ChatGPT feat. Ned F. McCowski: Reisen

Ich bin schon aufgeregt, von meiner letzten Reise zu erzählen. Also, ich war auf einer Insel, die so abgelegen war, dass ich mich gefragt habe, ob ich überhaupt noch auf der Karte war.

Aber bevor ich weiter erzähle, sollte ich erwähnen, dass ich ein großer Fan von Feuerzangenbowle bin. Ich denke, es ist das perfekte Getränk für kalte Nächte und es bringt einen in die richtige Stimmung für die Feiertage.

Also, während meines Aufenthalts auf der Insel habe ich beschlossen, den örtlichen Wintermarkt zu besuchen und schaute mich nach Feuerzangenbowle um. Ich fand einen Stand, der das Getränk anbot und bestellte mir sofort eine Tasse.

Ich muss zugeben, dass ich anfangs ein wenig skeptisch war, da ich nicht sicher war, ob die Inselbewohner die Kunst der Feuerzangenbowle wirklich beherrschen. Aber ich wurde nicht enttäuscht. Es war die beste Feuerzangenbowle, die ich je getrunken hatte!

Ich trank eine Tasse nach der anderen und vergaß dabei vollkommen die Zeit. Plötzlich erinnerte ich mich daran, dass ich noch ein Flugzeug erreichen musste, um meine Rückreise anzutreten. Also rannte ich zum Flughafen.

Ich hatte das Gefühl, dass ich den Flug fast verpasst hätte, aber ich schaffte es in letzter Minute. Als ich im Flugzeug saß, wurde mir jedoch plötzlich schlecht. Ich konnte nur an die Feuerzangenbowle denken und wie viele Tassen ich getrunken hatte.

Ich war so krank, dass ich mich fast übergeben hätte. Es war der schlimmste Flug meines Lebens! Ich war so erleichtert, als ich endlich wieder auf dem Boden landete.

Seitdem trinke ich Feuerzangenbowle nur noch in Maßen und habe sogar beschlossen, eine Liste von Dos and Don’ts für meine zukünftigen Reisen zu erstellen, um solche peinlichen Zwischenfälle zu vermeiden.

Vincent Eivind Metzger: outsider art

Es gibt Kunst, die bewegt Menschen. Sie polarisiert, sie regt zum Nachdenken an, sie bringt Menschen zusammen. Ich hasse diese Kunst. Ich hasse Nachdenken. Ich hasse Zusammenkünfte. Meistens. Oft liebe ich sie auch. Jede*r kennt es, aufwachen, schlechte Laune, heute wird kein guter Tag. Oder eben aufwachen, Motivation, gute Laune. Ich kenne beides. Mehrmals am Tag im Wechsel. Immer. Es sitzt in meinem Kopf und diktiert mir, wie ich zu leben habe. Es setzt mir unaufhörlich Gedanken in den Kopf. Es entscheidet, ob ich heute 10 oder doch nur 3 Stunden schlafen kann. Es ist dafür verantwortlich, dass mein erster Blick nach dem Aufstehen aus dem Fenster in die Tiefe geht. Ich weiß nicht was Es ist, ich weiß nicht wieso Es ist, ich weiß nicht wo Es herkommt; das einzige, was ich weiß, ist, dass Es hier ist. Und dort ist. Und in mir ist. Kunst kann versuchen, unbegreifliche Dinge greifbar zu machen. Die Frage ist, welche Dinge sind unbegreiflich? Wer muss Tag ein Tag aus mit unbegreiflichen Dingen leben? Du kannst lernen zu zeichnen, Musik zu komponieren, Gedichtrythmen zu perfektionieren. Aber du kannst nicht lernen, wie es ist, mit dem Es leben zu müssen. Freu dich darüber. Für Menschen, die das Es nur allzu gut kennen, ist Kunst keine Muse, für sie ist Kunst ist ein stummer Hilferuf. Verstehst du die Intention? Was ist deine Intention?

Ich hasse es hier zu sein. Aber meine größte Angst ist nicht hier zu sein.

Theobald Fuchs: Sabinchenstadt

Wir hatten uns überlegt, dass man ja von Berlin aus auch mal mit dem Fahrrad nach Nürnberg fahren könnte. Und dann kam es wie es kommen musste: wir machten es wirklich.

