Margret Bernreuther: geist

Jeden Morgen wenn ich die Wohnung verlasse entdecke ich unten auf der Ablage bei den Briefkästen neue Figürchen oder andere Haushaltsgegenstände.
Oft sind es kitschige aber nicht besonders hochwertige Porzelanfiguren. Manchmal ein Gewürzglasrondell, gestern stand ein Kochbuch zur Anleitung für fettreduzierte Ernährung dort.

All diese Gegenstände sind sehr bunt zusammengewürfetlt. So war neulich auch mal ein aufwendig bestickter Fächer in einer mit Stoff bezogen Schachtel dort zu finden. Auf dem Fächer zwei Pandabären die unter einem blühenden Kirschbaum spielen. Die Kiste mit goldenen und roten Stoff besponnen. Auf den ersten Blick, insgesamt ein hübsches Ding, aber trotzdem konnte die Verpackung und Gestaltung dieses Fächers, dennoch nicht die mangelnde Wertigkeit der Sache verbergen.
Es wirkte bei genaueren hinschauen eher wie ein Gegenstand aus einem günstigen Souvenirladen der gar einem AsiaShop aus der Innenstadt, bei dem neben der Tütensuppe und den Gewürzsossen, das ein oder andere Handwerkszeug verscherbelt wird.

So wie all die Dinge die dort stehen keinen kostspieligen, aber im ganzen doch vielleicht ideellen Wert darstellen. 

Hinunterstellen tut sie unser Nachbar. Da bin ich mir sehr sicher. Ich habe ihn zwar noch nie direkt dabei erwischt. Aber da wir ansonsten ein sehr junges Haus haben, bin ich mir sicher, daß die Gegenstände aus seiner Wohnung stammen.
Herr Schag wohnt im Stock über uns. Er ist über 80 Jahre alt und ist derjenige der schon immer hier gewohnt hat. Unzählige WGs und junge Menschen hat er schon ein und ausziehen erlebt.
Die früher noch regelmäßigen Hoffeste hat er immer wohlwollend vom Balkon aus mit erlebt, konnte sich aber trotz mehrmaligen einladen, nie dazu aufraffen zu uns hinunter zu kommen.

Zusammen mit seiner Frau standen sie dann also manchmal für längere Zeit am Balkon und schauten sich an, was da so alles los war in unserem Hof.
Noch nie gab es auch eine Beschwerde wenn eine Feier länger dauerte, oder gar das aufräumen am nächsten Tag allen beteiligten sehr schwer fiel und es sich bis in die kommende Woche hineinzog, das alles wieder an Ort und Stelle war.

Mit der Zeit und mit den Jahren lies aber auch die Anteilnahme vom Balkon aus immer stärker nach.
Seiner Frau ging es nicht mehr so gut. Sie wurde dement und ihr gemeinsames Konstrukt fing an zu bröckeln. Wir im Haus hatten schon einiges an Erfahrung mit dementen Bewohnerinnen.
In der Wohnung nebenan wohnte eine italienische Nona, die trotz hochgradiger Demenz noch bis ins hohe Alter in Schlappen auf ihrer Vespa zum einkaufen gefahren ist. Manchmal hat sie sich verfahren und dann gab es wieder große Sorge und die Kinder haben sie mit uns zusammen gesucht.
Irgendwann wurde den Kindern klar, daß sie ihre Mutter nicht mehr in unserer Verantwortung lassen können. Und sie ist, vermutlich zum sterben nach Italien gebracht worden.

Frau Schag die freundliche Nachbarin, ereilte kein so schönes Schicksal. Ihr Mann versuchte es eine zeitlang damit, sie einzusperren. Aber nachdem sie auch in der Wohnung dann Dinge nicht mehr so hinterlassen hat, wie er es gewohnt war und man sich nicht mehr darauf verlassen konnte, dass sie das Essen richtig kocht und überhaupt die Dnige tut, wozu man doch so eine Frau hat, hat Herr Schag sie ins Altenheim gebracht. Ich verwende seine Worte.
Ich weiß nicht wieviel Liebe da jemals im Spiel war. Und auffällig fand ich es schon immer, das wir noch nie eines der 3. Kinder bei uns im Haus angetroffen haben.

Dieses alte Pärchen, deren Leben nach Erzählungen von Frau Schag nur aus Arbeit bestand. Ich kann nicht beurteilen, ob sie glücklich waren oder nicht. Und noch weniger kann ich die Dinge beurteilen die Herr Schaag nun langsam aus der Wohnung räumt.
Für ihn anscheinend wertlose Dinge, die seiner Frau gehören.
Sie wird nicht wieder zurück kommen und er hat keine Verwendung dafür. Aber direkt in die Mülltonne werfen möchte er sie auch nicht. Dafür hängt vielleicht der Geist seiner Frau zu sehr an diesen Dingen.
So machen sie vielleicht nochmal eine Zwischenstation. In einer der WG’s. Oder so wie bei uns. Der kleine Fächer mit den spielenden Pandabären.

