tag hingehen musste zum Geldverdienen. Letzteres leuchtete ihr zwar nicht so ganz ein. Doch der Elch versicherte ihr, das habe schon alles seine Richtigkeit. Jeder müsse sich nützlich machen. Aha, meinte die Elfe und nickte vage.  

Und so zog sie ein in einer kleinen Betonschachtel und ging täglich ins Büro.  Eines Tages aber lief ihr der Dachs über den Weg. Tollpatschig strollte er über  die Straße und ein Mercedes machte eine Vollbremsung direkt vor seinem fet ten Hinterteil, das jetzt noch fetter geworden war. Die Elfe blieb stehen: Was  machst du denn hier? Nu nä, grunzte der Dachs, das mit dem Wald war nicht  mehr so mein Ding. Man wird älter… außerdem hab ich einen Job bei der Börse  bekommen. Die Elfe legte das Köpfchen schräg an den Flügel und überlegte: Ja,  eigentlich… das mit dem Wald war auch für mich nicht mehr so… 

Und so nahm das neue Leben seinen Lauf. Sie fuhr U-Bahn. Sie fuhr im Bus. Sie  kaufte hinter großen Glasscheiben allerhand ein, und am Samstag ging sie ins  Kino. Alle anderen Tage flog sie in einem Büro herum und trug auf ihren dünnen  Ärmchen Papierstapel hierhin und dorthin. Sie tippte schwarze Buchstaben auf  einen weißen Bildschirm, von dem ihr die Augen brannten. Sie lernte, dass ihre  Arbeitskollegen alle so taten, als seien sie keine Elfen. Denn sie waren nie zum  Spielen aufgelegt. Immer guckten sie ernst und streng und schüttelten missbilli gend den Kopf, wenn die Elfe jubelte, weil draußen Blütenstaub in unsichtbaren  Wolken durch den Äther stob.  

Es ging nicht lange und die Elfe wurde krank. Sehr krank. Immer war sie müde. Und nie hatte sie Lust zu irgendwas. Sie fing an komische Sachen zu machen: dass sie immerzu gegen die Wand flog in ihrem Zimmer oder Nächte lang mit hohem Flügelschlag an der Decke neben der Lampe hing wie ein gefangener Nachtfalter. Es wurde so schlimm, dass sie sterben wollte. Der Herr Elch sagte, nimm eine Aspirin, und geh zum Arzt. Der Arzt betastete Panzer und Flügel der Elfe und befand: Eigentlich bist du ganz gesund. Das ist bestimmt psychosomatisch 

Ich gehe zurück in den Wald, sagte die Elfe zu einer Nachbarelfe. Das ist mir alles zu komisch hier. Ich will nach Haus. Es war schon  wieder Frühling geworden und sie vermisste so sehr das Gluckern des Baches beim hohlen Baum, den Duft der Schneeschmelze und der ersten Veilchen. Be stimmt ist mein Baum jetzt wieder frei, dachte sie, packte ihr Bündel und flog  zurück in den Wald.  

Aber ach! Der ganze Wald war gerodet. Ihr Baum war nicht mehr da.  

Der Bach war begradigt und verlief unter der Erde. Sie musste das Ohr fest an die Erde pressen, um ihn zu hören. Der hohle Baum fehlte gänzlich. Die Erde war aufgeschürft wie eine einzige große Wunde. Oh weh! Rief sie, wo ist mein Wald? Wo soll ich jetzt hin? Im Torkelflug landete sie wieder vor der Haustür ihres Mietshauses. Ja hast du denn nicht die Zeitung gelesen?, fragte der Elch. Es ist doch allgemein bekannt, dass die  Bank den Wald roden lässt. 

Es ist eben der Stress, das Wetter, die Jahreszeit, sagte der Doktor, der am  nächsten Tag ihr rasendes Herzchen abhörte. Dann setzte er sich hinter seinen  Schreibtisch und holte den Rezeptblock aus der Schublade. Ich verschreibe dir  Waldbaden, sagte er.  

Waldbaden? Fragte die Elfe und schüttelte den Kopf.  

Du weißt nicht was Waldbaden ist?, fragte der Arzt, du bist doch eine Elfe. Ja ja, meinte die Elfe, und ließ den Kopf hängen.  

Waldbaden beruhigt, sagte der Doktor. Und Ruhe ist, was du jetzt brauchst.  Dann gab er ihr noch eine CD mit Vogelstimmen. Da, die musst du jetzt jeden  Abend zum Einschlafen hören. 

„Waldbaden ist gut gegen Krankheiten aller Art“, stand in dem Prospekt der Krankenversicherung. Die zahlte von nun an für das regelmäßige Waldbaden. Dazu musste sie lange im Zug fahren. Dann stand sie auf einem Parkplatz in einer großen Gruppe von Elfen auf Krücken, an Rädern, hustend, bleich wie der Tod. Die Elfe selbst war nur noch Haut und Knochen, winzig und blass mit durchsichtigen Flügeln. Der Waldtherapeut schnallte ihr einen Rucksack auf den Rücken. Ein Experte hielt den Neuankömmlingen einen Vortrag: Dieser Badewald gehört der Elch-Bank und ist zertifiziert wegen seines hohen Gehalts an Zedernöl. Hier liegt im Übrigen auch der Ursprung der Elfen! Am Bach könnt ihr das heilsame Plätschern des  Wassers hören. Aber ihr müsst immer auf den auf den vorgezeichneten Wegen bleiben…

Jacinta Nandi: Keine passive Hausarbeit

Mein Kumpel Jens ist heute wieder vorbeigekommen, weil er babysitten will. Na ja, vielleicht ist „will“ hier ein bisschen übertrieben. Aber er ist bereit, das zu machen, was mich total freut.

