Theobald Fuchs: Heißgetränk.

Dieses Zeug da drinne. Gurgelt und gluckert im Glas. Es ist heiß. Heißer als heiß, (gesungen) heiß, überheiß… 

Wenn man einen Tee mit 500 Grad kochen könnte, würde er dann fünf mal stärker wärmen als? Oder würde man nur fünf mal stärker pusten müssen, damit er in der gleichen Zeit trinkbar ist in Klammern: und einen nicht tötet Klammer zu.
Trinkbar heißt: knapp unter Körpertemperatur. Besser ist das. 

Erst heizen und dann kühlen – wozu? Ich versteh’s nicht, hab’s nie verstanden, sorry.
Bin vom Typ her mehr kaltes Bier. Das ganze Thema hier, sorry, aber mir ist das zu… sagichmal: so direkt. Wäre jetzt ein Wortspiel an der Reihe, dann: zu heiß. So aber… Durchschaubar trifft’s am besten. 

Draußen ist es kalt wie ein gutes Bier, drinnen total warm, weil alle wie blöd heizen, damit sie barfuß auf dem Balkon Tiere nachtanzen können. Nackig. Weil Tiere ja auch keine Klamotten anhaben, die meisten jedenfalls. 

500 Grad im Hobbykeller, der Tee kocht von allein, bloß pusten, das musst du noch selber, und zwar fünf mal so stark, sonst dauert es fünf mal so lang. Wobei fünf noch eine Untertreibung ist, meiner natürlichen Bescheidenheit geschuldet. Sechs, sieben, das kommt schon eher an die Wahrheit hin. 

So feste pusten, dass vom Bier, das einfach nur kalt sein muss, der Schaum wegfliegt. Der Schaumfetzen im Flug gefriert, wegen des Gegenwinddingens. Irgendwohin fliegt. An eine Fensterscheibe zum Beispiel, wie eine fette Fliege zerspratzelt das, pladderadatzelt wie eine Fliege, auf die mit der Fliegenpatsche… Zosch und Patsch, voll krass! Gibt aber grad keine Fliegen, scheiß die Wand an, ist das vertrackt. Es muss in jedem Fall gefrorener Bierschaum sein, der Insektengestalt annahm. Damm it! 

Andererseits: ganz so kalt wie früher vertrage ich das Bier auch nicht mehr. Aber nicht falsch verstehen: Ich gehöre noch lange nicht zur Generation Tauchsieder. Knapp unter Zimmertemperatur, das passt, und den Schaum einfach nicht wegpusten, dann passiert auch nicht das, was. 

Und letztendlich muss ich sagen: ob heiß oder kalt – das ist dann irgendwo auch relativ.

Elmar Tannert: Blick aus dem Fenster

Paul nahm einen Schluck aus der Bierflasche.

„Weißt du, was ich mich manchmal frag?“

Kalle, sein Banknachbar in der kleinen Grünanlage, wußte nicht, was Paul sich manchmal fragte. Er hätte also einfach „nöö“ sagen und seinerseits einen Schluck Bier nehmen können. Aber er wollte Paul nicht verstimmen.
Also erkundigte er sich teilnehmend: „Was fragst du dich denn manchmal?“

Paul leitete seine Antwort mit einer stummen Kopfbewegung zum Mietshaus ein, das auf die Grünanlage blickte.

„Der Typ da oben“, sagte er schließlich.“

„Du meinst den im zweiten Stock, der aus dem Fenster schaut?“

„Genau den. Ist ja sonst niemand da.“

Paul nickte zufrieden wie ein Lehrer, der seinem Schüler zu einer wichtigen Erkenntnis verholfen hat, so daß Kalle kaum noch wagte, die Folgefrage zu stellen, die zwangsläufig lauten mußte:

„Und was ist mit dem?“

Es dauerte eine Weile, begleitet von zwei Bieren, bis Paul seinem Freund Kalle klargemacht hatte, daß der Typ am Fenster im Prinzip immer aus dem Fenster hinausgucke. Kalle wandte ein, daß sie gar nicht wissen könnten, ob er wirklich immer gucke, da sie ja nicht immer da seien, aber Paul meinte, der Typ gucke doch jedes Mal aus dem Fenster, wenn sie sich der Grünanlage näherten, und gucke immer noch, wenn sie sie wieder verließen. Man könne also mutmaßen, daß der Typ praktisch immer aus dem Fenster gucke.

„Ich frag mich bloß“, schloß er seine Betrachtung, „wieso machen Menschen sowas?“

„Ist doch nicht so schlimm, was der macht“, beschwichtigte Kalle. „Dem ist halt einfach langweilig.“

„Langweilig“, schnaubte Paul, „dann soll er gefälligst fernsehgucken, anstatt uns auszuspionieren!“

Kalle meinte, daß es bei ihnen nicht allzu viel auszuspionieren gäbe, und packte seine psychologischen Kenntnisse aus, die sich zum größten Teil auf gelebte Erfahrungen stützten.

