Arabella Block – Der Garten


Ich bin mein Garten.
Gewachsen bin ich wild.
Hab einen Zaun um mich gezogen.
Allerlei in mir kultiviert.
Schön sollte alles aussehen.
Fruchtbringend sein.
Und gerupft, gerupft hab ich.
Kraut gerupft, ausgerupft und mit Lust
die Erde von den schmutzigen Fingern geschüttelt.
O Lust des Rodens.
Geschwitzt hab ich.
Und die Nacktschnecken gefürchtet.
Alles für die Ernte.
Die hab ich verschenkt.
Was soll’s,
hab ich dann zu den Kletten gesagt,
und sie wachsen lassen.
Hab das Kraut willkommen geheißen
und sein wildes Blühen.
Die Äpfel den Igeln auf die Stacheln gespießt,
zwischen die wimmelnden Flöhe.
Den Ameisen gewunken.
Die Brennesseln kultiviert
für das Gaukeln eines Falters.
Blüht auch ihr, ihr Brombeeren,
und die Heckenrosen,
zückt eure Stacheln,
wuchert und schützt den Zaun.
Er bewahrt die Ernte
für das Chaos in mir.

Arabella Block: Fernsehen

ganz nah
vor dem fern seher sitzen
der gar nichts sieht

nur meinen blick einfängt
der in vergeblicher langeweile
den horizont fokussiert

wo keine beute sich zeigt
doch hier springt es und zuckt
und ich starre dankbar 

gedankenverloren
krallen eingezogen
blutgeschmack unter der zunge

satt und lasse mich treiben
lasse für mich sehen
und lasse mich leben

Arabella Block: Märchenqueens

Dornröschen

Wann baute Dornröschen die Mauer?
Wo hatte sie die stacheligen Rosen her,
die sie pflanzte,
und stieß sie die Schaufel dafür in die Erde,
schwitzend und gebückt,
voller Vorfreude auf den Schlaf,
den ungestörten Schlaf,
den sie sich redlich verdient hat?
Hat sie den Wecker gestellt?
Und als sie die Augen öffnete, waren da
all ihre Pläne aufgegangen?
Sagte sie „Setz dich da hin und halt still“
zu dem Prinzen und klebte ihm
fröhliche Pflaster auf die zerschrammte Haut,
zufrieden mit dem, was sie ertastete?
Ein Königreich für den ersten Gedanken, 
der ihr durch den Kopf ging.

Schneeweißchen & Rosenrot

glückliche Kindheit,
lässige Mutter 
und als Haustier einen Bären,
größer als der von der Losbude.
der Zwerg kriegt sein Fett weg.
dazu gibt’s nen Schatz
und am Ende pro Nase
einen Märchenprinz gratis.
Blöde Schnepfen.

Rotkäppchen

30, Single, backe gern Kuchen 
und schätze
hier und da ein gutes Glas Wein.
Meine Lieblingsfarbe ist rot.
Such naturverbundenen Ihn
für ausgedehnte Wandertouren und mehr.
Wenn du schöne Augen hast und kräftige Hände
und ein Lächeln mit strahlenden Zähnen,
dann schreib mir.
Das Kennwort ist:
Jagdschein.

Schneewittchen

Das lustvoll Gegessene wieder ausspucken.
Sich modisch gürten, dass einem die Luft wegbleibt.
Im Glassarg zum Bild erstarren
als Männertrophäe – ja,
Schneewittchen ist ein hoffnungsloser Fall.
Wie typisch die Lösung:
Nicht der Faustschlag eines Riesen,
Nicht der Schlachtruf eines Einhorns,
Nicht der Schwerthieb eines Prinzen 
löst den Bann, nein, es ist: 
das Stolpern eines Zwergs.
Das muss wohl den meisten genügen.