Jens zeigt sich sehr überrascht, dass ich Baby Leo gerade ein Märchen vorlese.

„Meinen Kindern habe ich nie Märchen vorgelesen!”, sagt er stolz.

„Die Armen!”, sage ich gleichgültig.

Er guckt mich unsicher an.

„Aber Jacinta”, sagt er, „ich dachte, du, gerade du als Überfeministin würdest diese altmodischen sexistischen Geschichten ablehnen? Das sind so schlechte Rollenbilder, die den Kindern dort vermittelt werden! Die Prinzessinnen sind so passiv, machen nur Hausarbeit, und machen das sogar gerne! Und warten drauf, dass sie gerettet werden von so einem Prinzen!”

Jens‘ Einstellung gegenüber Märchen und den Rollenbildern, die sie vermitteln, finde ich nicht besonders originell oder ungewöhnlich. Die Idee, dass Märchen sexistisch sind, vielleicht sogar frauenfeindlich, ist weit verbreitet.

Im Dezember 2012 sagte zum Beispiel sogar die damalige Frauenministerin, Kristina Schröder, dass sie die Grimms‘ Märchen für „sexistisch” halte. „Da gibt es selten eine positive Frauenfigur”, sagte sie im Interview mit der Welt, und deswegen hatte sie vor, „auch (!) andere Geschichten mit anderen Rollenbildern” vorzulesen.

Der Shitstorm, der drauf folgte, war genau so sinnlos wie vorhersehbar. Da sie im selben Interview gewagt hatte zu sagen, dass sie das N-Wort nicht laut vorlas, brach Deutschland in kollektive Empörung aus. Es war echt lächerlich, muss ich sagen, sogar als Märchen-Fan, sogar für deutsche Verhältnisse. Denn wer bitte schön liest seinem Kinder NUR Grimms Märchen vor? Sogar jemand, der nur Märchen vorliest, würde ab und zu Andersen oder russische Volksmärchen vorlesen, nur zur Abwechslung! Und es liest niemand nur Märchen vor, alle Eltern lesen auch manchmal Bobo, Conny, Julia Donaldson… Wo die Wilde Kerle Wohnen. Es wäre genau so albern, nur Märchen zu lesen wie nur bei McDonald‘s zu essen oder nur Britney Spears zu hören. Und dass eine Familienministerin das macht, weil sie ihren Kindern verschiedene Vorbilder geben möchte: ist das echt so empörend?

Die britische Schauspielerin Keira Knightley hatte auch eine ambivalente Beziehung zu Märchen, sie hat nicht alle Märchen aus dem Kinderzimmer verbannt – aber „Aschenputtel“ und „Die Kleine Meerjungfrau“ schon. „Ich bin sehr vorsichtig mit Märchen bei meinem Kind, weil ich nicht die Botschaft mag, die sie vermitteln” erklärte sie 2019 USA Today.

Und in einem Bustle.com-Artikel „5 Ways Fairy Tales Affected You Without You Even Realizing It“ von 2016 behauptet die Journalistin Claire Warner, dass Märchen uns mehr beeinflusst hätten, als wir es wahrnehmen:

„Während Männer im Märchen ihren Wert beweisen, indem sie zeigen, dass sie körperlich stark sind – auf Gralsuche gehen oder Glasberge erklettern –, bleiben den Frauen nur typisch ‚weibliche‘ Aktivitäten wie Kochen oder einfach nur Rumsitzen und schön Aussehen….Vielleicht scheint das gar nicht so wichtig, aber in einer Welt, in der Frauen die meiste Hausarbeit machen, ist diese Vorstellung so zu unterstreichen mit Märchen nicht gerade hilfreich.”

Der Hauptvorwurf an Märchen ist also: Die Frauen und Mädchen in Märchen sind passiv, machen nur – und gerne – Hausarbeit – und warten drauf, von einem Prinzen gerettet zu werden.

Also, den Vorwurf von Frauenfeindlichkeit finde ich ziemlich fair. Die böse Stiefmutter, die Königin, eigentlich eine Hexe, die Babys frisst, so wie bei den „Drei Raben“ oder „Zwölf Schwänen“, das ist noch schlimmer als der frauenfeindlichsten Mist, mit dem jemals in der Boulevardpresse eine Hartz-IV-Mama oder sogar Meghan Markle beworfen wurde. Und der Tod der Hexe in Schneewittchen: gewalttätiger und hässlicher als Quentin Tarantinos schlimmste Fantasien – sie muss in eisernen Schuhen im Feuer tanzen auf der Hochzeit ihrer Stieftochter mit ihrem Prinzen.

Ob ich die Tatsache, dass die Protagonistinnen in Märchen meistens hübsch oder sogar schön sind, an sich sexistisch oder frauenfeindlich ist, weiß ich nicht. Ich denke, es ist wie bei der ehemaligen Familienministerin: Wenn kleine Kinder nur diese Geschichten hören würden, wäre das vielleicht eine schädliche Lektion. Besonders wenig hilfreich ist, dass „schön“ und „brav“ immer gleichgesetzt wird. Und „schön“ und „blond“ heißt in englischsprachigen Märchen beides fair, was ich als rassistisch, aber nicht als sexistisch empfinde. Ich finde es aber ein bisschen unfair, das Märchen an sich vorzuwerfen – niemand hat uns verboten, unseren Kindern indische oder andere Märchen vorzulesen.

