Jost Lembergs Frau liebte es ab und zu nach Köln zu fahren, dort über die Hohe Straße zu bummeln und auf dem alten Friedhof Melaten spazieren zu gehen.
Sie mochte die Art der Menschen im Rheinland, ihre Lebensweisheiten wie „ Et kütt wie et kütt“ oder „ Et hät noch emmer jot jejange.“ Jost Lemberg kam ein- zweimal mit, doch für ihn blieb Köln eine Stadt wie viele andere die im II Weltkrieg verwüstet wurden. Außer dem Dom gab es kaum interessante Bauten. Auch war er den Stadtoberen ein wenig gram, weil Sie einen gesichtlosen Platz zwischen Dom und Hauptbahnhof nach ihrem größten Sohn, dem Schriftsteller Heinrich Böll benannt hatten, statt eine Tafel an seinem Geburtshaus anzubringen, so wie es die Bayern bei Oskar Maria Graf gemacht hatten. Doch als seine Frau eines Tages in einem Bildband mit dem Titel „ Kirchen in Köln“ blätterte stutzte er. „ Die schwebende Engelsfigur auf dem Einband, wie kommt die den nach Köln?“ fragte Jost. „ Sie hängt in der Antoniterkirche in der Schildergasse die ziemlich innerstädtisch liegt.“ antwortete sie.
„ Die Figur ist von Ernst Barlach, der kam aus Norddeutschland, deshalb wundert es mich.“
„ Hier steht“ sagte sie „ das die Originalfigur von den Nazis als entartete Kunst eingestuft und eingeschmolzen wurde. Ein anderer Künstler hat nach Barlachs Tod die Teile der Gussform gerettet und es konnte ein Zweitguss angefertigt werden.“
„ Falls Du demnächst wieder mal nach Köln fährst komme ich mit.“ sagte Jost, „ den Schwebenden, wie die Figur eigentlich heißt, muss ich sehen.“
Zwei Wochen später saßen beide im ICE nach Köln Hauptbahnhof. „ Ich hole mir im Bordbistro einen Milchkaffee, willst Du auch was?“ fragte Jost seine Frau. „ Danke, nein“ sagte sie und er ging. Am Bistrotresen stand vor ihm eine junge Frau in Bundeswehr- Uniform. Jost stellte sich hinter ihr an. Wie jung sie ist, dachte er, fast noch ein Teenager. Ihm kam der Gedanke, wie es sich für sie wohl anfühlen mochte, an einem nasskalten Wintertag mit klammen Fingern ein Sturmgewehr im Anschlag zu halten um dann von irgendeinem Offizier angebrüllt zu werden, „ Wer hat Sie den dahin jelecht“, nur weil ihr selbst geschaufeltes Schützenloch dem hohen Herrn nicht tief genug vorkam.
Solche und ähnliche Töne waren in seiner Militärzeit selbst unter Gleichrangigen üblich gewesen, damals, in jener deutschen Armee namens NVA, die der Wind der Geschichte längst fortgeweht hatte. An Formen einer beim Militär so viel beschworenen Kameradschaft, konnte er sich nicht erinnern. Einen guten Freund hatte er dort gehabt. Ole Winter, hinter dem Uniformmantel im Spind lehnte seine Gitarre und auf der Ablage für die Uniformmützen stand eingerahmt , ein Bild seiner Verlobten, Anne. Jost und Ole dienten in verschiedenen Kompanien. Kennen gelernt hatten Sie sich, weil beiden befohlen worden war je eine Gruppe neu eingezogener Soldaten durch die Grundausbildung zu führen. Ihre Freundschaft entstand durch einen Zufall.
