Andy Frischholz: Heißgetränke

Wulferin geht durch die holzgeschwurbelte Tür von dem zu kaltweißlichen Draußen, dem Weiß eines verhunzten unbekannten Winter in die holzverbackene Stube oder Hütte. Es riecht selbstverständlich nach wiederaufgewärmten Männerduft und dürftig bis kalt angespritztem blauen Duschdas-Schampu aus der Holzdusche hervor und noch nach tierischen Unterbumpeln aus dem Film davor.  

Ihn friert in die blechernen Krallen im Arm. 

So schreitet er schneiend von draußen wo es kalt ist hinein und hat etwas vor. Wie zu erwarten war wird er wohl Wasser aufsetzen indem er das funktionierende  feingliedrige Ende seines muskelgepackten Oberarms, also die Hand, nach einem  Blechkännchen fast grabschend greifen lässt. Er selber bleibt dabei cool. Spannend ist dabei sicher die Dynamik des saunaesken Lichtes in der Spiegelung des  dauerwarmen Kännchens und das Aufglänzen der Muskeln. Im Wesentlichen füllt Wulferin hier Wurstwasser aus der Vergangenheit um, sodass er einfach beruhigt in das trübe  Hinterseits der Hütte verschwinden kann.

Carolin Wabra: Heißgetränke

Vor mir steht wieder einer dieser Personen. Späte Mittagspause, schlecht sitzende Anzugshose zum fröhlich gestreiften hemd, dazu natürlich helle Sneakers. Schließlich ist heute casual Friday und da darf, ja muss, sollte man sich sogar ein bisschen gehen lassen. Ein bisschen laissez faire, ein bisschen livin la vida loca.

Und die pause von der konzernarbeit verbringt man dann natürlich in dieser wunderbar, regionalen cafe-rösterei in der kleinen straße ums eck. Weil in der geht es ja so herrlich unkonventionell zu und da riecht es ja auch so intensiv nach gemahlenen bohnen und da kann man ja auch einfach so gut abschalten von den kollegen und dem chef und den 38 ungeöffneten emails im postfach, die man in den letzten 20 min erhalten hat. Und dann stellt man sich an diese schwere bar aus dunklem holz und überlegt erstmal ob man die bohne aus brasilien oder doch äthopien nehmen sollte, weil die eine ja eher nach schoko-nuss und die andere nach traube-grapefruit schmeckt und man ja nicht weiß was sich jetzt besser auf aufgeschäumter hafermilch macht.

Glücklicherweise muss man diese entscheidung nicht alleine treffen, denn als wäre es Schicksal – nein, vielleicht sogar Bestimmung – gewesen, steht da wer hinter der Bar, dessen langjährige und unverschämte teure Barista-Ausbildung nun endlich zum Einsatz kommen darf. Endlich darf man sich diesen ganzen Fragen stellen. Wie denn der Mahlgrad nun eingestellt war? Und die richtige Rösttemperatur? Wie hoch denn der Wasserdruck im Stadtgebiet läge und wie viel Gramm von welcher Bohne bei einer Sonneneinstrahlung von 35 Grad östlich benötigt wird?

Wenn dann die wichtigen Dinge endlich geklärt sind, darf der Gast von seinen eigenen Café-Gewohnheiten erzählen, von der kleinen Aeropress, die man sich erst kürzlich angeschafft hat, weil die ja so wunderbar praktisch ist, wenn man im selbstgebauten VW-Bus durch Marokko fährt. Von der kleinen italienischen Siebträger-Maschine neben der Herdplatte, die aber immer ein wenig leckt. Von diesem total starken, süßlich duftenden Mokka, den man sich damals auf der Durchreise nach Vietnam am Flughafen in Dubai gegönnt hat. Ach, die orientalischen Café-Gewohnheiten schlechthin. Total anders ist das ja, aber so interessant. 

Und während dieses ganzen Gespräches kann man endlich sein im Internet angelesenes Wissen anbringen und hält nach diesem mindestens drei minütigen Ritual endlich das heilige Cappuccino-Kalb in den Händen. 

Wenn ich hinter einer dieser Personen stehe möchte ich sie immer ein klein wenig schubsen. Nicht sehr. Nur einen ganz kleinen Schubs geben, damit der frischaufgeschäumte Milchschaum über den Tassenrand schwappt und das feine Blattmuster nicht mehr so ganz akkurat durch den Schaum schimmert. Ich selbst bestelle dann meist einer dieser Cold Brew Cafes mit Tonic Water, weil das ja auch so unkonventiell und eben doch ein wenig anders ist. Und während der engagierte Mann hinter dem Tresen das kühle Getränk ins Glas füllt, erzähle ich von meinem Urlaub in Rom und diesem unfassbar authentischen Café an der Promenade.