Märchen sind also sicherlich nicht unproblematisch, aber ich finde den Vorwurf, dass die Protagonistinnen passiv sind und “„gerne” Hausarbeit machen, während sie auf einen Mann warten, der sie rettet, ziemlich unfair. Macht Aschenputtel etwa gerne ihre Hausarbeit?  In der Disney-Version vielleicht, aber eigentlich geht es in dieser Geschichte darum, dass sie ihre Hausarbeit gerade nicht machen will, sondern zum Ball gehen, tanzen, schön sein. In der englischen Version, „Cap O’Rushes“, ist sie sogar gar nicht passiv, sondern schmeißt absichtlich einen Ring, den der Prinz ihr geschenkt hat, in die Brühe. Und ich finde, dass in vielen Märchen, in denen Protagonistinnen Hausarbeit machen müssen – und eigentlich ungern machen –, sie dieses Hausarbeit sehr unpassiv nutzen, um sich zu befreien, von der Armut, aus dem Elend – oder manchmal sogar aus einem tatsächlichen Turm.

Mein Lieblingsmärchen ist zweifellos Rapunzel – ein Märchen, in dem Schwangerschaft zweimal vorkommt (in der ursprünglichsten Version dreimal). Aus Heißhunger verkauft Rapunzels schwangere zukünftige Mutter das neugeborene Baby an die reichen Hexe, die neben an wohnt und Salate zieht. In der ersten Version der Geschichte, die die Grimms veröffentlichten, findet die Hexe raus, dass Rapunzel mit einem Mann geschlafen hat, weil das Mädchen sie fragt, warum ihre Taille so dick geworden ist. In der Version, die wir unseren Kindern vorlesen, unterläuft Rapunzel nur noch ein Freudscher Versprecher, sie verplappert sich. Und als der Prinz und Rapunzel sich wiederfinden, im Wald, hat sie ein Zwillingsbabys auf der Hüfte – vielleicht ist das Wort ‚vorkommen‘ hier ein bisschen übertrieben, aber wer Zwillingsbabys trägt, hat auch geboren, alleine im Wald. 

„Passiv” zu sein, kann man Rapunzel nicht vorwerfen, finde ich. Sie MUSS am Anfang „passiv” sein, denn sie ist tatsächlich EINGESPERRT in einem Turm, seit ihrem 6. Geburtstag. Ihr aber diese Passivität als Charakterschwäche vorzuwerfen, ist albern. Bevor sie den Prinzen kennenlernt, weiß sie gar nicht, dass sie eingesperrt ist, dass ihre Adoptivmutter sie missbraucht. 

Ich finde nicht, dass Rapunzel brav und passiv auf Rettung wartet. Ja, im Turm, bevor sie den Prinzen kennenlernt und dadurch Männer und ihre eigene Sexualität, weiß sie gar nicht, dass sie befreit werden kann oder soll. Aber sofort nachdem sie den Prinzen kennengelernt hat, macht sie MIT ihm GEMEINSAME Pläne darüber, wie sie sich befreien könnte. Und dann benutzt sie Hausarbeit – ihre Näh- und Flechtkünste,  um JEDEN TAG ihrem Ziel von Freiheit näherzukommen. 

Okay, es stimmt, der Prinz hätte ihr einfach eine Holzleiter bringen sollen, um ihre Flucht ein bisschen zu beschleunigen. Und es stimmt, dass sie jeden Tag auf seine Ankunft warten muss, um mehr Seide zu bekommen, um weiter an ihrer Fluchtstrickleiter zu arbeiten. Es ist ein doofer Plan, aber kein passiver. Und ich finde, wer alleine im Wald gebärt und sich und seine Kinder mit Früchten und Nüssen ernährt, ist nicht passiv.

Hier wird traditionell weibliche von einer gefangenen Frau genutzt, um sich aus ihrem Gefängnis zu befreien. Wegen IHRES Fehler wird sie nicht befreit, sondern aus ihrem Turmverlies verbannt. Und ich finde auch nicht, dass der Prinz sie rettet. So gar nicht. Sie rettet ihn, indem sie ihm sein Augenlicht wiedergibt mit ihren Salztränen – sie rettet ihn viel mehr, als er sie rettet, und ich vermute, dass alle die glauben, die Protagonistinnen in Märchen sind passiv, haben einfach die Handlung von „Rapunzel“ vergessen.

Dass man traditionell weibliche Arbeit benutzen kann, um sich zu befreien, kommt auch in „Hänsel und Gretel“ vor, eins von vielen Märchen ohne Prinzessin übrigens. „Hänsel und Gretel“ ist unglaublich frauenfeindlich – warum will die Hexe Hänsel und nicht Gretel essen? Ich habe das immer komisch gefunden. Und die Tatsache, dass die Stiefmutter vorschlägt, die Kinder sterben zu lassen, und der Papa macht mit, ist aber moralisch unschuldig – das finde ich sehr fragwürdig. Wie viel Macht hat diese Frau denn über ihn? Ich finde ihn eigentlich schlimmer als die Stiefmutter – es ist sein Fleisch und Blut, das er versucht zu töten, er ist derjenige, der versagt in seiner Elternrolle, mehr, als ein Mensch versagen kann. Die letzte Seite von „Hänsel und Gretel“ macht mich immer sehr wütend: Wie er sich freut, seine Kinder mit geklautem Gold und geklauten Juwelen zu sehen – und wenn sie ohne finanzielle Absicherung nach Hause zurückgekehrt wären, würde er vielleicht noch mal einen „Spaziergang” organisieren, oder was? Arschloch, echt ey.