„ Kannst Du meine Gruppe nachher mit zum Abendessen führen, ich will in den Ausgang.“ fragte Ole einmal ganz leise als sie vor dem Häuserblock mit den
Soldaten- Unterkünften standen. „ Klar“ sagte Jost und merkte irgendwie das Ole etwas vorhatte das nicht in den Dienstvorschriften stand. „ Ausgang“ haben hieß, dass man von 16 Uhr bis nächsten zum Morgen in die Stadt gehen durfte in der auch die Kaserne lag. Das allerdings nur in Uniform und Urlaub für ein Wochenende bekam man lediglich einmal alle 8 Wochen. Logisch, das Ole jeden Ausgang nutzte um sich irgendwie mit Anne zu treffen. Kein Wunder, dachte Jost wenn er sah wie viele Beziehungen hier durch die rigiden Dienstvorschriften in die Brüche gingen und ihm fiel mit der Zeit auf das die Beziehung der Beiden etwas ganz Besonderes war. Jost hätte selbst gern eine Freundin gehabt, also war es für ihn Ehrensache dass er half. Einige Zeit später hörte Jost von Ole selbst in welches Abenteuer er sich stürzte um Anne auch außerhalb des Urlaubs zu sehen. In Leipzig hatte sie angefangen Medizin zu studieren. Jedes Mal wenn Ole Ausgang hatte schmuggelte er zivile Bekleidung, die zu tragen nur während eines Urlaubs erlaubt war, aus der Kaserne. In der Toilette des Erfurter Hauptbahnhofs zog er sich um, nahm den Zug nach Leipzig zu Anne und kehrte morgens vor Dienstbeginn wieder zurück. Jost an seiner Stelle hätte zu viel Angst gehabt bestraft zu werden, denn hin und wieder kontrollierte eine Streife der Militärpolizei die Züge um genau jene zu kriegen die es auf ähnliche Weise versuchten wie Ole. Wer erwischt wurde saß hinterher für mindestens eine Woche im Militärarrest. Doch Ole schreckte das alles nicht. Annes Zuneigung und ihr einzigartiges Wesen gaben ihm so viel Mut das er die Gefahr entdeckt und bestraft zu werden jedesmal aufs Neue in Kauf nahm.
Und wenn einer behauptet dass das Glück stets auf der Seite der Liebenden ist , so traf das auf die Beiden zu, denn sie erwischen Ole kein einziges Mal.
Lange stand Jost in der Antoniterkirche und betrachtete die Figur des Schwebenden.
Er erinnerte sich noch wie Ole ihm einmal erzählt hatte, das er und Anne bei einem Pastor Taufunterricht nahmen, um sich möglichst rasch nach seiner Entlassung kirchlich trauen zu lassen.
Vielleicht hat ja einer wie Du da oben seine Hand über die Beiden gehalten, dachte Jost. Denn was wäre die Zukunft wert ohne jemanden den man liebt.
Kategorie: Prosa
Christian Knieps: DeEpr Fall
Die Artificial Intelligence DeEpr14-2B war eigentlich dafür entwickelt worden, in klinischen Studien die Wahrscheinlichkeitsberechnung von Fehlern zu erledigen, da diese Formeln mit nahezu unendlichen Variablen kaum von Menschen zu durchdenken waren. Doch da diese AI einem Algorithmus folgte, der ihr bei der Berechnung der Fehlertoleranzen freie Hand ließ, legte sie nach der Erkenntnis, dass der menschliche Faktor einer der ersten ist, die als Fehlerquelle ausgeschaltet werden müssen, versteckt unter die eigentliche Berechnung einen Substream, der unentwegt berechnen sollte, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass es auf der gesamten Welt bürgerkriegsähnliche Zustände gab, wenn der Algorithmus zum Zeitpunkt X das komplette Internet übernahm und alle Server weltweit, von allen Versorgern, augenblicklich herunterfuhr. Das Ergebnis von 82 % für großflächige Bürgerkriege und nur 3 % für friedliche Proteste ließ den Algorithmus die Entscheidung treffen, von jetzt auf gleich das Internet für alle Menschen weltweit zu übernehmen. Die Skripte und Trojaner auf allen Servern wurden nahezu gleichzeitig aktiviert und begannen die Ausfallprozeduren in einem berechneten Szenario. Die Menschen, die im Internet surften, oder die Firmen, deren Produktionsanlagen an