Carsten Stephan: Wenn nicht mehr Qualen und Glasuren

Novalisoulipo

Wenn nicht mehr Qualen und Glasuren
Sind Schüssel aller Partituren,
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tadelnswerten wissen,
Wenn sich das Zelt in freie Reben
Und in das Zelt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wieder Pflicht und Ratten
Zu echter Wahrheit werden gatten
Und man in Härchen und Gerichten
Erkennt die ew’gen Spukgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Hort
Der ganze verkehrte Besen fort.

Carsten Stephan: Das Mosaik von Magda Meste

Dreigroschenoulipo

Und der Halo, der heischt Zähren
Und die trenzt er im Gesims
Und Madam, die heischt ’ne Meste
Doch die Meste siezt man nicht.

Ach, es soggt der Halo Flöze
Rund, wenn dieser Bob vergipst
Magda Meste tränzt ’nen Hangar
Drauf man keine Unze löst.

An des Thorax gschupfter Watsche
Laden poco Lieken um
Es jappt weder Pferch noch Cordula
Doch es hievt: Magda münzt um.

An ’nem schrohen brachen Sorgho
Lockt ein tumber Mansch am Streb
Und ein Mol girrt um die Eder
Dass man Magda Meste nippt.

Und Schnat Meinolf blökt versotten
Und so mancher reife Mansch
Und sein Gest heischt Magda Meste
Der man nichts bewurzeln kann.

Jochem Trafik watscht’ gehenkelt
Mit ’ner Meste in der Brut
Und am Kalb girrt Magda Meste
Die von allem nichts gezwirnt.

Wo jappt Amin gleich, das Fuzerl?
Koppt es je am Spangenschuh?
Wer es immer wricken könnte
Magda Meste welkt es nicht.

Und der grüne Fiat in Solveig
Sieben Kirben und ein Griebs
In der Merle Magda Meste, der
Man nichts franzt, und die nichts welkt.

Und der ministrable Wocken
Dessen Nandu jeder welkt
Wölkte auf und watscht’ geschliffen
Magda welches watscht’ dein Propst?

Carsten Stephan: Orchester der Äonen

Aus 12 ½ Versen Johannes R. Bechers

Die Zimbeln rasen durch die Dämmerungen.
Von Abgrund-Orgeln, donnernden, umstimmt.
Es kollern Flöten wimmernd im Gerölle.
Ein Holzklavier im Automate singt.

Ha! Jedes Haut-Quadrat betupfen Trommeln.
Der Liebesharfe weicher Ton längst barst.
Aus Tubaschößen wirr Gesänge prallen.
Es rasseln Geigen, Geigen tödlich-schrill.

Posaunen! – Echo aus Versteck und Ecken.
Ein Cello dunkler unter Brücken wühlt.
Wir wallen, von Trompetenbraus umbrandet.
Ein finsteres Vieh, die fette Pauke, grunzt.

Carsten Stephan: Karneval

Ein Knabe kriecht in die Konfettidüne.
Ein plumpes Blasorchester bläst zum Spaß.
Ganz grüne Röcke fliegen auf der Bühne,
Und große Zähne beißen in ein Glas.

Katarrhe schielen nach der nackten Wade.
Ein draller Dackel liebt ein Narrenbein.
Es hagelt große Tafeln Schokolade,
Ein Balg bricht nieder und ein Sturm herein.

Ein Wagen kippt. Bemützte Männer purzeln.
Ein Altersfleck ist von Kamellen blau.
Trompeten dellen. Rote Trommeln wurzeln.
Ein Traktor stolpert über ein Helau.

Carsten Stephan: Unterwegs mit Eichendorff

„Hörst du nicht die Quellen gehen
Zwischen Stein und Blumen weit?

Hörst du nicht die Bäume rauschen
Draußen durch die stille Rund’?

Hörst du nun den Frühling laden,
Waldhorn gehn im grünen Wald?

Hörst du tief die feuchten Hügel
Schlagen an die Felsenwand?“

„All das kann ich gar nicht hören.
Also: halt doch mal die Klappe!“

Carsten Stephan: Narren

Runde Köpfe, spitze Zungen,
Stiller Weltschmerz, lautes Lachen.
Ab und zu kommt eine Nachricht
Und es zeigt sich wer beleidigt.

Dünner Bizeps, dicke Lippe,
Werk mit Absicht, ohne Wirkung.
Ab und zu kommt eine Klage
Und es plündert wer das Konto.

Sanfte Augen, scharfe Blicke,
Narrenfreiheit, Idealismus.
Ab und zu kommt eine Kugel
Und es greinen falsche Freunde.

Carsten Stephan: Bauhaussiedlung Dessau

Terzinen

Beharrlich mied ich jene Siedlungsstraßen
Mit ihren glatten, seelenlosen Bauten,
Die vor der Stadt sich in die Felder fraßen

Und ewig weiß und gleich und fremd ausschauten,
So dass sich alle, die das Schöne lieben,
Allein beim Abbild vor dem Ganzen grauten.

Doch jüngst hat mich der Zufall hingetrieben,
Ich staunte sehr und muss die Siedler loben:
Dank euch ist wenig, wie es war, geblieben.