Aber ist Gretel passiv? Ich mag diese Geschichte trotz des Fake-Happy-Ends deswegen so sehr, weil die Kinder gar nicht passiv sind, sondern immer am Tricksen. Hänsels Idee mit den Steinen ist so gut, die Idee mit dem Knochen noch besser – aber Gretels Idee, so zu tun, als ob sie basic household tasks nicht draufhätte, ist einfach genial. Auch Gretel macht nicht gerne Hausarbeit, und sie wartet nicht darauf, dass ein Mann oder ein Prinz sie rettet. Sie benutzt die Tatsache, dass sie Hausarbeit machen muss, um sich selbst zu befreien und um ihren Bruder zu retten. Und vielleicht ist es brutal und frauenfeindlich die Hexe im Ofen zu verbrennen in einer Zeit, in der so viele unschuldige alte Frauen als Hexen verbrannt wurden. Aber ich muss  zugeben:  mein feministisches Herz findet es trotzdem gut.

Wir können die Protagonistinnen in Märchen auslachen dafür, dass sie „nur” Hausarbeit machen – oder wir können anerkennen, dass sie oft so viele Skills, so viele Fähigkeiten in diesen Sachen haben, dass sie dadurch auffallen. Die Baba-Jaga-Geschichten sind sicherlich frauenfeindlich in ihrer Darstellung von Stiefmüttern, die Hexen als Schwestern haben und absichtlich ihre Stieftochter deswegen hinschicken, wenn der Mann weg ist – aber die Arbeit, die das Mädchen macht, ist schwere körperliche Arbeit. Und sie macht sie nicht gern – genau wie Aschenputtel muss sie Körner sortieren. Sie macht es NICHT gern. Und wird dafür belohnt, dass sie es trotzdem gut macht und auch ein gutes Herz hat.

Mein zweitliebstes Märchen ist die englische Version von „Rumpelstiltkin“. In „Rumpelstilzchen“ prahlt ein Müller, nur weil er angeben will, dass seine Tochter Stroh zu Gold spinnen kann. Hier sieht man, dass Hausarbeit nicht unwichtig ist, sondern dass sich die Geschichte darum dreht. Er gibt an mit den Fähigkeiten, mit den Hausarbeitsskills seiner Tochter – und bringt sie dadurch in Lebensgefahr. Ich finde auch, dass die Müllerstochter bzw. neue Königin später für ihre eigene Rettung selbst verantwortlich ist. 

Die englische Version ist fast genau gleich, fängt aber lustiger an. Die böse Fee heißt Tim Tat Tot, ansonsten ist die Geschichte fast dieselbe. Eine Frau backt fünf Kuchen – und ihre Tochter frisst die alle weg an einem Tag (aus einem doofen Missverständnis, aber auch, weil sie gierig ist, denke ich!) 

Die Mama ärgert sich – und welche Mutter kann das nicht nachvollziehen – und versucht, ihren Frust loszuwerden, indem sie ein wütendes Spottlied über ihre Tochter singt:

My darter ha‘ ate five, five pies today.
My darter ha‘ ate five, five pies today.

Ein König läuft zufälligerweise an ihrem Garten vorbei, hört das Lied und fragt: Was singst du da? Die Mutter schämt sich zuzugeben, wie viel ihre Tochter an einem Tag gegessen hat und singt jetzt:

My darter ha‘ spun five, five skeins today.
My darter ha‘ spun five, five skeins today.

Allein wegen der unnatürlichen Fähigkeit dieser Tochter (auch wenn es eigentlich gelogen ist), fängt die ganze Geschichte an. Ich finde es sehr wichtig zu betonen: Wer fünf Kuchen an einem Tag wegfressen kann, ist nicht „passiv.”

Die Ablehnung von Märchen ist angeblich eine feministische, feministisch begründet, und ich finde auch, dass die bösen Figuren in Märchen viel zu oft weiblich sind. Und niemand soll seinen Kindern ausschließlich Märchen vorlesen. Aber die Vorstellung, dass es in Märchen nur um Prinzessinnen geht, kommt davon, wenn man zu viel Disney guckt. (Disney mag ich auch, aber genau wie man nicht nur Märchen lesen soll, darf man nicht nur Disney gucken!) Aber ich finde, es ist ein Denkfehler, wenn man Märchen deshalb ablehnt. Sie sind eigentlich oft voll von tollen, klugen, tapferen, inspirierende Frauenfiguren, und die beschäftigen sich mit Hausarbeit GENAU DESWEGEN, weil es oft das einzige war, was Frauen machen durften. Sie sind nicht passiv, sie sind gefangen, und in vielen Märchen retten sie sich selbst und in manchen fängt die ganze Aktion nur an wegen eines Fehlers der Hauptfigur. Wer seinen Kindern keine Märchen vorliest, weil er nicht möchte, dass sie Frauen und Hausarbeit in Verbindung bringen, soll in meinen Augen lieber, Conni boykottieren oder The Tiger Who Came to Tea! Bei Märchen kann man den Kindern wenigstens sagen, dass die Frauen damals keine andere Arbeit machen durften. Bei The Tiger Who Came to Tea hat diese arme fucking Hausfrau echt keine einzige Freundin, die sie vielleicht spontan besuchen könnte, ihre Isolation muss unerträglich sein. Ich liebe Märchen, ich liebe es, dass durch die harte Arbeit und angeborenen Fähigkeiten oder Tugenden Menschen befreit werden können. Obwohl, es stimmt wirklich: Der Prinz hätte Rapunzel einfach eine große Holzleiter bringen sollen! 