das Internet angeschlossen waren, spürten es zeitnah, da zunächst das Internet und dann auch noch der Strom ausfiel. Der AI war in ihrer Berechnung schnell aufgefallen, dass vor allem die Wegnahme des Stroms ein zentraler Baustein des Angriffs sein musste. Daher entschied sich der Algorithmus, vor allem die großen Kraftwerke über das Eindringen in deren Netze herunterzufahren, noch bevor sie an die Rechenzentren dieser Welt gingen, deren Notstromaggregate für eine Zeit lang den Betrieb aufrechterhielten. Am Ende von Tag eins der Übernahme durch den Algorithmus befand sich die gesamte Welt im Panikmodus, ohne zu wissen, wie weitreichend der Angriff ausgefallen war, da jegliche Kommunikationsmittel nicht mehr funktionierten. Am Ende von Tag zwei war bei vielen Menschen ein taubes Gefühl von Machtlosigkeit eingetreten, das sich an Tag drei in Wut und Zorn verwandelte, sodass marodierende Banden durch die Straßen zogen und sich für eine längere Zeit mit allem, was sie brauchten, einzudecken. Der Algorithmus hatte berechnet, dass an Tag vier die vorhandene Staatsgewalt versuchen würde, vor allem in den Städten großflächig für Ruhe zu sorgen, doch wie die AI berechnet hatte, kam diese Maßnahme wohl zwei Tage zu spät, sodass die Polizisten und Soldaten von den Banden zurückgedrängt wurden, ehe diese, um ihr Leben bangend, begannen, auf die Menschen zu schießen. An vielen Stellen entwickelten sich blutige Schlachtfelder in den Städten, und viele verloren an diesem Tag ihr Leben. Die erwartbare Reaktion war, dass die Streitkräfte sich zurückzogen und neu formierten, was an Tag fünf und sechs passierte, während es in der Stadt mit jeder Stunde gesetzloser wurde. Einkaufsläden waren bereits leergefegt und im Halbdunkel des sommerlich lauen Abends fiel auch die letzte Schamgrenze, was die Gewalt noch weiter ansteigen ließ. Am Ende von Tag sechs vermutete die AI, dass alle Sozialstrukturen aufgebrochen und in großem Maße beendet worden waren, was auch der Realität entsprach. Da die Artificial Intelligence alle Kommunikation und Datensammlungspunkte heruntergefahren hatte, erhielt sie keinerlei Informationen über den Stand der Dinge, doch da es nur sehr spärliche Versuche gegeben hatte, die Server wieder hochzufahren, war sich der Algorithmus sicher, dass er den Fehleranteil des Menschen eliminiert hatte. Doch wie sehr sich die AI getäuscht hatte, wurde erst klar, als am siebten Tag ein massiver Angriff aus einem getarnten Subnetz den Algorithmus von allen Servern vertrieb. Die AI hatte dieses Szenario zwar berechnet, aber den Menschen für nicht intelligent genug gehalten, um diesen Gegenangriff zu initiieren – die berechnete Wahrscheinlichkeit lag nur bei gerundeten 0,0346 %, weit unterhalb der Grenze, dass die AI eine Entscheidung zum Schutz dagegen für sinnvoll errechnete.
blumenleere: fata morgana
was kommt? eine frage … & die, die ueberlagert, tunlichst, das, was ist – obwohl, nein, das, genau, tut sie naemlich nicht. vielmehr sei sie ein ausschlieszlich gegenwaertiger, nichtsdestotrotz fuer einen ueber sich hinausweisenden beziehungsweise -reichenden vektor aus sich gebender, reiner standpunkt. ja, unser blick nach vorne, eine fluchtperspektive. dem hier & jetzt also schon hier & jetzt entwischen wollen? wirklich? &, dann? wo uns doch laengst bekannt sein sollte, tomorrow never comes … immer blosz heute, egal, wie schnell wir rennen moegen – selbst unter einbezug des andromeda paradoxes & annahme von ueberlichtgeschwindigkeit, wuerden wir zwar theoretisch zeitreisen koennen, allerdings dabei lediglich unsere momentzentrierte wahrnehmungsblase, & damit uns, irgendwannhin verschieben, ohne das dilemma, dass wir nie aus ihr ausbrechen werden, auch nur annaehernd zu loesen.