Arabella Block: Heißgetränke

Hochglanzbilder einer Aussstellung,
von innen beleuchtet.
Heiße Brühen, auch in Braille.
Tastgeräusche klick.
Münzen drängen durch den Schlitz
ins unsichtbar Bodenvolle.
Einmal sachte drücken.
Rumor. 
Rieseln? Regnen? Rauschen?
Bechererscheinung. 
Der heilige Strahl.
Die Angst vor dem Überlaufen.
Letzter Tropfen.
Endgeräusch-Design.
„Bitte entnehmen“.
In die kalte Welt mit einem Schrei:
Was für ’ne Plörre.

Arabella Block: Ich Geist?

Ich bin der Geist, der stets verneint,
und das mit Recht,
denn alles, was besteht ist wert – die Weltgeschicht erweist’s –  dass es zugrunde geht.

Doch bin ich auch der Geist, der stets bejaht.
Ist auch nicht schlecht.
Wer fühlt sich schon von alledem, was ist, durchweg gedisst und angepisst? (Das wär doch Mist.)

Und ganz im Ernst bin ich der Geist, der sagt: „Vielleicht“
und kratz mich am – symbolischen – Gemächt*.
Mañana, schau’mer mal, der Ball ist rund, das Leben nur ein Traum. Und zudem bunt.

Als kluger Geist sag ich auch manchmal nix.
Oder nur: „La-di-da“. „Schubdubidu uh-uh-lala.“ „Noch weiter links, jaaaah, daaaa!“ 
„Ein Bier noch!“ „Noch ein Wein!“ Geht klar.

A propos klar: Ein Obstler passt noch rein.
Fragst du mich was, sag ich: „Ich lieb dich so“. 
Fragt mich wer anders, flüchte ich aufs Klo.

Wenn mich die Welt also befragt: Die Antwort bin ich nicht.
Es wohnt nur tief in meinem Fleisch 
ein Kuss für dich, ein Kichern, ein Gedicht.

* Über die Verortung dieses Organs streiten die Wissenschaftler. Die einen vermuten es im Gehirn, links unterhalb der Amygdala, im sogenanten Hänschenklein-Cortex. Die anderen in der Nähe der Zirbeldrüse.

Arabella Block: Langeweile

Sie rufen: Steh auf, komm endlich raus, 
wir sterben vor Langeweile.
Doch ich habe keine Eile.
Träge treib ich in der Dünung
des Lakenlichts und peile
durch Wimpernlamellen den Sonnenstand. 
Ein Sommermorgen im Bett,
eidottergelb und flüssig.

Es ist eine heile
Welt und was mir fehlt, erfinde ich dazu.
Nichts dort draußen, nicht der grüne Duft, 
des rasenmäherkurzgeschnittenen Grases, 
auf dem man Ball spielt, nicht die steile
sonnenwarme Abfahrt aus Asphalt,
und die aufgeschürften Knie
über den umgeschnallten Rollschuhen, 
nicht das Quietschen der Schaukelseile
und das Kreischen der Horde, die sich schon gefunden hat,
nicht mal das Gefühl, wenn die gefangenen Heupferdchen 
sich in der klebrigen Faust regen,
ist so schön wie das hier:

dass ich noch ein wenig länger verweile, 
während ein Teil von mir durch alle Bilder schwimmt
und die Bilder, bunte Fische, 
wie aus schwarzem Wachs gekratzt,
schwimmen durch mich hindurch.
Die entscheidende Meile
vor der Küste des Tages genieße ich 
mich ganz, noch war die geile
kleine Insel unentdeckt. Ich war es ganz, 
das Reich, das ich nicht teile
oder verlasse, für irgendeinen Ruf.
Schickt mir keine Feile,
in Kuchen nicht und in Pasteten, nein.
Ich bin mir selbst die schönste letzte Zeile.

Arabella Block: Sucht

Sucht oder lasst es bleiben.
Sucht mich,
aber nicht
auf dem Grund des Glases,
das erst halb leer ist.

Sucht
hinter bunten Vorhängen aus Bildern und Rauch.
Sucht das Paradies
oder nur ein Nest
mit Süßem in Goldfolie.
Klingt das nicht unwahrscheinlich?
Sucht, was es nicht gibt.
Sucht, weil es nie so ist.
Wer sucht
sich nicht?
Sucht!