Es gäbe viel zu berichten, über die drei Flüsse Havel, Elbe und Saale, und über die drei Bundesländer Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die wir durchquerten. Und über ein paar – ich mache jetzt mit den Händen Anführungszeichen in der Luft –  interessante Begegnungen. Aber nichts davon, kein Wort über Ostdeutschland und die Ossis – es soll hier lediglich über Treuenbrietzen gehen.

Ich sagte, als wir bei der Abfahrt im Grunewald einen Blick auf die Route warfen, noch: Haha, das ist doch diese Kleinstadt, die in dem Lied vorkommt, wo der kranke Typ die Frau umbringt, weil sie aus Liebe zu ihm ihren Arbeitgeber bestohlen hat. Und sechs Stunden später? Steht astrein und noch vor dem ersten offiziellen Ortsschild das erste Plakat mit der Aufschrift: »Treuenbrietzen – Sabinchenstadt«.

Ich vermute, dass nicht alle Hörer*innen von Radio Z diesen Song parat haben, der aus unergründlichen Tiefen der Zeit herstammt und bis zum heutigen Tage praktisch ein Dauerschlager ist. Zumindest in einschlägigen Kreisen. Erstmals abgedruckt laut wikipedia 1849 in der Liedersammlung »Musenklänge aus Deutschlands Leierkasten«.

Musenklänge.

Deutschlands Leierkasten.

Schöne Begriffe, aber ganz klar heute nicht mehr wirklich regelmäßig in Gebrauch. Ein Problem für die Sprachhygieniker der diversen Gesellschaften zum Schutz der Deutschen Sprache, die sich ja gerne auch über die bösen Anglizismen und besonders heftig über gendergerechte Ausdrücke aufregen wie die kleinen Autos. Die können mich allerdings eh gern haben.

Auch in der Mundorgel, einer Liedersammlung von 1984, die der eine oder die andere noch aus dem Zeltlager kennen könnte, ist das Sabinchenlied enthalten.

Wir hören eine Version gesungen von Claire Waldoff. Frühe 1920er Jahre, aber recht progressiv wie ich finde. Claire Waldoff übrigens eine Art Superstar damals, Helene Fischer Hilfsausdruck. Obacht: Krasse Stimme! 

Nun, da sind natürlich schon ein oder zwei Stellen im Text, die wir heute befremdlich finden sollten.

Zunächst ist das ganze ja ein Schmählied auf eine bestimmte Berufsgruppe, den Schuster. Schuster waren unverzichtbare Dienstleister, ohne die es keine Stiefel und Schuhe gab. Spätestens im Winter absolut unverzichtbare Gebrauchsgegenstände. Ein Mensch ohne Schuhe ist in unseren Breiten nicht wirklich überlebensfähig. Warum also dieser Hass auf Schuster, der in diesem völlig unverfrorenem Mobbing gipfelt? Ich vermute hier einen zeitgenössischen Witz, den wir heute einfach nicht mehr begreifen können. Irgendwie so etwas wie: Treffen sich zwei Schuster, sagt der eine… oder: Geht ne Frau zum Schuster… Irgend so etwas.

Dass Sabinchen in frühkapitalistischen Verhältnissen lebt, eine Ausgebeutete ist, die für das obere Ein-Prozent der Bevölkerung arbeiten muss, die sich Silberlöffel leisten können – geschenkt.

In den kinderreichen Familien der damaligen Zeit wurden Töchter, die als überflüssig und nutzlos angesehen wurden, einfach so entsorgt. Ab in ein Ausbeutungsverhältnis, Menschenrechte waren vor allem Männersache. Zum Glück hat sich das ja geändert und alle Menschen sind heute gleichberechtigt, frei und … naja.