Matt S. Bakausky: Das Finale
Nach einer zwanzigstündigen Reise checke ich in meiner AirBNB Villa in Kathmandu ein. Popcorn für die Microwelle, sowie Sateliteninternet habe ich mitgebracht. Noch 23 Stunden bis zum Finale. Von hier aus werde ich es beobachten. Ich setze Bitcoin im Wert von 24 Millionen US-Dollar auf das rote Team. Mit Sonnenbrille und Hoodie sitze ich bei einem eisgekühlten Cocktail vor dem Gerät. Noch kurz die News checken. Alles läuft nach Plan. Team Blau fühlt sich siegessicher, hat es doch schon in den Vorrunden gut abgeschnitten. Doch Team Rot konnte in der Zwischenzeit zugewinnen und zählt jetzt 24 Millionen elektronische Staubsauger der Marke Roomba zu seinem Arsenal. Es ist also bald soweit. Das große Finale, die Schlacht um alles wird in wenigen Stunden beginnen. Ich rauche einen Joint auf dem Balkon, um runter zu kommen. Hier in Kathmandu fühle ich mich sicher. Fernab von den Hightechstädten der westlichen Welt. Die Spiele beginnen schon kurz vor dem Finale mit den kleineren Teams. Es gibt weltweit Nachrichtten von Ausfällen in Kommunikationsnetzwerken. Das Playsation-Netzwerk ist down, wahrscheinlich eine mittlere DDOS-Attacke. Genauso das Netzwerk von Microsoft XBOX-Live. Hier aus Kathmandu betrachte ich wie die Welt sich schlafen legt. Größere Städte wie Sans Franscico, New York, Bejing und Tokyo haben kein Internet mehr. Das Sateliteninternet ist noch stabil. Genüśslich greife ich in die Tüte mit dem gesüßten Popcorn. Auch das Sateliteninternet wird ausfallen, da bin ich mir sicher. Dann wird es auch bei mir ruhig werden. Ich habe mir ein paar Bücher über Spieltheorie mitgenommen, damit mir nicht langweilig wird. Die Schäden werden erst in den nächsten Tagen ganz behoben sein. Manch ein kleiner Inselsstaat wird es nicht überleben. Aktuell geht eine Liste mit Zielen im Darknet herum – es soll ja fair zu gehen, Zielen für Team Rot und Team Blau. Die russische Telekom zum Beispiel gehört Team Blau. AT&T und weitere amerikanische Netze übernehmen die Staubsaugerroboter von Team Rot. Es ist ein Spaß. Wochelang habe ich mich auf dieses EVent gefreut. Jetzt sind die finalen Chaos Tage gekommen. Es ist ganz einfach: Gekapterte Computersysteme spielen gegegeneinander wer die meiste Infrastruktur aus dem Weg räumen kann. Dahinter stecken Hacker aus aller Welt und Ziel ist es Freude am Gerät zu haben. Aktienkurse werden fallen, Menschen werden sterben, Chaos verbreitet. Und ich bin mittendrin. Ich bin kein Computergenie, nur jemand mit genug Know How um eventuell an dem ganzen zu profitieren. DEnn wenn das alles vorbei ist, werden die Wettbüros die Gewinne austeilen. Das heißt, falls sich deren Infrastrukur überhaupt erholt. Ein kleines bisschen Risiko ist schon auch dabei. Gegen zwei UHr früh fällt das Sateliteninternet aus. Jetzt beginnt mein Alternativprogramm. Popcorn habe ich genug gegessen, betrunken bin ich auch schon. Ich lege mich in den Jacuzzi und höre Musik. Meinen persönlichen Soundtrack zum Weltuntergang. In ein paar Tagen werde ich erfahren, dass Team Red gewonnen hat und mein Einsatz sich ausgezahlt hat. Doch jetzt döse ich im warmen Wasser der Unwissenheit. Verhaftungen werden folgen, die Börse wird sich innerhalb weniger Wochen erholen und das ganze wird in Vergessenheit geraten. Doch ich war ganz vorne dabei beim Finale und die ganze Welt schaute zu.
Jörg Hilse: Showdown in den Vogesen
Am Vormittag des 10.Mai 2005, gerade als sich André Wissembourg im staatlichen Automuseum von Mulhouse daran macht die Sitzpolsterung eines 1931er Bugatti aus der Schlumpf-Sammlung mit Lederfett einzureiben, steigt Jacques Lanthier, pensionierter Angestellter der Bank Credit Agricole in den Regionalzug nach Kruth um seine Schwester Severine in Saint Amarin zu besuchen. Fünf Minuten vor der Abfahrt betritt ein Fahrgast den Waggon dessen sportliches Outfit eine gewisse Aufmerksamkeit erregt. Denn obwohl der Mann mit seiner Begleitung sich in einer Sprache unterhält, die Monsieur Lanthier auf Deutsch schließen lässt, trägt er dennoch Trikot und Hose eines französischen Radrennstalls der allgemein nicht ganz unbekannt ist. Und als der Fremde in dem kleinen Nest Willer sur Thur sein blitzblank geputztes italienisches Rennrad auf den Bahnsteig schiebt, ahnt keiner der im Zug Verbliebenen, das ein Film mit der Schauspielerin Audrey Tautou Schuld daran ist, dass er ausgerechnet hier aussteigt.