Würde Herr Schaag in anstatt ihn zu verschenken, seiner Frau ins Altenheim mitbringen, würde sie sich vielleicht an die Reise nach China erinnern, die sie vermutlich nie gemacht haben.


 

Michael Schmidt: Professor Wuiser und der Heilige Geist

Nebenbei, hat der Professor Wuiser gesagt, ist das mit dem Heiligen Geist auch so eine Sache. Im Grunde genommen, wär dieser Geist ja gar kein Geist. Also kein Geist, wie man sich ihn vorstellt, so mit einem weißen Bett-Tüchl drüber und so weiter. Wenn man die Leut auch fragt, wie der Heilige Geist eigentlich ausschauen tät, wissen sie es nicht oder sagen, dass es eine Taube ist, wie man sie in der Kirche drin sieht, über dem Altar. Zu Pfingsten gibt es manchmal ein Spektakel dazu. Da geht oben eine Klappe auf, und dann lassen sie den Heiligen Geist von oben runter. Der hängt dann an einem Seil und wird von droben runtergekurbelt. Und dann können sich die Leut eine Vorstellung machen, wie das ist, das mit dem Heiligen Geist. Aber in Wirklichkeit hat ihn noch keiner gesehen. Zumindest keiner in der jüngeren Vergangenheit gesehen. Im Grunde genommen, hat der Professor Wuiser gesagt, geht das auch gar nicht, weil mit dem Heiligen Geist ja auch gar nichts zum Anfassen gemeint ist. Und ein Gespenst erst recht nicht. Tatsächlich heißt der Heilige Geist auf Latein nicht umsonst „spirtitus sanctus“ und nicht „larva“, von dem nebenbei gesagt auch das Wort „Larve“ herkommt. Ein Spiritus, das ist etwas ganz anderes wie ein Gespenst oder ein Phantom. Das ist eher eine Kraft, eine Seele, hat der Professor Wuiser gesagt, eine Art Hauch. Und dieser Hauch tät durch die Welt wehen und alles durchdringen und mit seiner Seele im wahrsten Sinne „beseelen“. Bloß haben die damals mit dem Heiligen Geist mal etwas falsch verstanden und dann entsprechend falsch übersetzt. Seitdem heißt der Heilige Geist im Englischen auch „Holy Ghost“, was soviel bedeutet wie: das heilige Gespenst. Denen ist aus Versehen die Beseelung zum Gespenst geworden. Und das hat sich bis heute so gehalten. Die haben gesagt, das kann man nicht mehr rückgängig machen. Weil der Heilige Geist ja auch die eine feste Garantie dafür ist, dass man ihn verstanden hat. Und wenn man den Heiligen Geist verstanden hat und mit ihm erfüllt ist, kann man folglich auch gar nichts mit ihm falsch machen. In der Theorie zumindest. Bloß haben die sich damals vertan, und darum ist der Heilige Geist heute im Englischen ein heiliges Gespenst und kein Hauch mehr. Was meinen Sie? Für was der Heilige Geist eigentlich da ist? Bei der Firmung haben sie uns gesagt: damit man im Leben ja keine Fehler mehr macht!

Margit Heumann: Nacht(un)ruhe

Tock-tock-tock. Was klopft mit dem Mitternachtsschlägen vom Kirchturm um die Wette? Pünktlich zur Geisterstunde ein Gespenst?

„Blödsinn“, denkt Alfred, „das ist mein überreiztes Gehirn.“

Tag und Nacht lassen den Waffenproduzenten seine Geschäfte nicht los. Irgendwo ist immer Krieg und es wird nicht einfacher, Exportverbote für Rüstungsgüter zu umgehen und sowohl Aggressoren als auch Verteidiger zu beliefern. Deswegen leidet er unter chronischer Schlaflosigkeit, schon seit Wochen, keine Nacht macht er ein Auge zu. Was Wunder, dass er an Halluzinationen leidet.
„Ich brauche dringend einen Arzt“, murmelt er vor sich hin.

Es klopft wieder. Diesmal an der Tür. Länger und lauter.
„Wer kann das sein?“ Seufzend wirft sich Alfred einen Mantel über und öffnet.

„Da bin ich!“ Draußen steht eine hagerer, fast durchscheinende Gestalt, Stethoskop um den Hals, OP-Maske, OP-Haube, Stirnlampe, Brille. Offensichtlich ein Arzt. In weißem Kittel mit goldenen Knöpfen, wohl ein Professor oder Primarius. „Sie haben mich gerufen?“

„Das ist … das ist ja wie Geisterbeschwörung“, stammelt Alfred. „Aber wenn Sie schon mal da sind: Ich schlafe schlecht, seit Wochen mache ich keine Nacht ein Auge zu. Ich höre und sehe schon überall Gespenster …“

„Ihnen kann geholfen werden“, antwortet der Arzt. „Schuld ist die Seele.“

„Zum Teufel mit der Seele! Ich glaube nicht an Esoterik.“

„Jeder Mensch ist von Natur aus beseelt“, erklärt der Arzt.