Und wisst ihr noch was? Die Art und Weise, wie man auf deutsch Märchen beendet, ist einer der schönen Sätze der Welt. Und bei meiner Heldin Rapunzel und ihrem Prinzen stimmt es noch mehr als bei allen anderen: Wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute. 

Klaus Büchner: Froschkönig

`Ne Prinzessin küsste einmal
ein´ verwunsch´nen Frosch.
Da gab es einen großen Knall,
KRAWUMM und PLATZ und BOSCH.

Ein hübscher Kerl stand dann vor ihr,
jedoch, er war kein Prinz.
Er war ein Wirt und braute Bier
und hieß Hans Peter Hinz.

Doch dies edle Königskind
war verliebt bis über die Ohr´n,
und wenn sie nich´ gestorben sind,
sind sie sehr spät gebor´n.

Jutta v. Ochsenstein: Rückkehr

Auf gewohnter Straße färben Bäume, Licht und Plakate das Gedächtnis. Hauseingänge riechen nur hier so. Mein Gang wird schneller, die Schatten dunkler. Ich höre die Fragen ihrer Gesichter. 

Auf dem Stadtplan verirre ich mich zwischen Straßennamen, taste die Stadtmauer entlang durch den grauen Graben hinauf zur Burg. Falken stechen in den glühenden Untergang der Sonne. Ich verharre vor dem Drehkreuz, versinke in die Weite des Tals bis zur Bergkette. Ich bin da.

Jutta v. Ochsenstein: und wenn sie nicht gestorben sind

wir trinken von deinem Wasser
Fisch, dich nährt das Licht
dein stilles Singen fordert zum Tanz
vielleicht ist noch Zeit

wir trinken von deinem Feuer
Vulkan, dich nährt der Stein
dein brennendes Sterben mahnt uns zur Feier
vielleicht ist noch Zeit

wir trinken von deiner Erde
Baum, dich nährt der Wind
dein schwankender Stand weckt uns
vielleicht ist noch Zeit

wir trinken von deiner Luft
Vogel, dich nährt die Weite
deine verlässliche Rückkehr löst unsere Trauer
vielleicht ist noch Zeit

Arabella Block: Märchenqueens

Dornröschen

Wann baute Dornröschen die Mauer?
Wo hatte sie die stacheligen Rosen her,
die sie pflanzte,
und stieß sie die Schaufel dafür in die Erde,
schwitzend und gebückt,
voller Vorfreude auf den Schlaf,
den ungestörten Schlaf,
den sie sich redlich verdient hat?
Hat sie den Wecker gestellt?
Und als sie die Augen öffnete, waren da
all ihre Pläne aufgegangen?
Sagte sie „Setz dich da hin und halt still“
zu dem Prinzen und klebte ihm
fröhliche Pflaster auf die zerschrammte Haut,
zufrieden mit dem, was sie ertastete?
Ein Königreich für den ersten Gedanken, 
der ihr durch den Kopf ging.

Schneeweißchen & Rosenrot

glückliche Kindheit,
lässige Mutter 
und als Haustier einen Bären,
größer als der von der Losbude.
der Zwerg kriegt sein Fett weg.
dazu gibt’s nen Schatz
und am Ende pro Nase
einen Märchenprinz gratis.
Blöde Schnepfen.

Rotkäppchen

30, Single, backe gern Kuchen 
und schätze
hier und da ein gutes Glas Wein.
Meine Lieblingsfarbe ist rot.
Such naturverbundenen Ihn
für ausgedehnte Wandertouren und mehr.
Wenn du schöne Augen hast und kräftige Hände
und ein Lächeln mit strahlenden Zähnen,
dann schreib mir.
Das Kennwort ist:
Jagdschein.

Schneewittchen

Das lustvoll Gegessene wieder ausspucken.
Sich modisch gürten, dass einem die Luft wegbleibt.
Im Glassarg zum Bild erstarren
als Männertrophäe – ja,
Schneewittchen ist ein hoffnungsloser Fall.
Wie typisch die Lösung:
Nicht der Faustschlag eines Riesen,
Nicht der Schlachtruf eines Einhorns,
Nicht der Schwerthieb eines Prinzen 
löst den Bann, nein, es ist: 
das Stolpern eines Zwergs.
Das muss wohl den meisten genügen.