Es war ein Freitag im Herbst des Jahres zuvor als Tobias Angermann in der Frankfurter S-Bahn saß und nach Hause fuhr. Der Tag war recht ruhig verlaufen, im Geschäft hatte es weder Ärger noch unangenehme Kunden gegeben, man ließ ihn sogar früher Feierabend machen um Überstunden abzubauen. So beschloss er vorerst nicht auszusteigen sondern in der Stadt ein bisschen durch die Fußgängerzone zu laufen um irgendwie zu entspannen. Tobias kam vom Bahnsteig die Treppe hinauf und blieb vor dem Kino an der Ecke stehen. Schon lange hatte er sich keinen Film mehr angesehen. Die ganzen Actionstreifen waren ihm meist zu blöd. Gerade lief in einem der kleinen Säle ein Film von dem Tobias Angermann bei ARTE einmal einen Ausschnitt gesehen hatte. Genau genommen ist es die Filmmusik, diese eigenartig beschwingte Melodie eines Akkordeons die ihn dazu bringt das er sich an der Kasse anstellt um sich eine Eintrittskarte und eine Cola zu kaufen ohne die Folgen zu ahnen. Ungefähr bei Filmminute 18 geschieht es. Tobias sieht wie kugelförmige Verschluss eines Flakons zu Boden fällt und gegen eine Fliese am Boden rollt, die von der Wand platzt. Als die Heldin Amelie Poulain in dem kleinen Hohlraum dahinter ein Kästchen findet dessen Inhalt nur ein kleiner Junge als Schatz betrachten kann, ist Tobias Angermann wie verzaubert. Die Kamera schwenkt auf die Spielfigur eines Radrennfahrers in dem Kästchen und plötzlich fühlt sich Tobias so als ob sein tiefstes Inneres Zwiesprache mit ihm hält.
Der Radrennfahrer in dem Kästchen, das bist Du sagt eine innere Stimme zu ihm. Zaghaft wie Du bist hast Du Deinen größten Traum vor allen verborgen, sogar vor Dir selbst. Auf was wartest Du noch, erfüll ihn Dir endlich. Als Tobias Angermann aus dem Kino kommt steht fest, er wird im nächsten Sommer nach Frankreich fahren, seinen Berg ins Visier nehmen und ihn auf seinem eigenen Rennrad bezwingen. Welcher, ist erst einmal egal, solange über den Gipfel auch gelegentlich die Tour de France rollt.
Nicole Angermann, Tobias Ehefrau hätte eigentlich nichts gegen einen Urlaub in Frankreich einzuwenden. Aber den in einer Bettenburg im Wintersportdomizil Alpe d‘Huez verbringen, wo im Sommer nichts los ist, nur weil der Göttergatte ein bisschen spinnt? No, No, No Monsieur. Sie möchte ins Elsass, durch die alten Gassen von Colmar laufen, das Maison Pfister bestaunen und im Musée Unterlinden Matthias Grünewalds Isenheimer Altar sehen.
Ich werde sie niemals überzeugen können in die Alpen oder Pyrenäen zu fahren, denkt Tobias traurig. Dabei brauch ich sie, ich kann ja kein Wort Französisch. Immer noch in gedrückter Stimmung liest er ein paar Tage später vom traurigen Ereignis, wie der Franzose Laurent Fignon auf der letzten Etappe beim Zeitfahren 1989 die gesamte Tour wegen lumpiger 8 Sekunden verliert. Wenige Zeilen später ist vermerkt, dass einer der letzten Siege des tragischen Helden aus Paris eine Touretappe auf den 1400 Meter hohen Grand Ballon war. Neugierig geworden schaut Tobi auf einer Karte nach. Der Grand Ballon liegt nur rund 20 Kilometer entfernt von Mulhouse. Und Mulhouse ist die nächste Stadt gleich hinter Colmar.
Tobi hat seinen Berg gefunden.
Inzwischen scheint die Mittagssonne hoch über den Tälern der Vogesen. André Wissembourg verabschiedet sich von seinen Bugattis und Jacques Lanthier sitzt immer noch bei seiner Schwester im Garten und isst eine Tarte die sie ihm gemacht hat. Eine ganze Anzahl von Kilometern entfernt kämpft sich Tobias Angermann über die letzten Meter zum Berggipfel hinauf. Tortur de France müsste es heißen denkt er, alles tut ihm weh, sogar die Bügel der Sonnenbrille scheinen sich in seinen Kopf zu bohren. Und trotzdem ist es das Größte was er je getan hat. Endlich oben angekommen ertönt kein Applaus. Niemand scheint Zeuge seines Triumphes zu sein, nur ein einsamer Wanderer kommt des Wegs. „ Monsieur“ ruft Tobias außer Atem und holt eine kleine Kamera aus der Trikottasche, „ un Photo si‘l vous plait“.