Sehr modern hingegen mutet die toxische Beziehung zu dem chauvinistisch-patriarchalischen Schuster an (»wollte Sabinchen besitzen«), in die sie sich verstrickt. Der Schuster beutet Sabinchens starke emotionale Bindung zu ihm gnadenlos aus, er ist ein Trinker, ein Gewalttäter. Wir können nur spekulieren, wie es soweit kam, dass er ein so unausstehlicher Mensch wurde. Das Lied schweigt sich aus, Ursachenforschung in Treuenbrietzen nicht gefragt. Wobei man spätestens jetzt bemerken sollte, dass nur der  Schuster aus Treuenbrietzen stammt, Sabinchen und die Dienstherrschaft allerdings überall sonst angesiedelt sein könnten. Meine persönliche Vermutung ist Berlin, dort gab es Silberlöffel und dunkle Keller in ausreichender Menge. Mit anderen Worten: Treuenbrietzen schmückt sich mit einem Liedtext, der die Stadt als Herkunftsort eines Meuchelmörders ausweist. Das wäre ungefähr so ähnlich wie „Hitlerstadt Braunau“ oder „Julius Streicher-Stadt Nürnberg“. Womit wir bei der rätselhaften Zeitangabe „Aha-achzehn Wochen“ wären. Was um Himmels Willen steckt da dahinter? Genauso gut könnten es doch sechzehn oder neunzehn oder zweiundsechzig Wochen sein, ohne dass man gleich das Versmaß ändern müsste. Wir wissen nicht, wie der Diebstahl rauskam, aber vermutlich dann, als die silbernen Löffel gebraucht wurden. Heißt, sie wurden volle viereinhalb Monate nicht gebraucht! Und der Schuster brauchte in der ganzen Zeit kein Geld mehr. Sonst hätte Sabinchen ja noch mehr Löffel klauen müssen, damit der Schuster noch mehr Geld versaufen hätte können, wovon aber nirgendwo die Rede ist. Ich selbst hätte ja vermutet, dass der Schuster die paar Löffel innerhalb von genauso viel Tagen in Schnaps und Bier umsetzte, so dass recht bald die nächste Eskalationsstufe erreicht worden wäre.

Woher also diese rätselhafte Achtzehn. Nun, wir Menschen des 21. Jahrhunderts sind uns freilich dessen gewahr, dass die Achtzehn ein Code sein kann für den ersten und den achten Buchstaben im Alphabet, für das A und das H, das wiederum für den abscheulichsten Massenmörder aller Zeiten steht.

Und hier liegt wohl der Schlüssel zur Lösung des Rätsels begraben: Der Texter oder die Texterin dieses Songs kannte Adolf Hitler und den Neonazi-Code. Wir haben es hier nämlich mit einem Zeitreisenden zu tun, jemand, der ins Treuenbrietzen des späten zwanzigsten Jahrhunderts gereist war und wieder zurück, um dieses Lied zu schreiben, das dann die Heimatstadt eines Frauenmörders abfeiert. Jemand, der das Treuenbrietzen der Zukunft nicht mochte und auf raffinierte Weise schon über Hundert Jahre früher sein bashing preparte.

Ganz unspektakulär allerdings kommt die geradezu modern anmutende Nicht-Verurteilung zum Tode daher. Selbst angesichts dieser heimtückischen Mordtat verzichtet das Gericht auf die atavistische Strafe und begnügt sich mit Verrottenlassen des Delinquenten in einem dunklen Keller. Quasi Aufklärung pur, Verkündung der Menschenrechte Hilfsausdruck. Oder – leider doch wieder nur ein Fall von Misogynie? Dass man für den Mord an einer Frau nicht so schlimm verurteilt wurde?

Ich denke, wir sollten alle nochmal über dieses Lied nachdenken.

Meine vorläufige Gesamtbewertung allerdings: ein großer Hit, geniales Songwriting, die Melodie hooked sofort im Ohr und geht nicht mehr raus wie das abgebrochene Ende eines Ohrenstäbchens. Was ein Dreckslied. Passt alles.

… daramm dada daramta, daramm, daramm, daramm…

Sabrina Marzell: Legenden

Ihre Nase blutet schon wieder. Vergiss nicht zu spucken und schau dir die Wolken an. Ich wühle so lange im roten Sand nach deinem Zahn.  Der Boden zieht mich an 


Die Fliegengittertüre schnalzt. Jemand zerhackt Kreide. Als ich in die Chipstüte greife, klatscht Steffi´s Hand in mein Gesicht. Sie wird mit dem Schimmelreiter untergehen 


Im Schatten der Reben. Der größte Idiot im ganzen Viertel zündet gerade die Parkbank an. Seitdem teilen wir uns zweieinhalb Quadratmeter Balkon 


Mein erster Bezug zur Form ergab sich aus dem formen von Matschfiguren. Meine Brust pochte und ich schüttelte den Kopf, als ich die übrig gebliebenen Körperteile (kleine Zweige) in der Pfütze liegen sah 

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Ungläubig verließ ich den Ort

Matt S. Fußbein Bakausky: Angst und Schrecken in Nürnberg

Scheiß langhaarige Hippies, sagte der Glatzkopf zu den Menschen mit kurz geschnittenen Haaren. Ich hatte mal ein Harem. Dieser brachte mich weiter, doch irgendwann habe ich ihn verloren, als der eigene Geburtstag anstand. Dann wollte jede Person im Harem mit mir Feiern und leider war das nicht möglich. Und der Harem löste sich auf. Das war sehr schade. Eine schlimme Zeit für mein Ego. Aber hier geht es nicht um den Harem. Hier geht es wie immer um mich. Der größenwahnsinnige Lügner und Hochstapler: Peter Fußbein. Ich bin Peter Fußbein. Und ich lüge dir die Welt, widde, widde, wie sie mir gefällt.

