Margret Bernreuther: Lügen

Die Luft in den Kabinen, aus denen sie normalerweise aufs Spielfeld hinaus liefen, war zum Schneiden.
Sicherlich wird es heute noch regnen.
Auch nachdem sie die engen Gänge verlassen hatten und die Tribüne betreten hatten, veränderte das wenig an der vorhandenen Luftqualität.

Das Stadion war bis auf den letzten Platz gefüllt. Es war laut. Ich hatte sein Hemd und das Sakko bereits durchgeschwitzt und die Veranstaltung hatte noch nicht einmal begonnen.
Vier Stunden lang wird alleine der offizielle Teil der Veranstaltung dauern.
Mittlerweile ist etwas Wind aufgezogen.
Auf den Rängen sitzen tausende Menschen und singen und tanzen.
Es ist ein schöner Anblick.
Jahrelang habe ich ein bei der „University of Lecturers“ ein Fernstudium betrieben, um mich auf diesen Tag vorzubereiten. Ich bin der Beste, den sie kriegen konnten. Ich werde heute meinem Land Ehre erweisen. Auf dieser Veranstaltung, die im ganzen Land, ja in der ganzen Welt zu sehen sein wird.

Ich bin schon lange wach. Wenn ich ehrlich bin, habe ich überhaupt nicht geschlafen heute Nacht. Nachdem ich weiß, wie streng die Sicherheitsvorkehrungen sein werden, habe ich mich früh auf den Weg zum Stadion gemacht. Meine Frau und meine Kinder haben noch geschlafen. Sie werden die Übertragung später im Fernsehen ansehen.
Ich habe nicht gefrühstückt. Ich wollte niemanden wecken.
Ich kann mich nicht setzen. Die Stühle sind alle mit prominenten und wichtigen Namen versehen.
Immer wieder entdecke ich bekannte Gesichter. Schon oft habe ich bei wichtigen Anlässen gedolmetscht, aber das heute schlägt alles.
Vor 5 Tagen starb Nelson Mandela, heute wird sich die Welt von ihm verabschieden. Und ich werde derjenige sein, der die Nachricht in die Welt trägt.

Über die Stadionlautsprecher wird durchgesagt, dass Barack Obama im Stadion angekommen ist.
Die Menge rastet förmlich aus. Der schwarze amerikanische Präsident, ist für uns alle die große Hoffnung, dass sich vielleicht doch noch irgendwas in unserer Welt verändern wird.
Das Geschrei und die Gesänge sind ohrenbetäubend. In diesem Moment wünschte ich mir selbst, ich wäre taub. Meine Kehle ist staubtrocken.
Ich verstehe nicht, warum ich nichts zu trinken bekomme. Nur weil ich nicht rede?

Und nun setzte der Regen ein. Eigentlich hatte es seit Tagen nicht aufgehört zu regnen. Ein Zeichen dafür, dass auch der Himmel trauert. Die Menschen in den Rängen spannen ihre Schirme auf.
Nun werden meine Schweißflecken sicherlich niemandem mehr auffallen.
So viele Menschen sind gekommen. Staatsmenschen aus der ganzen Welt.
In ganz Johannisburg gibt es kein einziges freies Hotelzimmer mehr.
Alles musste sehr schnell gehen. Ein Freund hat mir erzählt, dass er Gäste aus seinem Hotel hatte werfen müssen, damit er Platz für den deutschen Bundespräsidenten hatte. Ich habe mir seinen Namen nicht gemerkt.
Ich muss mich nun auf meine Aufgabe konzentrieren. Das, was von mir erwartet wird.
Ich werde heute alle Reden der wichtigsten Menschen der Welt und die der Angehörigen von Nelson Mandela in die Welt übersetzen.
Gebärdensprache ist, wenn man so will, die universellste Sprache die es gibt. 


Eine Sprache, die die Welt vereint. 

Allen gehörlosen Menschen auf der Welt ist es möglich, diese Sprache zu verstehen. Ich spreche zu allen von ihnen.
Das hat mich damals auch dazu bewogen, meinen Abschluss in Gebärdensprache zu machen.
Ich wollte eine Sprache, die alle verstehen können. Und lernte sie an der Komani Schule. Ich wurde schon auf viele Feste als Dolmetscher eingeladen.