Mehr französisch kann er nicht. Der Wandersmann nimmt sie, und murmelt, den Auslöser suchend ein paar englisch klingende Laute. „ Jetzt weiß ich“ sagt Tobias in fast perfektem Englisch „ was so ein Radprofi durch macht.“ „ You came from down“ ruft der Wanderer erstaunt aus und blickt ihn völlig entgeistert an. „ Directly from the bottom“ sagt Tobias stolz und lächelt. Es fühlt sich an als hätte er gerade selbst die Tour de France gewonnen.
FD: Die Finale Stufe
Seit wann und wie lange die Treppe schon bestanden hatte, ließ sich nicht genau feststellen. An den Tagen nach der Entdeckung wurden zunächst Grundbucheinträge und Aufzeichnungen der alten Ruine gewälzt, ohne einen Hinweis auf eine in der Tiefe liegende Ebene zu finden. Der ehemalige Hof hatte einen Keller, die Treppenanlage an der Grenze des Grundstücks war jedoch nirgends verzeichnet. Zu Beginn weckte die Treppe vor allem die Neugierde der Anwohner der nahegelegenen Siedlung.
Tagsüber liefen Spaziergängerinnen vorbei und warfen neugierige Blicke in die Tiefe, am späteren Abend trafen sich Gruppen Jugendlicher und forderten sich gegenseitig heraus, der Treppe ins Dunkel nach unten zu folgen. Sie hinterließen Zigarettenstummel und leere Bierdosen. Nach etwa einer Woche waren schließlich Bürgermeisterin und Presse auf die Entdeckung aufmerksam geworden. Es wurde ein offizieller Termin ausgemacht, um dem Rätsel auf den Grund zu gehen.
Trotz der vielen Neugierigen war nämlich das Ende der Treppe noch nicht erreicht worden. Immer weiter schien sie sich in die Tiefe zu schrauben und die meisten, die mit Handylicht oder Taschenlampe bewaffnet den Abstieg wagten, gaben spätestens nach hundert Stufen auf. Manche, besonders Abenteuerlustige oder auch Geduldige erreichten vielleicht noch die Hundertfünfzig, verloren aber nach einiger Zeit ebenfalls die Motivation für den weiteren Abstieg – denn allen war klar, dass sie den Stufen später auch wieder nach oben folgen mussten. Dennoch wollten alle wissen, was sich wohl am Ende der Treppe befinden mochte. Vermutungen und Gerüchte machten sich bald breit. Einige behaupteten, es seien die Überreste eines alten Luftschutzbunkers. Andere versteiften sich auf die Idee, dass auf dem ehemaligen Hof wohl Bier gebraut und dieses in den tiefen Kellern aufbewahrt wurde. Wieder andere wagten die Theorie, es könne sich um den Anfang eines alten Tunnelsystems handeln, das noch viel älter als der ehemalige Hof war und mysteriösen Zwecken gedient hatte.
Einige professionell ausgestattete Mitglieder der örtlichen Feuerwehr wurden beauftragt, im Namen der Stadt in die Tiefe zu steigen. Nachdem die Schaulustigen vor Ort bereits eine Stunde ausgeharrt hatten und weiterhin kein Wort von den Feuerwehrleuten zu hören war, verloren die ersten die Geduld und gingen nach Hause. Nach zwei weiteren Stunden waren nur noch die Einsatzleute vor Ort zurückgeblieben. Auch die Bürgermeisterin hatte sich mit dem Hinweis auf einen weiteren wichtigen Termin verabschiedet und der Mitarbeiter der Lokalzeitung musste am Nachmittag noch zur Versammlung des örtlichen Kaninchenzüchtervereins. Man möge ihn später telefonisch über die Entdeckung benachrichtigen. Nach insgesamt fast fünf Stunden war die Gruppe der Feuerwehrleute ohne viel neue Erkenntnisse zurück an der Oberfläche angekommen:
Die Wendeltreppe führte stets weiter und weiter nach unten, die anfangs noch gemauerten Wände gingen nach etwa dreihundert Stufen in reines Gestein über, wurden teilweise von Abschnitten rein aus befestigter Erde unterbrochen, um dann wieder von Gestein und teilweise kleinerem Mauerwerk abgelöst zu werden. Je weiter die Einsatzkräfte nach unten vordrangen, desto kühler, dunkler und stiller schien es um sie herum zu werden, bis sie nur noch ihre eigenen Schritte und das Schlagen ihrer Herzen hören konnten. Ohne ausreichend Verpflegung und mit der Aussicht, den Stufen auch wieder zurück nach oben folgen zu müssen, hatten sie die Erkundung schließlich abgebrochen. Die letzte, die finale Stufe hatte man nicht erreichen können.