Heike Fröhlich: Mein Outfit für den Eintritt ins Seniorenheim

mit Fringe, ein Mantelet aus Pferdeschwänzen
Glitzer: Transparent und Schwarz gibt Silber
einen Ponysprung von der Schwelle, einen Knicks
Ebenerdigkeit ist genehm und angemessen
Thujas Brustkorb hebt sich, der Knabensopran
stimmt an und ihr Kameradinnen alle zu heulen
ich trage Puder und ein Pulver auf den Brauen
mit Pfennigabsatz einen Mid-Heel, Sandaletten
die Riemchen aus Lack und Strümpfe darunter
mit Marmormuster, das euch murmeln macht
durchs Netz der Nylons Wadenwimpern
es führt eine Naht ins Nirgendwo, dann ein Cut
und oben Kettenklimpern dieser Mösenmuscheln
eine Reihe Kaurischnecken, Zähnchen am Schlitz
Kauri, mein finnischer Verflossener mit Engelgeruch
mein fieser Schlitz unter der Nase mit Malvenkulör
beugt die Häupter, diese Rampe wird zur Galatreppe
überknielang, ein Gardinenschnürl im Saum
glimmrig und glatt mit Blei, Projektile am Schienbein
im Beleg steht der Text, gestickt und versteckt
ich verfüge, man möge mich nicht beatmen
man möge mir alle Ringe küssen stattdessen
mir in den Nacken pusten von Pfingsten an
ich befehle Verehrern, mir Konfekt zu bringen
ein Wurf wortkarger Bären mit roten Bäckchen
ihr seid meine Kinder, wenn ich euch mag
ich hatte eine Tochter, eine Folge lang
sie wuchs sehr schnell und musste dann gehen
es folgte ein neues Monster eine Woche darauf
ich hatte eine Karriere in der Modebranche
bei Yves Saint Laurent hab ich verkauft
ein Tuch im Ärmel, eines auf dem Kopf
im Sommerhalbjahr den Knoten im Nacken
im Winter unter dem Kinn, dem dritten
es gibt Babuschen im Herd und welche im Flur
draußen am Buchsbaum die Nägel gefeilt
aus allem, was in meinen BH fällt, Brotkrume
entsteht irgendwann Humus, Erdkrume
dann fällt ein Samen hinein und Spucke

Lea Schlenker: «Und Kakao»

Liebling liebling liebling liebling 
gib mir meine Zigaretten zurück 
gib mir meine Tasse Kakao zurück denn 
irgendwo muss die Asche ja rein 

Dank meiner Wut  
entstehen die besten Launen und Ausreisser  
und zuckersüsse Gedankenexperimente  
verschütte heissen Kaffee in deinem Gesicht und beobachte mit Staunen die Blasen 

Ich nehme ein Bad in Wut und Zucker 
befreie meine Fusssohlen in einem sanften Peeling 
von Dreck und Bitterkeit 
Rosen Mandeln und Oliven 
Ich mache dir einen Tee aus verschiedenen Giftstoffen 

Lecke mir die Lügen aus den wütenden Gebieten 
die Liebe meines Lebens  
Ich gebe dir eine Tour durch meine imaginäre Süssigkeitenfabrik und tausche Glut und Asche gegen Lakritze und zerdrücktes Karamel stecke himmlische Biscuits 
in dein bestes Flanel 
mute mir einen süsseren Lebensabend zu  
als allen meinen Geschwistern 
dank Diabetes 
ist das nicht profan 

Honig  
und Kakao 
und wütend 
wütend 
wütend

Ned F. McCowski: Heißgetränke

Ich war komplett besoffen und der Hintergrund war, dass ich mit Kommilitonen einen kleinen Weinhachtswinterspaziergang machte.
Und dann kamen wir auf den Wintermarkt und dort gab es Feuerzangenbowle.
Feuer – Zangen – Bowle.

Und wir tranken da erst mal einen. Ich kannte das noch gar nicht, schmeckte eigentlich ganz gut.
Und irgendwie trank ich da noch einen und ja Runde, um Runde. Immer mehr Runden, die Leute wurden weniger.
Zum Schluss waren wir nur noch zu dritt und … ich hatte kein Geld mehr, also habe ich mir noch Geld geliehen für ein weiteres Getränk.
Eine weitere Feuer – Zangen – Bowle.