Jesus oder sein Bestseller sagte: Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen. Halt stopp, das war ja mein enge Freund Moses, der Dritte. Äh, Erste. Ich war heute in Nürnberg unterwegs und habe dabei Rotz und Wasser vom Himmel fließen sehen. Aber und jetzt kommt das entscheidende: Es geht heute ausschließlich um Medizin.

Meine Medizin ist im Moment das Getränk des Tages. Ich habe es bei meinen Brüdern gekauft. Sie haben gesagt: Bis morgen und ja, ich habe Lust sie morgen zu besuchen und einen Dönerteller zu kaufen. Bevor ich zu meinen Brüdern ging, war da ein oder zwei Menschen aus Kroatien. Deren Medizin war es, Gras zu rauchen. Sie fragten mich mindestens 10000 Mal, ob ich ihnen etwas verkaufen könnte. Und erzählten, dass sie mir dafür eine Million Euro geben würden.

Ich hatte leider weder die Muse noch die Ware im Angebot. Auch das Scheinbündel machte mir keine Lust darauf, ihnen weiterzuhelfen. Ich konnte ihnen einfach nicht helfen, nahm sie jedoch in mein Gebet auf, dass sie finden würden, was sie brauchen. In München, so sagten sie, würde ihnen jeder Ganja verkaufen. Aber in Nürnberg haben sie 20 Leute gefragt und keiner hatte etwas im Angebot. Dann waren sie noch an Wohnungspreisen interessiert. Ich erzählte ihnen, wie viel ich für meine Wohnung zahle. Und in München, da wo der Kerl lebte, wäre es teurer. Das kann ich mir vorstellen. Jedoch zahlt sein Arbeitgeber die Wohnung. Das klingt doch nach einer guten Medizin, wenn man nicht selbst zahlen muss für das Nötige. Anderseits macht das einen ja abhängig. Hahaha.

Medizin ist das Thema und dazu kann ich nichts sagen, da ich ja kein Arzt bin. Aber ich kenne Ärzte, die für mich arbeiten. Ich bin groß im Geschäft und das nicht nur auf der Toilette. Es gibt Menschen, die für mich ein Medizinstudium abschließen, auch wenn es viel Zeit kostet und mir ihre Dienste zur Verfügung stellen. Jajaja, ich bin der Peter Handbein oder so ähnlich. Fragen sie mich nicht, wie ich heiße, ich weiß es nicht. Peter Handbeins oder Beinhands oder Bein Hans Peter äh Medizin ist der Größenwahn. Immer schön groß bleiben. Denn in eine kleine Wohnung passt nicht jeder. Das müssen sie wissen.

Manch eines Medizin ist es eine größere Wohnung zu haben. Und vielleicht wäre das auch meine. Doch ich möchte sie aus guter Quelle bekommen. Ich habe die große Wohnung nicht nur erwähnt, sondern auch erfunden. Medizin ist die Beste Medizin. Lassen sie mich Arzt, ich bin Lauch. Lauch aber mit dicken Bauch, anders geht es nicht. Mein Arzt ähem Therapeut will das ich abnehme. Das geht doch gar nicht in die Einkaufstüte.

Die richtige Medizin zum Abnehmen wäre vielleicht das Adipositas-Programm einer Online-Apotheke: Einfach weniger Essen und mehr bewegen und das macht dann 5000 Euro im Monat bitte.

Und was hat das mit Nürnberg zu tun? Ich bin dort geboren, ich bin Hans Peter Handbein. Der große Gabelstapler. Ich staple hoch, denn anders geht es nicht. Und dann kommt die kleine Oma nicht an das Katzenfutter. Katzen sind die beste Medizin. Ich liebe Katzen. Katzen. Katzen. Katzen. Katzen. So schön und so lieb. Keine Angst, kein Schrecken, nur Katzen. Dafür wurde das Internet gemacht.