Martin Knepper: Der trunkene Hausrat

Ein reicher Mann ist einmal ausgegangen, er wollt mit anderen Reichen speisen,  gerade, wie es die feinen Leute immer tun. Da aber haben die Dinge in seinem  Hause sich gedacht, dass sie sich’s auch einmal wollten gut gehen lassen. Und es  war ein Schrank unter ihnen, der hat den Bauch voll des Branntweins gehabt,  den tät er den anderen kredenzen. Und sind sie alle lustig worden und immer  wilder in ihrem Übermute; der alte Stiefelknecht tät sich auf die Chaiselongue legen, das Geschirr hat munter auf dem Tische geklappert und ein Hifthorn und  eine Tanzgeige, die haben ihnen dazu aufgespielt, die waren froh, dass sie sich  hören lassen durften; denn es hätt sie ihr Herr nur zum Zierrate an die Wand  gehängt, denn er war kein Musikus und pflag viel lieber dem Klingen der Taler  zu lauschen tagein, tagaus. Doch wie sie alle sind immer trunkener worden, ist  ein Streit aufgekommen, es war ein alter Stiefel wohl eifersüchtig auf einen  jungen Käs geworden, der hat mit seiner Bürste getanzt. Und hast du nicht  gesehen, gab ein böses Wort das andere, das Tintenfass hat mit dem Brotkorb das  Raufen angefangen, da traten dann auch Kerze und Schirm hinzu, und  schließlich hat die ganze Gesellschaft, die eben noch so munter miteinander ist  gewesen, einander Wims und Knuff gegeben. Und als unser lieber Herr Jesus,  der an seinem Kreuze an der Wand gehangen, ein begütigendes Wort spricht, hat  ihn der Wandschirm gepackt und in den Ofen geworfen, denn der Wandschirm  war aus dem fernen Nippon und achtete der anderen Götter nicht. Und noch  manch andres hat sein Leben ausgehaucht in dieser Rauferei, der Feuerhaken tät  ein ganzes Regiment von Tellern erschlagen, ein altes Buch ward in der  Waschschüssel ersäuft und gleich vieles mehr. Unter all dem kommt der reiche  Herr nach Hause und mag es gar nicht fassen, was er sieht, spricht „Weh!“ und  „Ach!“, und da er einen Schritt in die Stube macht, fällt er über ein sterbendes  Schemelchen, schlägt unglücklich mit dem Kopfe auf eine ohnmächtige Bain  Marie und war selbst hinüber. Und weil er ein alter Hagestolz gewesen ist, hat er  keine Kinder gehabt, und was noch zu gebrauchen von seinem Hausrate, das  ward in alle Welt verkauft. Manche haben’s besser funden, andere schlechter, just  wie es so geht in der Welt. Das Hifthorn aber ist zu einem Jägersmann  gekommen und fürderhin alle Tage an der guten Luft gewesen, war fröhlich  allzeit und hat nimmer der alten Tanzgeige und des Heilands im Ofen gedacht.

Jone Engel: Gedanken über Märchen

Märchen sind wieder im Kommen, hieß es vor ein paar Jahren.
In Nürnberg gibt es sogar mindestens eine Märchenerzählerin.

In der Pandemie ist sie wohl nicht verfügbar. Märchen, mit Maske vor Mund
und Nase erzählt, sind wahrscheinlich ziemlich unglaubwürdig.
Ich bin mit Märchen aufgewachsen und liebe Märchen. Meine Oma hat mir -als Kind, als ich krank war- einen ganzen Nachmittag lang Märchen vorgelesen.
Bis ihre Stimme heiser war. Ich bat sie um noch eins und noch eins… 
Es ging mir natürlich um das Hören der Geschichten – und sicher auch darum,
dass meine Großmutter in meiner Nähe war und blieb…

Auch in meinen erwachsenen Jahren haben mich Märchen begleitet.
In meinen Psychosen, so behauptet man, würde ich in einer Märchenwelt leben.
Und mein englischsprachiger ehemaliger Verlobter meinte nüchtern, das Leben wäre kein „Lala-Land“.

So grausam wie in einem blutigen Märchen ist unser deutscher Alltag nicht. Nicht mehr. Wirkliche Grausamkeit spielt sich oft lediglich subtil, in der den Blicken verborgenen Psyche – und in fernen Ländern, woanders ab. Was die Grausamkeit nicht wirklich leichter und erträglicher macht. Es scheint auch nicht mehr am Ende der Lebensgeschichte ein Happy End zu geben.

Ich möchte einmal ein richtig gutes Märchen schreiben. Vielleicht sogar eines, was heutzutage stattfindet.
Es gibt keinen Platz mehr für Märchen in unserer sachlichen, wissenschaftlich geprägten Welt und Gesellschaft. Da geht es um Leistung und Ellenbogen-Mentalität. Nur den Kindern räumt man gnädig das Recht ein, an Märchen glauben zu dürfen. 

Irgendwie hat es sich – für Erwachsene zumindest – ausgemärchelt.

Der Spruch von Oskar Wilde: „Am Ende wird alles gut, und wenn es nicht gut ist, ist es auch noch nicht das Ende“ gibt mit Halt und Hoffnung, wenn das Märchen versagt.

Katja Schraml: Ich nähe 1 Kopf an den Mantel

„Später stürzte er sich in seine Reinschrift.
Es wurde Abend. Morgen früh würde es sich ja zeigen,
ob er eine Kraft oder eine Null, eine Intelligenz
oder eine Maschine, ein Kopf oder ein Hohlkopf sei.
Für heute war es seines Erachtens nach genug.“

Robert Walser. Der Gehülfe

Neulich kam der Winter ins Land – man hat gar nicht mit ihm gerechnet <klimaneutral>. Da sperrt ich den Schrank auf, wo <komme, was Wolle> das gefriertauglich gewebte Einwickelgarnmaterial, das <Schal Schuh Chapeau> uns auf den Stadtstraßen schützt vor dem Kalthauch der Menschenköpfe.

1 Halsrheumatismus kriegt man nicht nur vom Grübeln …

Der Nacken dient uns als Gradmesser für die Kälte des Zugs. Es dauert nicht lang, bis der Hals wechselt von starr auf steif. Da muss man frühzeitig entgegenwirken – wenn der Wind erst im Land, fegt er rau übers Pflaster, da brauchts 1 guten Stand.