„Manche Leute wollen einfach nicht mitmachen, sondern gucken lieber bloß zu. Das kenn ich schon aus der Kindheit. Meine Mutter hat mir immer erzählt, daß die Kinderärztin ihr empfohlen hat, sie soll mich zu einer Gymnastikgruppe anmelden. Aber da hab ich den anderen Kindern immer bloß zugeguckt, wie sie rumhüpfen, und bin in meiner Ecke geblieben. Und so ging‘s weiter. Ich sollte nie machen, was die anderen machen. Aber andererseits ist mir auch nix besseres eingefallen. Also hab ich halt einfach nix gemacht. Vielleicht ging‘s dem am Fenster sein Leben lang genauso. Außerdem – kann ja sein, daß er im Rollstuhl sitzt, und wir sind seine einzige Abwechslung.“

Paul widersprach vehement.

„Völliger Quatsch. Ich sag‘s dir, solche Typen, die immer am Fenster rumlungern, haben einen hochgradigen Kontrollzwang. Die wollen immer alles im Blick haben. Und selber machen sie nix, weil sie nämlich glauben, daß alle anderen genauso ticken wie sie. Aber sie wollen sich um keinen Preis selber kontrollieren lassen. Deshalb machen sie lieber gar nichts. Verstehst du, was ich meine? Schau dir doch mal an, was der für nen Kontrollblick drauf hat! Der wartet doch bloß darauf, daß irgendeiner irgendwas anstellt, was ihm nicht paßt.“

„Ist aber gar keiner da außer uns.“

„Also wird er so lang aus dem Fenster gucken, bis wir irgendwas anstellen.“

„Da kann er aber gucken, bis er schwarz wird“, meinte Kalle.
Dann kam er ins Grübeln.
„Obwohl … andererseits … je länger ich den so seh, um so mehr krieg ich Lust, wirklich irgendeinen Scheiß zu machen. Zum Beispiel … ich weiß auch nicht … ich glaub, den Abfalleimer da abfackeln. Das wär‘s jetzt.“

„Gib dir nicht so viel Mühe. Solchen Leuten reicht es schon, wenn du ne Pfandflasche in den Altglascontainer wirfst.“

Kalle mußte lachen. Dann setzte er noch eins drauf.
„Womöglich noch ne Braunglaspfandflasche in den Grünglascontainer!“

Paul sah auf die Uhr.
„Und das dann auch noch nach 19 Uhr! Hopp, trink aus und schmeiß die Flasche rein!“

Kalle setzte die Bierflasche an. Setzte sie wieder ab und prustete los.
„Braunglaspfand nach 19 Uhr ins Grünglas!“ wieherte er. „Ob er dann die Polizei ruft?“

„Garantiert. – Noch besser wäre, du würdest noch was drinlassen in der Flasche. Nicht komplett geleert in den Container! Da kommst du gleich in U-Haft!“

Kalle wollte sich ausschütten vor Lachen. Paul versuchte, ihm die halbvolle Flasche zu entwinden. „Gib her! Die schmeiß ich jetzt ins Altglas!“

Kalle hielt sie eisern fest.
„Reicht schon, wenn das Pfand weg ist“, meinte er. „Aber das Bier wird gerettet!“

Er setzte die Flasche an. Während er trank, überfiel ihn ein weiterer Lachanfall. Das Bier geriet in falsche Kanäle. Kalle röchelte. Kalle japste. Lief blau an. Kippte zur Seite.

„Heee!“ schrie Paul nach oben. „Rufen Sie die Sanitäter! Schnell!“

Der Mann im zweiten Stock zog sich zurück und schloß das Fenster.

„Na?“ bemerkte seine Frau beiläufig, „da draußen wird doch nicht mal was passiert sein?“

„Klar doch“, sagte der Mann und öffnete sich eine Flasche Bier. „Man muß nur lang genug gucken. Dann passiert auch was.“

Gerwin Weinknoth: Spießdeutsche Pretiosen VI – Das Bier

Du köstliches Gepansch, oh, Gerstendunst,
Hältst fern von uns Verderben, Not und Pein.
Stehst gülden-braun im Glas, wie hingebrunst.
Du höchstes Gut der Welt und Sonnenschein.
Du prickelst, sprudelst, knallst wie ein Vulkan
Schmeckst herrlich auch Schnaps und Zigarett
Und brandest unsre kargen Kehlen an.
Du machst uns hunderttausend Sorgen wett.
Ergebenster Gefährt in bittrer Not
Und ewig unser allerbester Freund,
Wenn Finsternis ihn zu ersticken droht,
Hat jedermann noch stets von dir geträumt.
Wie Bernstein schmückst du unsres Tresens Kron.
Du funkelst wie der allerbraunste Stern.
Machst uns zu Helden, hebst uns auf den Thron.
Zefix, du Bierschatz, wir haben dich gern.
Was wärn wir ohne den umarmend Trost,
Den täglich du uns offenherzig leihst?
Weil du uns unsre Blödigkeit verzeihst,
Drum, Bier, auf dich, auf Ewigkeiten: Prost!