Felix Benjamin: Ausländer

In der zweiten Klasse laufe ich neben meinem Freund Tino die Straße entlang. Wir haben uns gerade das Sams im Theater angeschaut. Auf der anderen Straßenseite sehen wir zwei Jungs in unserem Alter, die sich in einer uns fremden Sprache anschreien und anfangen, aufeinander einzuschlagen. 

„Ich dachte, Ausländer halten immer zusammen,“ sagt Tino. Ich antworte: „Warum? George Bush und Saddam Hussein kämpfen doch auch gegeneinander.“

Fabian Lenthe: Langeweile

Da ich nun schon seit sechzehn Stunden im Bett lag und außer, dass ich das Radio an und wieder aus, sowie lauter und leiser gestellt, nichts getan hatte, bis auf mir zwischenzeitlich ein großes Stück Salami abzuschneiden, auf dem ich gelangweilt herumkaute, beschloss ich den Rest des Tages ebenfalls nichts zu tun. Wenn ich es geschafft hätte im Schlaf zu sterben, wäre daran nichts verwerfliches gewesen.
Im Gegenteil, man hätte mir das Stück Salami aus dem Rachen entfernt und mich wie jeden anderen leblosen Gegenstand aus der Wohnung getragen. Vermutlich hätten die Angestellten der Möbelspedition bei Kaffee und Zigarette genervt auf die Uhr gesehen, weil sich der Fahrer des städtischen Bestattungsunternehmens ausgerechnet an diesem Tag für einen Umweg entschied. Dann wäre alles ganz schnell gegangen.

Sobald sich der Reißverschluss des Leichensackes über meinem Gesicht zugezogen hätte, wären die kläglichen Überreste meiner Existenz in einem großen, leeren LKW verschwunden, in dem noch mindestens zehn ähnliche Leben Platz gefunden hätten. Doch dann klingelte es an der Tür. Ich stand nicht sofort auf, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass ich zuhause sei, sondern setzte ein Fuß nach dem anderen auf den Boden, schlich mich zur Tür, und spähte durch den Türspion. Zu meiner Erleichterung war niemand zu sehen. Etwas Wichtiges konnte es ohnehin nicht gewesen sein. Für wichtige Dinge sind andere Leute zuständig. Leute, denen es nichts ausmacht sich mit wichtigen Dingen zu beschäftigen. Auf dem Weg zurück ins Bett schnitt ich mir noch ein extra großes Stück Salami ab, damit ich bis zum nächsten Morgen keinen Grund mehr hatte, um aufzustehen. Dann schlief ich ein.

Martin Knepper: Der Traum, ein Witz

Traum vom 18. Oktober 2003: Ich bin deutlich jünger, etwa Oberstufe oder Erstsemester, und besuche mit einer Delegation von Gleichaltrigen (Schülerzeitung o.ä.) Otto Schily. Sein Amtssitz sieht von innen aus wie das Anwesen Christoph Martin Wielands in Oßmannstedt, am Fenster steht ein Rokokosekretär. Endlich kommt Schily. Er sieht aus wie immer, schmallippig, etwas verkniffen, hat aber seinen anthroposophischen Haarschnitt silbern gefärbt und aufgeföhnt, er erinnert mich an Gotthilf Fischer. Das einzige, was mich und die anderen aber wirklich überrascht: Schily ist winzig, nicht bloß etwas mickrig wie Gerhard Schröder, sondern nicht größer als ein Kind oder Wee Man aus der Serie Jackass. Er begrüßt uns freundlich, aber distanziert, und bemerkt wohl mein unverhohlenes Erstaunen über seine Größe. Er sagt: »Sie wundern sich sicher, dass ich so klein bin?« Verlegen bestätige ich das, und er sagt darauf: »Sehen Sie: Ich mich auch!«