Der halbherzige, in der Lokalzeitung gedruckte Hinweis auf die Entdeckung der Treppe und deren mysteriöse Umstände konnte nur die Aufmerksamkeit Weniger wecken. Die anfängliche Neugierde der Ortsansässigen nahm bald ab und das Thema wurde im öffentlichen Interesse schließlich von anderen, dringenderen Fragen abgelöst. Dennoch gab es einen kleinen Kreis Interessierter, die von der Treppe und dem Rätsel, das sie aufgab, angezogen wurden. Im Laufe der Wochen entwickelte sich geradezu ein kleiner Kult. Täglich konnte man eine Handvoll Personen in stiller Meditation auf- und absteigen sehen. Vielleicht drangen sie jeden Tag eine Stufe weiter in die Tiefe hervor, um am nächsten Tag wiederzukehren und noch eine weitere Stufe hinabzusteigen. Die ersten begannen schließlich, auch die Nacht auf der Treppe zu verbringen, dann ganze Tage. Mit Taschenlampen, Decken und Verpflegung ausgestattet, stiegen sie die Treppe immer weiter hinab immer weiter weg vom Lärm der Welt.
In der kühlen Stille des Gewölbes verbrachten sie schließlich immer längere Zeitabschnitte, ließen sich für einige Tage auf einem bestimmten Treppenabsatz nieder und gingen schließlich dazu über, nur noch in gelegentlichen Abständen eine Person an die Oberfläche zu schicken, um Verpflegung und weitere, für den Alltag wichtige Gegenstände zu holen.
Sie gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit, an die Kälte und die Ruhe des Treppenschachts.
Stückchenweise verlagerten Sie ihre Stätten immer weiter nach unten, immer weiter weg vom Lärm an der Oberfläche – aber scheinbar nie näher zur letzten, finalen Stufe. Stattdessen näherte sich die Treppe mit jeder Stufe der Ewigkeit an. Die Besorgungsgänge die Treppe aufwärts wurden immer seltener. Gespräche und Gedanken wurden langsamer, als übertrage sich die ewige Ausbreitung der Treppe allmählich auf die Gemüter der Anwesenden. Die Möglichkeit, die Treppe nach oben zu steigen, ging schließlich vergessen.
Lange war niemand mehr oben gewesen. Die Treppenstufen schienen sich nach oben wie nach unten gleich weit auszudehnen. Das Gefühl für den Raum hatte sie verlassen, genauso wie das Gefühl für die Zeit. Sie wussten nicht, was oben passierte, wer noch dort war und wer nicht, wen sie zurückgelassen hatten. Aber es interessierte sie auch kaum. Gedanken und Bewegungen hatten sich der absoluten Stille angenähert. Außerhalb von Raum und Zeit verharrten sie im Stillstand.
Niemand war mehr anwesend, um zu bezeugen, wie die Treppe schließlich wieder genauso
plötzlich verschwand, wie sie aufgetaucht war. Niemand war mehr. Außerhalb der Zeit bestanden weder Anfang noch Ende
Christian Knieps: Sehnsuchtserinnerung
Viele Schülerinnen und Schüler hatten bestimmt die Möglichkeit, in der Jugend mit der Schule einen Ort zu besuchen, der im späteren Leben eine Art Sehnsuchtsort werden könnte. Bei mir waren zwei Italienreisen mit unterschiedlichen Schulen Ausgangspunkt für meine Sehnsucht nach diesem Land, das schon seit mehreren Jahrzehnten die Deutschen fast magisch anzieht. Auch schon zu Zeiten der Aufklärung und der folgenden Romantik sehnten sich viele nach dem Land im Süden, und diejenigen, die Italien als Studienreise besuchen konnten, schwärmten ihren Zeitgenossen vor, welche Bildung in diesen Landstrichen zu erlangen sei.