Der Regen wird immer stärker und in die Blasinstrumente der Kapelle fließt das Wasser. Gar nicht so einfach, einen Schirm und eine Tuba gleichzeitig zu halten.
Die Nationalhymne verklingt und die Trauerfeier hat nun offiziell begonnen.
Obwohl noch längst nicht alle Gäste im Stadion angekommen sind. Aber Obama, Obama ist da.
Unser Präsident ergreift das Wort.
„Mandela hat sich Regen gewünscht. Denn Regen bedeutet, dass du im Himmel willkommen bist“
Der Jubel der Gäste ist dieses Mal so laut, das es mir beinahe schwarz vor Augen wird.
Ich versuche mich, auf die Worte unseres Präsidenten zu konzentrieren.
Aber es ist so laut. Ich verstehe ihn nicht richtig. Aber ich kenne die Sprache die ich spreche.
Ich habe schon so viel Erfahrung und ich werde das einzig Entscheidende in diesem Moment machen: ich werde den Menschen Mut machen mit meinen Worten. Mit meinen Zeichen. Die Zeichen, die mir der Engel in den oberen Rängen zu verstehen gibt.

Wir alle beten gemeinsam. Wir alle singen gemeinsam. Der Regen wird immer heftiger.
Und auf einmal ist das zuvor Geschehene, als wäre es nur eine Art Aufwärmtraining gewesen.
Barack Obama betritt die Bühne und ab diesem Moment bin ich taub.
  

Arabella Block: Liebe lügen

Es geht mir gut. Alles klar, kein Problem. Nein, nein, das
macht mir nichts aus.

Geh du ruhig alleine. Ich hab eh zu tun. Du weisst,
ich bin gern mal zuhaus.

Versteh mich nicht falsch. Da steh ich doch drüber. Ich schätze, 
das musste mal raus.

Uns geht es doch Gold. Verglichen mit andern leben wir 
in Gefühls-Saus und Braus.

Okay vielleicht, ist es eher ein Säuseln. Doch keine 
Leberlauflaus.

Huch, wie das kitzelt. Ich kann nicht mehr, Gnade. Ach ich 
kleine, kreischende Maus.

Ja, ich dich auch. Das war ganz toll, mein Lieber.
Tosender Applaus.

Erst seit es dich gibt. Wie niemals zuvor. Ich bin eine 
sehr glückliche Fraus.


Elmar Tannert: Die große Stunde

Da stehen sie am Tresen vom Pik-As und warten auf ihre große Stunde: Weizen-Willi, Jehova-Michel, Bauch-Peter und Tschechen-Paul.

Paul besucht seit Jahren einen Tschechischkurs an der Volkshochschule. Damit trainiert er seine Zungenfertigkeit, denn Tschechisch verfügt nicht nur über eine Reihe höchst differenzierter Zischlaute, sondern gilt zudem als die vokalärmste Sprache Europas. „Man kann im Tschechischen Sätze bilden“, doziert Paul gerne, „die kommen ganz ohne Vokale aus. Wißt ihr zum Beispiel, was auf tschechisch heißt …“

„… ’steck deinen Finger durch den Hals‘?“ rufen Weizen-Willi, Jehova-Michel und Bauch-Peter im Chor, und Tschechen-Paul hebt sein Glas und ruft: „Strč prst skrz krk!“

Das rechte Rücklicht an seinem Wagen ist chronisch defekt. Das ist Absicht, denn Pauls Vision von seiner großen Stunde sieht so aus: Eines Nachts wird ihn die Polizei anhalten, um ihn auf das defekte Rücklicht hinzuweisen, und er wird sagen: „Kein Problem, ich hab immer ein Ersatzlämpchen im Handschuhfach – und der Kreuzschlitzschraubenzieher liegt gleich daneben!“ Und er wird das Wort „Kreuzschlitzschraubenzieher“ dank jahrelanger Zischlautübungen noch mit 3 Promille im Blut so vollendet artikulieren, daß die Polizisten einen etwaigen Verdacht auf Trunkenheit am Steuer sofort verwerfen werden.