Da sperrt ich den Schrank auf + kramte in Winkeln, ihr wisst schon, wo man sonst nicht gern hiRnlangt, da hab ich zwischen Schund+Schmutz (Schmuddel+Schnulzen) den Schutz verpackt, weil ich mich ohne warm+sicher fühlte allein. Da holte ich den Mantel raus, klopfte ihn ab, schlüpfte hinein + stellte mich vor den Spiegel.

Jeden Tag 1 Selfie = sich selbst auf dem Laufenden sein.

Da war der Kopf los. Weg aus vorbei. Nur keine Panik!, denk ich, den finden wir schon. Wär ja gelacht.

Jaja.

Zwischen engagiert+enragiert den ganzen Tag hypertoniert … Winkel durchwühlen, Ecken eruieren, nachschauen in Nischen: nichts. Hab ich ihn verloren?

Abgefallen ist er mir wohl. Lose_gelockert entschwunden. Denn hätt eine_r ihn abgerissen, hätt ichs gemerkt. Da war aber, glaub ich, keine Gewalt am Werk. Kein Zerren Ziehen + Zwiebeln. Liegen lässt man sowas nicht. Oder doch? Haben wir unseren Kopf verschusselt verbummelt vertüdelt?

Was machen wir nun? Wo kriegen wir 1 Kopf zum Mantel überm Körper her? Lassen können wirs so nicht, fällt ja gleich auf. Wir müssen 1 finden, der zum Rest passt.

Wie soll das ausschauen?

Rund muss er sein. Ohne Ecken+Kanten. Soll ja nicht stören, nicht auffallen blöd. Schwarz soll er sein, selbiger Grund. Neon ist nicht unser Ding. Matt könnt er sein. Vom vielen Gebrauch glänzt er bald sicher <Patina> allein.

Amazing sur_face must-have used look.

1 Druckkopf vielleicht, der schön+schnell schließt. Der wehrt sich nicht lang. Man muss nicht viel anpassen einfädeln durchösen, der reagiert sofort. Mit genug Kraft ist er mit 1 Klick zu. Braucht man nicht mal 2 Hände.

Abers passt nicht so recht. Der Druck ist zu laut. Wir mögens, wenn sichs geräuschlos schließt. Geschickt sind wir ja, Gespür in den Fingern ist da – kein Zeichen von Glieder Gelenk Gichtschwierigkeit –

kein Dupuytren Raynaud Quervain Syndrom –

nur kalt sind die Hände oft – taub über Nacht. Mit Auf+Zuköpfen bleiben sie in Bewegung.

1 runden mattschwarzen Kopf mit 6 Löchern zum Ein+Ausfädeln. (1 siebtes gäb Sinn.)

Wo krieg ich den her? War da keiner im Futter <Ersatz>? Vielleicht haben wir irgendwo 1 übrig. Im Nähzukasten 1 Gratisexemplar? Nein. Aber …

Im Keller, ihr wisst schon, in 1 Kiste, liegt noch 1 altes K_leid. Das haben wir aussortiert, weils uns zu eng. Wegwerfen konnten wirs <K_leider_sammler_in> nicht. Der Stoff ist noch gut, da ist viel Erinnerung drin verwoben. Nur der Schnitt ist veraltet, das trägt heut keine_r mehr (auf). Da hängt noch 1 Kopf dran, den keine_r mehr braucht. Das zieh ich heraus.

Wie bringt man den Kopf an? Fest sicher Halt: Dass er nicht wieder fehlt fällt herab. Was braucht man für Werkzeug? Wie tief sticht die Nadel? Wie stark muss der Faden? Soll er vielleicht rot?

Wer hat uns das Nähen gelernt? <Flick Stopfen Strumpf.> Mit stumpfen Spitzen gegen plastische Kunsthüte auf zarten Kuppen. 1 Talent allein hilft uns wenig. 1 Bildung tut Not.

Doch den Kopf vom Kleid abschneiden, um ihn an den Mantel zu schneidern, will mir nicht von der Hand. Bevor ich mich vertu unds nicht richtig hinkrieg, der Kopf schwer_fällt übern Boden unters Bett rollt, wo keine_r hinkommt

(da liegt noch 1, ich weiß – der ist aber zu klein),

lass ich den Kopf dran + zieh das Kleid an – unterm Mantel merkt mans vielleicht nicht, dass passen+hineinpassen 2 verschiedene Maßangaben sind.

Was für 1 Fetzen! Verwaschen+zerrissen <kachektisch>; wos nicht spannt über BauchBeineBrust, leierts aus. Der Kopf sitzt nicht schlecht, wenn auch nicht sicher, den müsst man verstärken. (Haben wir noch 1 grünes Tuch?) Bestimmt hält er nicht lang, irgendwas, sagt das Spiegelbild, stimme nicht recht. Kleid Kopf + Mantel seien nicht ganz 1/1 ganzes ICH.

Das schlimmste ist nicht, wies (heute) aussieht. Sondern, an was (sich) der Kopf (mich) erinnert. Alte Zeit, wo alles schwer, müßig+leid. Es hilft alles nichts. Das Kleid muss jetzt weg, mit dem Kopf kommts zusammen in 1 Wegwerfwurfsack. Und nicht mehr hinunter in diesen Keller → hinaus in die Tonne schmeißen wir das.

Doch bevor wir da rauskönnen, brauchen wir 1 gescheiten Kopf. Und keinen vom Straßenrand mehr aufgelesen, nichts reduziert oder Gut_schein wie günstig. Schluss mit der Mesquinerie! Wir brauchen 1 Kundenkarte, um unsere Vorteile genießen zu können.