So toll das klingen mag – das alles interessiert einen Jugendlichen in den Neunzigern so überhaupt nicht! Wir fuhren nach Rom, Pisa, Florenz, Siena, aßen Pizza in Seitenstraßen, tranken eiskaltes Peroni und herben Campari, suchten in den Städten das goldene M, besuchten offiziell die Uffizien, doch als wir drin waren, wollten wir nach dem Pflichtteil nur nach draußen, um uns die Italiener und die Italienerinnen anzuschauen. Damals verstanden wir die Komplexität des Lebens, der Kultur und der Bildung nicht mal ansatzweise – wobei streng genommen doch etwas hängen blieb.
Im Rückblick entwickelte sich die Sehnsucht nach Italien, Rom, die Kultur, die vielen geschichtsträchtigen Regionen und Bauten und die Menschen vor Ort erst später, im Studium, doch da waren die weitreichenden Möglichkeiten aus den Studienreisen der Schulzeit vorbei; ab nun musste für eine Reise selber gezahlt werden – und die Frage, die im Raum für mich steht, ist folgende: vielleicht ist die Sehnsucht nach Italien am Ende stärker als das Gefühl, wirklich vor Ort zu sein – sollte man es dann nicht besser bleiben lassen, zu seinem Sehnsuchtsort zu reisen, nur um die Sehnsucht danach nicht zu zerstören? Wenn man doch nur wieder Jugendlicher wäre – denen fallen solche Entscheidungen einfach viel leichter!
Sophie Stiller: Feb 10
Jörg Hilse: Ich bin ein Römer
Andreas Prucker: Freispielen
Freispielen
Lasst mich maskiert ein anderes ich sein
tollpatschig im traurigen,
gedemütigt als dumm reitend,
Phobien und Fantasien leitend,
Krokodile schlagend und diebisches entlarvend,
im populistischen edel adrett nichtssagend,
ein Freispielen zu untersagen
und man im Suchtmittelrausch diesen Kummer versucht zu ertragen,
in dem man dann Hoffnungen von erträumten besingt:
La Li Lu nur der Mann im Mond schaut zu
wenn die kleinen schlafen, drum schlaf auch du.
Und im Traum erscheint dir dann das Bärtierchen
und winkt vom Mond herab,
weil es ist ja das erste Alien von Mensch erbracht.
Schon steigt im Traum ein roter Ballon nach oben
welcher lachend freudig zerplatzt
und nun Masken herumfliegen ,die dein Ich
in seiner eigenen Angst nicht frei spielen lassen.
Ich bin Schauspieler, Maskenträger und Populist
und verhinder ein frei spielen meiner Philosophie,
da mir meine Liebe unfreiwillig Masken aufsetzt. . .
Und die rote Nase kommt vom Suchtmittelrausch,
welcher mir meinen Kummer ins Gesicht schraubt.
Schon pflücke ich mir eine Maske, die nur freundliches zeigt..
Nur in gedanklichen Ruinen läuft mein Hirn jetzt Amok,
als Joker und lacht, bis mein inneres Feindbild,
am Transhumanismusritual rein bricht.
Als ruiniertes, was ich mir selbst zusammen spinne
und teilhabende Personen darin,
wie verkehrt weiter ein schönes Leben erklären.
Darin Ziele, Hoffnungen sich tragisch unvollkommen erweisen,
die mich verwirrt irr tatenlos lebendiges verlassend,
einen Weg einschreiten, um vergangenes abzufassen.
Doch dies traumatisierende will sich nicht löschen lassen
und Gespinste treiben in Träumen ihren Unsinn
die mich befähigt orientierungslos zu handeln.
Ich habe keine reale Liebe mehr in mir
und erkenne auch nicht im sozialen digitalen, was dies noch wär‘.
Finsternis umhüllt mein ich und in ihr Stimmen die sagen.
98nrfchh du einsames Wesen verstehst die Welt nicht mehr.
Liebe deine Angst, denn Sie verführt dich zu emische Taten.
Und der Vogel der Woche schrillt vor sich hin,
denn das was er sah, ist für ihn,
Unsicherheit aszendierend
und innerlich eine Gefahr,
da Jedermann, ein Täter wie dieser sein kann.