Und dann fiel mir irgendwie ein: Ich hab ja noch das Bewerbungsgespräch beim Callcenter bei der Meinungsforschung. Institut Soundso.
Also setzte ich mich in den Bus und fuhr die paar Stationen zum Callcenter.
Callcenter ist so: Es gibt Kohle dafür, aber man brennt irgendwann aus. Ersteres konnte ich gebrauchen, zweiteres – na ja – ist nicht so toll.

Als ich da ankam, war ich schon mit ein paar anderen Bewerbern im Raum.
Und irgendwann ging die Führung los und uns wurde die Etage gezeigt.
Wenn der Mitarbeiter was erklärte, sagte ich immer: „Aha!“ und „Ist ja interessant!“
Dann war der Rundgang zu Ende und wir kamen in so nem Raum an, da stand halt ein Computer, ne, mit nem Headset.
Und wir sollten jetzt mal unseren ersten Call machen.

Uns wurde noch erklärt, dass wir den Leuten sagen sollen „Die Nummer ist zufällig gewählt“, aber die Nummer ist nicht zufällig gewählt. Und wenn die Leute zu sehr nachfragen, leiten wir sie an den Vorgesetzten weiter.

Da nahm ich halt Platz da in den Reihen in den Reihen hinter dem Computer und der Erste oder die Erste war dran.
Ich hielt meine Klappe, schaute zu.
Dann war ich dran.
Und ja, dann habe ich da halt den Text abgelesen.
Hab so möglichst freundlich gesprochen.
Es ging bei der Umfrage um einen Katalog und welche Marken da drin vorkommen.
Ich halt gefragt: „Kennen Sie diese Marke?“ und „Würden Sie diese Marke weiterempfehlen?“.
Halt voll scheiß freundlich und höflich und so. Dann bin ich auf Seite 14 oder so angekommen von dieser Umfrage und das Gespräch ist endlich vorbei.

Der, der Mitarbeiter der Firma klopft mir dann auf die Schulter und sagt: „Sehr gut, sehr gut“ – „Ich kann mir vorstellen, dass du eine große Zukunft in diesem Unternehmen hast, und ich würde mich freuen wenn wir Freunde werden würden“…

Dann war mir auf einmal voll schlecht und ich hab vorher noch: „Ja, klar“ gesagt. Bin ich… habe ich nach dem WC gefragt, bin ich aufs Klo und hab erst mal den ganzen, die ganze Feuer – Zangen – Bowle ausgespien.

Am Ende habe ich den Job doch nicht bekommen.
Seitdem habe ich nicht mehr Feuerzangenbowle getrunken.

Theobald Fuchs: Heißgetränk.

Dieses Zeug da drinne. Gurgelt und gluckert im Glas. Es ist heiß. Heißer als heiß, (gesungen) heiß, überheiß… 

Wenn man einen Tee mit 500 Grad kochen könnte, würde er dann fünf mal stärker wärmen als? Oder würde man nur fünf mal stärker pusten müssen, damit er in der gleichen Zeit trinkbar ist in Klammern: und einen nicht tötet Klammer zu.
Trinkbar heißt: knapp unter Körpertemperatur. Besser ist das. 

Erst heizen und dann kühlen – wozu? Ich versteh’s nicht, hab’s nie verstanden, sorry.
Bin vom Typ her mehr kaltes Bier. Das ganze Thema hier, sorry, aber mir ist das zu… sagichmal: so direkt. Wäre jetzt ein Wortspiel an der Reihe, dann: zu heiß. So aber… Durchschaubar trifft’s am besten. 

Draußen ist es kalt wie ein gutes Bier, drinnen total warm, weil alle wie blöd heizen, damit sie barfuß auf dem Balkon Tiere nachtanzen können. Nackig. Weil Tiere ja auch keine Klamotten anhaben, die meisten jedenfalls. 

500 Grad im Hobbykeller, der Tee kocht von allein, bloß pusten, das musst du noch selber, und zwar fünf mal so stark, sonst dauert es fünf mal so lang. Wobei fünf noch eine Untertreibung ist, meiner natürlichen Bescheidenheit geschuldet. Sechs, sieben, das kommt schon eher an die Wahrheit hin. 