Bauch-Peter hingegen nimmt seit Jahren Ballettunterricht. Deshalb läßt er es sich nicht nehmen, mit dem Auto ins Pik-As zu kommen, obwohl er gleich um die Ecke wohnt, denn Bewegung, sagt er, hat er zweimal die Woche im Ballett genug. Ihn haben sie einmal, es ist schon Jahre her, auf dem Strich entlanggehen lassen. Danach war der Schein ein halbes Jahr weg. Im Pik-As führt der Bauch-Peter immer wieder mit Hingabe seine große Stunde vor.

„Zieht einen Strich auf dem Boden! Aber schnurgerade! Und noch einen Hörnerwhisky für alle!“

Das lassen sich die anderen nicht zweimal sagen. Eine Wäscheleine wird knapp über dem Boden von Barhocker zu Barhocker gespannt, ein Kreidestrich wird daran entlanggezogen, und Bauch-Peter wieselt nicht nur exakt auf dem Strich auf und ab, sondern dreht auch nach dem zehnten Landbier noch anmutige Figuren dazu. Das soll ihm ein nüchterner Polizist erst einmal nachmachen …

Der Jehova-Michel wiederum nimmt den netten älteren Damen in der Fußgängerzone regelmäßig die neuesten Ausgaben von „Wachtturm“ und „Erwachet!“ ab und deponiert die Traktate gut sichtbar auf dem Beifahrersitz.

„Michel, mach uns den Prediger!“ ruft die Gesellschaft, wenn der Gesprächsstoff auszugehen droht. Dann stellt er sich auf einen umgedrehten Bierkasten, spricht über den menschlichen Leib als den Tempel Gottes und wettert gegen Alkohol- und Nikotinmißbrauch, bis seine Zechkumpane röchelnd und wiehernd von den Barhockern gleiten.

Auch er träumt von seiner großen Stunde. Er wird den Polizisten mit dem Führerschein eine religiöse Schrift in die Hand drücken und sie fragen, wie sie es mit Gottes Wort halten, und ob er sie einladen darf in den Königreichssaal zum Bibelstudium, und da werden sie, meint er, erstens schleunigst das Weite suchen und ihn zweitens für völlig unverdächtig halten – vorausgesetzt, er hat sein Atemgold-Bonbon im Mund.

Und der Weizen-Willi? Der steigt, wenn die Polizeistunde geschlagen hat, mit einer Sanitäterweste am Leib ins Auto und ist über kulturelle wie sportliche Großveranstaltungen stets informiert. „Na, Kollegen?“ wird er also im Fall des Falles ungefähr sagen, „auch noch Volksfesteinsatz gehabt?“

Seine Erste-Hilfe-Kenntnisse frischt er natürlich regelmäßig auf, denn jeder weiß ja, daß es auf der Welt die merkwürdigsten Zufälle gibt, und wie oft passiert genau das, was nicht passieren soll. Falls also einer der Polizisten während der Kontrolle einen Kreislaufzusammenbruch haben sollte, dann ist der Weizen-Willi auch nach einem Dutzend Hefeweizen und mehreren Sechsämter-Runden noch imstande, den Freund und Helfer qualifiziert zu betreuen. Die Tresenbesatzung weiß das zu schätzen, denn der Weizen-Willi hat noch jeden Trinker im Notfall so weit wiederhergestellt, daß er aus eigener Kraft sein Auto erreicht hat, und wenn es auf allen vieren war.

„Laßt euch nicht unterkriegen, Jungs!“ sagt Walter, der Wirt vom Pik-As, zum Abschied. „Denkt immer dran: Die Säule der Sicherheit im Straßenverkehr seid ihr!“

Walter liest regelmäßig Zeitung, und die veröffentlichten Statistiken, findet er, sprechen eine eindeutige Sprache: 2,5 Prozent aller Verkehrsunfälle, heißt es, werden von Betrunkenen verursacht. Mit anderen Worten: Die 97,5 Prozent Nüchternen sind es, die wie die Wahnsinnigen fahren.

Şafak Sarıçiçek: automaticman & die räume

Achtsamkeit

Wo ich bin ist es schwarz und das Schwarz gähnt, eine gähnende Schwärze, eine stille Schwärze, und wieder und wieder saust und zischt etwas vorbei. Vorbei. Woran vorbei?