Ich bitte dich! Was?!

Janein stimmt hast du Recht. Bloß keine Massenware, uns interessiert nur, was l_imitiert. Wir kaufen Qual_i_tät exklusiv Luxusobjekt …

Ja sind wir denn 1 MoERdeRpuppe?

Vielleicht doch lieber old school <Bastlwastl>: malen falten + kneten.

Das hamwa doch imma so jeane jemacht!

Und dann siehts aus wie selbstgemacht. Gekonnt bis gewollt …

Suchen wir doch den alten Kopf wieder? Gehen wir hinaus, laufen die Wegstrecken ab? AlleE die Jahresgänge? Vielleicht hat ihn schon jemand (1 Josef) gefunden, mitgenommen + aufgesetzt. Vielleicht wurd er überfahren. Als Fußball benutzt in 1 Netz gekickt.

Vielleicht liegt er, bis wir 1x an die VerlustVerlierStelle kommen, längst im Lande des lost+found?

Ich nähe 1 Kopf an den Mantel, damits nicht auffällt, dass da 1 Körper lose wankt durch die Welt, der nicht weiß wohin. 7 Sinne geb ich ihm zum Gespür. 

Immer 1-2 mehr als nötig.

(Wer weiß, ob der Leib das, wenn er sichs aussuchen könnt, hätte gewollt – der hat doch am Tasten genug).

Ich nähe 1 Kopf an den Mantel, fragt mich nicht, woher ich den hab. Er passt wunderbar zum Körper unterm Umhang, wenn man davon ausgeht, dass Minus+Plus zusammengehören.

[Nur unter uns: Ich hab 1 paar Bücher <ausgelesen> in Wasser geWeicht, zusammengekleistert, gekugelt so gut wies geht (ganz rund wirds nicht). Natürlich ists feuergefährdet, das sind wir nunmal <attestiert traum_atisiert>. Wir halten uns besser mit AbisZ <Aggression Wut + Zorn> zurück, entzünden darfs nicht. Zweidrei Schwarzstriche+Silbersträhnen, so sollts gehen.]

Luftig locker + leicht ist mein neuer Kopf, gut gefüttert, darauf geb ich Acht: Wissenschaftsmacht.

Doch kaum ist der Kopf dran, hab ich den Mantel an, redet er mir was hinein. Ich soll ausm Fenster schauen, draußen der Himmel wär blau, was ich den Wollsack bräuchte <Umgang statt Umhang.> Und außerdem: 1 Kopf wie er würde nicht an Krägen vernäht, sondern <just in a second> extrahaftstark mit dem Hals verklebt. 1 Mantel, man schaut kaum, reißt schnell mal entzwei, da baumle der Kopf am Kragen herab. Gescheiter wärs, wir trögen träg trügen ihn selbst.

Der Kopf ist nicht dumm. Seh ich den Himmel an, seh ich, wie recht er hat, ganz schön <schLau> blau. Vielleicht kommt noch 1 Frühling <how unexpected!>, der letzte war schlampig+grau. Wenn ich mich trau?

Jahrelang haben wir Pandoras B. tiefhintenunten im Schrank verschlossen. Stell dir vor, wir merkten beim Rausholen+Öffnen, swar gar nichts drin?

Also zieh ich den Mantel aus, trenne den Kopf ihm ab, kleb ihn mir auf. Sieht nicht schlecht aus. Jetzt brauchen wir noch 1 ÜberAnzug. Ich hol uns die Schuhe für Schnelllauf und 4bis5 Teile Funktionsmaterial. <Schwurwolle, ich komme!> Wenn wir uns zügig bewegen, brauchen wir auch keinen Stehkragen, nur 1 Tuch, das den Atem uns schützt, und 1 für den Kopf – kühl bleibt nur die Stirn. Der Rucksack natürlich <survival extrem> → das nenn ich Aus_Rüstung. Alles scheint sicher, tüchtig, perfekt.

Da pochen <Schlag artig! Blut_Ader> dem Kopf beide Schläfen, schwindelt uns der was vor? Die Stirne ganz faltig, die Wangen so blass, die Schatten schwarz unterm Lid. Ich muss ihn kurz halten, sanft massieren, einölen vielleicht, damit, was noch rissig, schon bald geschmeidig. Was hat er denn jetzt?

Da schüttelt der Kopf sich. Er würde ja mitgehen, gar kein Problem, abers wär vielleicht <tRaukopf> endlich die Zeit für 1 Spazierlustwandelkleid. Unsere Lederhaut, meint er, als ob er uns kenne, sei genug gegerbt + bereit für den Wind in der Welt.

So schlau er auch ist, für klug halten wir ihn nicht. Wir schütteln+ziehen, anspannen+lockern: Janein, der sitzt fest. Den verlieren wir nicht. Den Kopf reißt uns keine_r mehr ab.

Nun gut, hab deinen Willen. Im Schrank hängen ja auch Aus_Geh_Gewänder. 1 werfen wir über, sfällt uns ganz leicht. Vielleicht ist der Kopf doch ganz gescheit. Wir packen die Tasche, schlüpfen in Schlappen, so schlieren schlenz schleufern wir durch die Welt.

Der Kopf ists zufrieden, heut wär so 1 Tag. Wir nicken uns zu. Nun gut, lieber Kopf, bleib mir erhalten haftbar + treu, wenn ich dir schon nachgebe nachgehe. Wie sollts anders sein, 1 Sturkopf zum Starrhals, so mussts sein. Denn mal los, lieber Trotz_, denn man tRau.