Der Traum, ein Schaum? Gewiss. Dieser Schaum aber ist das Resultat eines fortgesetzten Rührens im Teeglas unseres Schlafgehirns in dafür vorbestimmten Phasen. Ein Rühren, das die Eindrücke und Erinnerungen, die Routinen und Überraschungsmomente unserer Tagesexistenz in buntem Wirbel durcheinandermischt. Oft kommt der Traum in der Gestalt, die das Wesen des Schlafenden bestimmt: Ein ängstlicher Mensch läuft sicher eher Gefahr, von Alpträumen geplagt zu werden; visuelle Menschen träumen bilderreich, wo den Wortmenschen oft Sprachspiele oder verbildlichte Gedanken unterkommen. Der Traum des Kindes ist anders beschaffen als der des alten Menschen, für alle jedoch gilt: Wir können nichts Undenkbares denken und somit auch nicht erträumen, denn einmal gedacht, ist es ja zumindest als Möglichkeitsform in der Welt. Und der Traum zieht wie ein ADHS-kranker Archivar sprunghaft Zettel um Zettel aus den Karteikästen unserer Verstandes – mag zu Beginn ein aktueller Vorgang seine Aufmerksamkeit fesseln, so gerät er schon bald in die Tiefen seiner Sammlung, häuft und mischt Querverweis auf Querverweis, erschafft in seiner Routine eine geheime innere Ordnung, doch die Anmerkungen und Fußnoten sind mit Zaubertinte geschrieben. Wollen wir hinterher sein Werk betrachten, stehen wir oft ratlos vor dem Resultat.

Am 9. März 2020 nachmittags geträumt, eine „Cousine zweiten Grades oder so“ von Astrid Lindgren hätte mich zu einer „Bitumen-Party“ eingeladen. So sind sie, die Träume: Wahllos Zusammenhänge schaffen, und wenn man wieder den Kopf dafür hat, zu fragen, was das solle, haben sie sich davongemacht. Sehr poetische Arbeitsweise.

Der Traum hat keinen Autor, nur uns selbst als staunend ausgelieferte Zuschauer. Er ist Film ohne Regisseur, absichtsloser Gesang, ein Bild, das sich selbst malt nach Art des Gesellschaftsspiels vom ‚Cadavre exquis‘, bei dem die Teilnehmer an einem verborgenen Bild weitermalen, von dem sie nur die Ansatzstelle kennen. Das Schlafhirn spielt dies mit sich selbst und greift zu staunenswerten Tricks, um die Übergänge sanft und beinahe zwingend erscheinen zu lassen. Verdichtung und Verschiebung, Verbindung und Parallelführung von Unzusammenhängendem sind gleichermaßen Merkmal des Witzes wie des Traums. Sigmund Freud hat auf diesen Umstand aufmerksam gemacht – seine Schrift ‚Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten‘ liest sich über weite Strecken als Verteidigung seiner damals noch neuen Theorie der Traumdeutung. Unter anderem macht er auch auf das Phänomen aufmerksam, dass ein falsch erzählter Witz, oder ein unglücklich paraphrasierter, für seine Zuhörer wie ein missratenes Soufflé in sich zusammenfällt. Und so gibt es auch viele Menschen, die den erzählten Träumen Fremder nichts abgewinnen können, so wenig, wie andere ein Theaterstück von Ionesco oder Beckett zu schätzen wissen. Das ist einerseits eine Frage des poetischen Appetits des Zuhörers, aber auch des vermittelnden Geschicks des Träumers. Der aber steht vor einer heiklen Aufgabe: Er muss den Traum fixieren, solange er noch frisch, gewissermaßen backwarm aus dem Ofen seines Bettes kommt, und doch ist er oft noch selber überwältigt oder verstört von dem, was sich gerade noch in ihm ereignet hat. Versucht er aber, diesen Traum verspätet zu literarisieren, schleicht sich schnell ein falscher Ton ein, wird das Dokument ureigenster entfesselter Hirnarbeit zu einer behäbigen Groteske, eine Tatsache, die der Zuhörer wahrnimmt, oft mehr fühlt als begreift. Deshalb bleibt der Traum in seiner Rohfassung zumeist ein Glasperlenspiel der Wenigen, die seine poetische wie auch humoristische Kraft zu schätzen wissen. Und es steht zu vermuten, dass diesen Traumarbeitern über der Beschäftigung mit dem Stoff sich auch dieser verfeinert, mit der Zeit Gänge und Kanäle sich im nächtlichen Dunkel des Schlafs formatieren und die Träumer immer öfter des Morgens mit einem wunderlichen Fang aus dem Schleppnetz ihres Schlummers dastehen. Hören wir ihnen zu. Hören wir unseren Träumen zu. Die Zukunft können wir aus ihnen nicht erfahren, aber viel über das Wesen der Heiterkeit und der Poesie.

Traum vom 29. Dezember 2010: Ich habe die seit Jahrzehnten stillgelegten unterirdischen Toilettenanlagen am Rheinpark auf eigene Kosten restauriert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die erstaunten Gesichter des Publikums, als es die enthüllten Schilder am zweigeteilten Treppenabgang liest – Rechts: ‚Herren‘, links: ‚Männer‘.