Habe ich es geschafft ? Geschafft eine Perspektive einzunehmen, eine Ordnung, eine Gesetzmäßigkeit, kann ich halten, festhalten, kann ich einfrieren ? 

Sie sagt, das sind meine Gedanken und vielleicht sind da auch keine Gedanken, vielleicht ist da Nichts und anfangs ist das okay, ist das üblich. 

Sie sagt, jetzt entfernst du dich von den Gedanken, steige auf, steig langsam auf und blicke wohlwollend hinab. Mit Gleichmut. Ihre Stimme flüstert. Sie ist jenseits der Schwärze. Außerhalb dieses Raums, in dem ich jetzt schwebe, körperlos, keine Aggregatzustände, kein Schmerz und die Gedanken sind ein Konglomerat, ein Gedankenurbrei, heiß und wütend blubbblubbblubbernd, aber dort unten, ein eigener Biotop, ein Kontinent, vom Urkontinent, dem Gedanken- Pangäa abgestoßen und sie sagt

LEERE

in die das Rot stößt , die immanente Gefahr, der Zustandsstörer, nirgends vorzufinden. Keine Maßnahme, die ich ergreifen kann, um die interne Sicherheit und Ordnung wiederherzustellen, Gefahrenprävention vonnöten, aber ich habe keine Polizei, keine Gefahrenabwehrbehörde, niemand zuständig, keine Standardmaßnahmen dagegen und wo ist die Generalklausel, der Ruheort, wie sie sagte, das Ruhewort, wie sie sagte, die polizeiliche Generalklausel, die ich aktivieren kann, mit der das Rot verbleicht, verbleicht, wo die Bleiche, die wieder zur Leere führt, in der ich ruhte, das farblose Nichts. Auch jenseits der Schwärze, auch fern von dem Rot, wo ich bin, stößt die Gefahr hinein und ich ahne, die Hände zittern, ich ahne, die Lider flatterflatterflattern. Sie erklärt, dass sind deine Gefühle und wieder sagt sie

LEERE

und für einen Moment bin ich leer

bis mich das Rot endgültig erdolcht, Spaceshuttles startexplodieren, alle Neuronenspinnennetze blitzen auf, Mariannengrabenschwärze tut sich auf und schluckt die Röte und überall Pulsieren, Funken, Zischen, Leuchtkerzen und Arme die mich nach unten ziehen meinen Kopf der wächst, die Sekunden verzerren sich – der Schleudergang setzt ein Schleuder ! Schleuder ! Schleuder ! Die Waschmaschine grinst und sie sagt etwas durch die Waschmaschinenscheibe, haucht dagegen, klopft und in der Maschine hallt es: Komm wieder zurück, komm langsam wieder zurück. Zurück. Wohin zurück ?

Notizen

Notiz 1:
Sechsuhrfünfzehn. Frühstück. Kacheln. Frühstück auf dem Tablett. Mein Rücken schmerzt.
Sie sehen mir zu, ob ich auch schlucke. Am liebsten weiter schlafen.

N 2:
Vogel auf einem Sims. Irgendwo. Ich mag die Fenster nicht. Ich glaub, ich könnte runterspringen. Ich will es eigentlich nicht. Ich glaube und weiß es immer im Januar. Immer im Januar

N 3:
Etwas mit Gestaltung. Ich nehme die Stifte, ich zeichne. Meine Finger Blei. Sie finden es gut. Aber warum zeichne ich ein Bild mit dem gelben Punkt, und wer ist automaticman  fragen sie. Das

N 4:
Frühstück und Mittagessen ganz gut. Manche schreien. Mir ist es egal. Ich mag den Tag mit der Gestaltung. Man will mit mir etwas üben. Manche schlagen sich. Ich will sie wegschlafen. Will Sie wieder sehen. Ich werde Sie zeichnen.

N 5:
Jeden Tag, den ich überlebe: Ein Strich. Wenn ich lange genug schlucke und schlafe. Es wird gut. Es muss gut werden. Der Schlaf ist vielleicht kein guter Freund. Ich schreibe nicht mehr. Striche werden reichen.