So feste pusten, dass vom Bier, das einfach nur kalt sein muss, der Schaum wegfliegt. Der Schaumfetzen im Flug gefriert, wegen des Gegenwinddingens. Irgendwohin fliegt. An eine Fensterscheibe zum Beispiel, wie eine fette Fliege zerspratzelt das, pladderadatzelt wie eine Fliege, auf die mit der Fliegenpatsche… Zosch und Patsch, voll krass! Gibt aber grad keine Fliegen, scheiß die Wand an, ist das vertrackt. Es muss in jedem Fall gefrorener Bierschaum sein, der Insektengestalt annahm. Damm it! 

Andererseits: ganz so kalt wie früher vertrage ich das Bier auch nicht mehr. Aber nicht falsch verstehen: Ich gehöre noch lange nicht zur Generation Tauchsieder. Knapp unter Zimmertemperatur, das passt, und den Schaum einfach nicht wegpusten, dann passiert auch nicht das, was. 

Und letztendlich muss ich sagen: ob heiß oder kalt – das ist dann irgendwo auch relativ.

Ramona Deniz: Abwarten und çay trinken

Du hast nie verstanden, wie wir selbst in der größten Affenhitze immer çay trinken können. Zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Mal mit Zucker, mal ohne.
Kaffee eher weniger. Und wenn es doch einer sein soll, dann nicht aus diesen massiven Gefässen, in denen sich das tiefe Schwarz ausbreitet wie eine sternenarme Nacht in jeder mittelgroßen Stadt.

Komische Kaffeekültür.

Dann lieber çay. Aus diesen filigranen Tulpen, die sich besser im oberen Drittel halten lassen.
Wegen der Hitze.
Kleines Hindernis neben den vielen Freuden:
Besser für das Herz. Und für die Freundschaft.

Denn während sich çay ohne Ende schlürfen lässt, von morgens bis abends, an milden und
bitteren Tagen, lässt sich das von Kaffee nicht behaupten.
Wer sich zum Kaffee trinken trifft, hat seine Zeit nicht eingepackt.
Bisschen auf Absprung. So zwischen Tür und Angel.
Sich etwas warm halten.
Sich jemanden warm halten, nur um dann wieder zu verschwinden.
Bis zum nächsten Kaffee.

Hayır. Das passiert bei çay nicht.
Nicht im Stehen trinkbar, nicht in Pappbecher befüllbar.
Du sitzt mehrere Teelängen, genießt.
Nicht zwischen Tür und Angel, mit Blick auf die Uhr.

Harald Kappel: Tasse Kaffee

auf den Schiffsrümpfen
treibende Fjorde
im Berg schleichende Kirchen
das Tageslicht als freies Segel
die kostbaren Tropfen
von ja und nein 
wie Runen auf dem Mond
auf meiner Terrasse
eine Tasse Kaffee
voller Insekten
jeder Schluck
wohltuender Schmerz
die alte Flotte
vertrieben von Diarrhoe
verlässt den Kurs
Richtung Eisberg
in der grellen Bleiche
das Zerschellen 
wohltuender Schmerz
eine Tasse Kaffee
endlich
ungebraucht

Harald Kappel: Mundschenk

zunächst
mein zitterndes Hirn
eine Vorspeise
die Augen desynchronisiert
heißes Glas
Tränen als Aperitif
ich vermisse 
den Magenschutz 
meine Gedärme
glühendes Eisen
verdauen sich selbst
dann
die Diktatur des Silikons
am Präpariertisch 
kurz vor dem Hauptgericht
schnitzt ihr Lippenandruck
Risse in mein Gesicht
Erektion wird zur Skulptur 
Implantate
werden Machofantasie
Dentalkorrekturen
pfählen mein Zahnfleisch
das Verlangen wird aufgeschlitzt
die Weiße Substanz anästhesiert
endlich
zum Dessert
säe ich 
einen Pfahl 
und eine silberne Kugel
in ihre Herzklappenfehler
ernte den Applaus des Mundschenks
die Paranoia
eine verlässliche Schwerkraft
hustet mich
in den Schlaf

Arabella Block: Heißgetränke

Hochglanzbilder einer Aussstellung,
von innen beleuchtet.
Heiße Brühen, auch in Braille.
Tastgeräusche klick.
Münzen drängen durch den Schlitz
ins unsichtbar Bodenvolle.
Einmal sachte drücken.
Rumor. 
Rieseln? Regnen? Rauschen?
Bechererscheinung. 
Der heilige Strahl.
Die Angst vor dem Überlaufen.
Letzter Tropfen.
Endgeräusch-Design.
„Bitte entnehmen“.
In die kalte Welt mit einem Schrei:
Was für ’ne Plörre.