„Und Sie können Seelen kurieren?“

„Kurieren nicht, aber davon befreien.“

„Eine Operation?“ Der Gedanke gefällt Alfred nicht.

„So ähnlich, aber völlig schmerzfrei.“

„Ich kann es mir nicht leisten, lange auszufallen.“

„Keine Sorge! Ich verfüge über genügend Mittel, die ihre Geschäfte erst richtig anzukurbeln.“

Alfred bekommt glänzende Augen. „Solche Mittel gibt es? Her damit!“

„Moment. Sie müssen mir dafür Ihre Seele verkaufen.“

„Herzlich gern.“ Als Manager weiß er, dass es kein Geschäft ohne Gegengeschäft gibt. „Und was sind das für Mittel?“

„Kokain. Opium. Ecstasy. Speed. Sie erleichtern den Soldaten die Kriegsführung.“

Alfred begreift das Geschäftsmodell im Handumdrehen. „Genial. Je mehr Ihrer Rauschmittel ich umsetze, desto mehr Waffen werden gebraucht.“

„Und umgekehrt! Eine Win-win-Situation für uns beide. Und ohne Seele schlafen Sie trotzdem gut.“ Er hält ihm die Hand hin. „Deal?“

Alfred zögert keinen Augenblick. „Deal!“, bestätigt er und schlägt ein.
„Eine Frage noch, reine Neugier: Was wird aus meiner Seele?“

Im Weggehen macht der Mann eine gleichgültige Handbewegung. „Sie haben es ja selbst gesagt: Zum Teufel mit der Seele.“

Der Arztkittel weht hinter ihm her und das Klopfen eines Pferdehufs hallt durch die Nacht. Alfred schlottern die Knie. Er friert, als hätte ihm jemand die Kleider vom Leib gerissen.

„Da hol mich doch der Teufel“, stößt er zähneklappernd hervor und geht zurück ins Bett. „Aber das ist mir meine Nachtruhe wert.“

Das Ein-Uhr-Läuten der Kirchturmuhr hört er schon nicht mehr.

Verena Schmidt: Zehn Geister und einer, der nicht dazugehört

Der gruselige Geist, 
ist der Geist, der die Seele vereist.

Der spirituelle Geist,
ist der Geist mit dem du ins Innere deiner Seele zu neuen Erfahrungen reist.

Der Himbeergeist,
ist der Geist, der die Leber verschleißt.

Der Teamgeist heißt Geist,
weil er Menschen zusammenschweißt.

Der wissenschaftliche Geist,
ist der Geist, der sich für den Fortschritt ein Bein ausreißt.

Der Liebesgeist
heißt Geist, denn das Leben ist die Liebe und des Lebens Leben Geist.

Der Weihnachtsgeist
macht, dass jeder das bunte, liebevoll drapierte Papier aufreißt.

Der Quälgeist
ist der kleine Geist, an dem sich die Oma die Zähne ausbeißt.

Der heilige Geist
ist der Geist, der dir in Reli den Arsch aufreißt.

Der Weingeist
beseelt und macht müde meist.

Ach und da hinten …
der kleine Braune im rechten Eck. 

Das ist der kleine braune Geist 
auf den jeder scheißt.

Matt S. Bakausky: Der Geist

Um mich kreist ein Geist. Der mir alles Mögliche zeigt.

Tolle Autokennzeichen mit Schnapszahlen, Müll auf der Straße, Polizeiautos, traurig oder böse schauende Menschen …

Der Geist ist es, der mir all das zeigt.

Mal eine Katze, die hastig über die Fahrbahn läuft, mal die roten Lichter des Turms des Energieunternehmens, mal den Mond, mal eine Straßenlaterne.

Doch der Geist ist in letzter Zeit unzuverlässig geworden.

Wenn ich Musik höre über Kopfhörer und in der Straßenbahn sitze, zeigt mir der Geist Menschen, die über mich reden, schlechte Dinge sagen.

Ich mag den Geist nicht mehr besonders, früher waren wir Freunde.

Jetzt weckt er mich mitten in der Nacht auf und ich höre einen Nachbarn meinen Namen sagen. Oder ein lautes Hämmern im Haus.

Der Geist hat angefangen zu spuken.

Ich vermisse den freundlichen Geist, der mir Schnapszahlen auf der Uhr zeigte.
Der mir zeigte was ist.

Jetzt fühle ich mich durch den Geist gemobbt.
Ich würde ihn gerne loswerden, aber ich weiß nicht, ob das überhaupt geht.

Er zeigt mir noch manchmal ein gutes Buch, meistens zeigt er mir jedoch Geräusche im Haus. Eine Klospülung, ein Bohren, Stimmen. Er lässt mich weniger schlafen.

Ich kenne den Geist seit Jahrzehnten. Er war schon immer da. In letzter Zeit ist er unzuverlässig geworden.

Aber ohne ihn kann ich nicht.