OEG- Bahn

Und alle waren so langsam und zugleich so präzise in den Tag gestochen. Ihre Atemzüge waren laut. Die Nasenflügel, man konnte heranzoomen, wenn man will, konnte mehr wahrnehmen und ich nahm war und wusste, ich würde hier finden. Alle Augen waren auf mich gerichtet und ich nahm sie war und ich nahm Sie war, mit ihren gelben Sneakers, diesem Gelb das noch mehr, noch mehr, noch viel mehr, noch unbändiger, rebellischer hervorstach als die anderen Eindrücke. Der Hintergrund war mit einem Stromschlag durch die Gegenwart augenblicklich matt. Meine Augenapparatur vollkommen, vollkommen, ganz und gar von dem Gelb eingenommen. Es floß Strom durch den Zeitraum. Ich wusste, dass sie die Unbekannte aus dem Raum war, aus dem Traumraum. Damals unbekannt und jetzt lief das Schicksal in dieser Kabine zusammen und zerfloß zusammen mit den Lichtverhältnissen, die Blicke aller zerliefen. Die Bahn war grellgrün, die Bahn strahlte radioaktiv auf, Teilchen spalteten sich und in einer klaren Vision: das erste Mal mit ihr, die Verlobung, die Heirat, der Tod und die Wiedergeburt, Reinkarnation, Samsara, mal als Hungerlunger, mal als Tiere, immer wieder aufeinandertreffend und die Bilder werden zur Waschtrommel, vor der es kein Entrinnen gibt im schleuderschleudersschleuder- Modus, im Schleudergang, und dieses erhabene Erkennungszeichen ihrerseits, ihre gelben Schuhe, der gelbe Schuh, im Schleudergang: die Gelbflosse einer Nymphe -SCHLEUDER- wir beide bettlägerig in einem gelben Tuch gewickelt und alt – SCHLEUDER – sie eine Axt mit gelben Griff die tiefe Kerben in mich als Baum, in mein Holz schlägt. Schleuderschleuderschleuder: Andere Bilder, aber unverständliche– ein Mann der weggetragen wird, eine Frau mit gelben Sneakers, Menschen in einer Bahn die zuschauen, wie er sich windet und losreißen will –  in der Gehirnwaschtrommel macht sich LEERE breit.

Zuflucht, erste Tage

Die Jalousien waren beinahe perfekte Abschirmungen gegen das Tageslicht. Sie schirmten ihn ab gegen die allgemeine Verantwortung. Sie ließen nur durch ein paar Ritzen Sonne und Nacht durch. Die Verantwortung drang nur in Ritzen durch. Ein Hausmeister der Gras mit seinem Mäher zerschnitt, das elektronische Rad des Postangestellten. Wie das Geräusch einer Angelrute die ausgeworfen wird, nur zeitlich langgestreckt, immer lauter auf einen zukommend, auf die Fische. Eine älter klingende Dame in Rüge- oder im Ernstgespräch mit Hund, als wäre es der Ehemann. Eine andere älter klingende Dame in Beschwichtigung ihres Hundes. Gespräche zwischen den beiden älter klingenden Damen. Fast perfekt abgeschirmt gegen die Tatsache der anderen Menschen, die Mikrouniversen der Anderen. Fast perfekt.

Es fing langsam wieder an, chaotisch zu werden. Er schlief nicht mehr gerne. Er betrat den Raum mit den zahllosen Kästen, wo gegen virtuelle Währungen in dem einem Kasten ein Paar mechanisch Entkleidung betrieb, um es dann miteinander zu treiben, ein anderer Klick und weitere mechanische Verrenkungen, menschliche Formen, Schamhaare, Brüste, grunzende Frauen, grunzende Männer und mittendrin, er, ohne Schlaf, nach Zuflucht suchend und es fühlte sich nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner von einem Zuhause an und wenn ihm die Augen zufielen, fiel er in sein Bett, nur um bald darauf wieder aufzuwachen.