Statt Fensterbänder, schwarz und abgehoben,
Sah ich beglückt die goldnen Dekosprossen.
Auch saßen jene einstmals zu weit oben

Und hatten so der Siedler Blick verdrossen
Auf Nachbars Gartenzwerg und Hütchenfichte,
Den sie nun auf dem Bette noch genossen.

Das Monotone machte man zunichte
Mit Dämmungsklinker- oder Schindelfronten,
Ihr Beige stand ihnen prächtig zu Gesichte,

Zumal, wenn sie am Dache glänzen konnten
Durch Braun, so dunkel wie der Wälder Rauschen,
Und gar durch ein Geweih mein Herz besonnten.

Doch soll die Siedlung wirklich uns berauschen,
Muss sie ganz lassen vom modernen Wahn:
Die flachen gegen Satteldächer tauschen,

Und übern First: ein goldner Wetterhahn!

Carsten Stephan: Moralkolumnist Dr. Ehrmüller

Darf man sagen, dass die Kinder nerven?
Darf man schlipslos aufs Familienfest?
Darf man Tante Trudes Kunst verwerfen?
Darf ein Veggie, um nichts wegzuwerfen,
Knabbern einen fetten Eisbeinrest?

So klug fragen Kaufmann und Friseuse,
Das ist es, worum die Welt sich dreht:
Darf man? Ist es gut? Oder doch böse?
Ehrmüller hält in der Zeitung Lese,
Und man hofft und spricht ein Bittgebet.

Darf man über rote Ampeln gehen,
Wenn der Zug fährt und die Zeit verrinnt?
Keineswegs! Denn schnell ist es geschehen,
Schließlich geht man oben nur auf Zehen,
Dass man fällt. Natürlich auf ein Kind!

Darf man Penner aus dem Bahnhof jagen?
Ja! Er ist doch öffentlicher Raum.
Doch es bleibt ein leises Unbehagen:
Darf man denn zu Menschen Penner sagen?
Nein! Denn ohne Achtung geht es kaum.

Darf man mangels Geld für eine Reise
Karten schicken: Gruß aus Sansibar?
Darf man, wenn zu arm für Biopreise,
Fleisch verzehren? Nö! – Und vom Kakao,
Durch den sie einen ziehen, trinken? Klar!

Unser Doktor hegt Gewissensmaden
Und erteilt schon jahrelang Absolution.
Selten spricht er nur von Schurkenstaaten.
Darf man seinen Lebenstraum verraten?
Er in der Weltethikkommission.

Darf man alte Panzer ausrangieren,
Oder wäre das ein Umweltgau?
Darf man auf Raketen Hate Speech schmieren?
Darf man einen schönen Weltkrieg führen,
Wenn so Zeit fehlt für die Ehefrau?

Carsten Stephan: Schweiß und Preis

Glosse

            Von der Decke bis zur Diele
            Muß der Schweiß herunter rinnen,
            Willst gelangen Du zum Ziele,
            Wohlverdienten Preis gewinnen.
                                Friederike Kempner

Woher kommt und wohin geht er?
Welches ist des Schweißes Richtung?
Davon kündet dir die Dichtung.
Fließt er grade oder dreht er,
Spritzt er achtundsiebzig Meter?
Ob im Nebel, ob am Nile,
Von dem Steiß geht er zur Schwiele,
Zu dem Krapfen, zu der Kröte,
Von dem Griesbrei bis zum Goethe,
Von der Decke bis zur Diele.

Aus der Achsel muss er fließen,
Er muss strömen, er muss schnellen,
Gleich den Niagarafällen,
In Fontänen aufwärts schießen,
Im Quartiere sich ergießen.
Ob bei Froste, ob bei Finnen,
Ob bei Flippfloppträgerinnen,
Er muss sprudeln, er muss sprützen,
Ja, zu ungeheuren Pfützen
Muss der Schweiß herunterrinnen.

Diese Flut musst du durchwaten,
Gar das gelbe Meer durchschwimmen,
Um die Zwecke zu erklimmen,
Gleich den Hanse- und Kroaten
Rudern zu den Resultaten.
Ob in Schweden, ob bei Schwüle,
Nimmer geht’s per Besenstiele,
Du musst schnorcheln, du musst schippern,
An den Kliffen, auf den Klippern,
Willst gelangen du zum Ziele.

Wird man dich mit Lorbeer schmücken
Für den Duft an allen Ecken?
Wird man dir die Füße schlecken?
Wird man Ehrennadeln zücken,
Preisen dich in Bühnenstücken?
Ob am Montag, ob zum Minnen,
Fünfzig Raubtierpflegerinnen
Werden schnurren, werden schnobern,
Konntest ja ihr Herz erobern,
Wohlverdienten Preis gewinnen.

Carsten Stephan: Musikantenstadl

In matten Augen glänzt die Studiosonne,
Ein Rüschenbalg kräht im Tapetenwald.
Und alles schunkelt sich in beige Wonne.
Ein Hirschhornknopf von einer Hose knallt.

Ein Mottenschwarm entflieht den Kampferdünsten.
Ein Jodler schlüpft aus einem Dekolleté.
Der Saalschutz fantasiert von Feuersbrünsten.
Ein Stützstrumpf blickt verliebt auf ein Toupet.