Zuflucht, kurz vor Aufbruch

Die Jalousien waren weiter beinahe perfekt. Die Tage waren vergangen, vielleicht waren sie das auch nicht. Etwas hatte eingesetzt. Wie ein Laser gewann etwas an Klarheit, tief in seinem Kopf drinne. Er wartete nur noch auf ein Signal.
Klick! Kästen überfliegen, überklicken, entkleiden, eindringen, mit seinem Laserfokus-
Ein neuer Kasten: Kein Entkleiden. Reden.
26 Jahre alt, Location: Im Himmel und in Deinen Träumen.
9.500 Leute sitzen mit ihr in dem Kasten. Stupsnase, großmandeläugig, halbgegessene Pizza auf dem Bett. Er wagt einen Beitrag, zeitgleich ihr Blick ihr Lächeln, ein Klick! setzt im Schleuderganghirn ein, ein Lächeln zurück, Gewissheit, dass sie ihn sieht, Gewissheit, dass sie sich kennen, von einem Leben vorher, das schreibt er ihr. 6.000 Leute lesen mit. Sie, geschmeichelt, nicht ganz für voll nehmen – großmandeläugiges Lächeln.
Gelbe Sneakers auf dem Boden hinter ihr. Musik im Hintergrund, ihm gefällt die Musik. Ihm gefällt ihr Lächeln. Jemand schreibt: You look sad . Sie schüttelt den Kopf, zieht eine Bong hervor, zieht daran, legt sich zurück. Macht die Augen auf und lächelt ihn an, ihn, in ihren Augen ein Flehen an ihn gerichtet. Klick ! Klick ! Er denkt, ich muss sie retten. Klick! 1.000 Leute sitzen alle zusammen in dem Kasten. Sie lächelt. Klick!
Er schreibt, dass er jetzt zu ihr kommen wird. Jemand entgegnet, in dem viel zu engen und überfüllten Kasten: you psycho, stop it! Ihr schiefes Lächeln, in seinem Klick!- Schleuderganghirn: Zieh dann deine Sneakers an, so erkenne ich dich, Klick ! user automaticman was removed from the room, Klickklickklickklick !
Jalousien auf und raus.

Marius Geitz: Kreuzfahrtschiff

Ich wär jetzt gerne
Auf nem Kreuzfahrtschiff
Um empfangen zu werden 
Von jemand
Der mich scheiße findet
Scheiße findet was ich mach‘

Ich wär jetzt so gerne 
auf nem Kreuzfahrtschiff
Um empfangen zu werden 
Von jemand 
Der mir erklärt
Dass alles was ich tu‘ 
zu seinem Ruin beiträgt

Ich wär jetzt so gerne
Auf nem Kreuzfahrtschiff
Um endlich zu lernen 
was es heißt 
den Rest zu zerstören
Von dem was noch übrig bleibt

Marius Geitz: Termin bei der Bank

Ich hatte heute Mittag 
Nen Termin bei meiner Bank
Da wollten sie meine Pläne hören 
Für meine Zukunft und auch sonst
Als ich sagte, dass ich keine Ahnung hab 
Und auf nen Plan haben kein Bock
Sahen sie gefundenes fressen 
Und überhäuften mich mit ihrem Schrott 

Ab ungefähr dem dritten Satz 
verstand ich garnichts mehr
Und wurde immer sau‘rer
Und wünschte mich weit weg
Ab ungefähr dem vierten Satz
Hörte ich nicht mehr hin
Und wurde stinkewütend
Und fing an zu transpirieren 

Ab ungefähr dem fünften Satz 
Stand ich auf Und ging 
Und lief zur nächsten tanke
Und trank ganz schnell ein Bier 
Ab ungefähr dem sechsten Bier
War alles war alles wieder gut
Und vergessen war die Zukunft
Und auch meine Wut

Fitzgerald Kusz: lüngbeidl

di uhrn gängä rüggwädds
ä minuddn houd sechzg schdundn
di sunnä gäihd im wesdn auf
und im osdn gäihds widdä undä
am dooch scheind dä mond
und in dä nachd scheind di sunnä
dä himml is undn
und di erdn is oom
di wolkn hamm fesdn buudn
undä ihre fäiß
und di berch fläing dävoo
iich laaf aff mei händ
und wink mid mei fäiß:
morng is aa numall ä nachd!