Arabella Block: Märchenqueens

Dornröschen

Wann baute Dornröschen die Mauer?
Wo hatte sie die stacheligen Rosen her,
die sie pflanzte,
und stieß sie die Schaufel dafür in die Erde,
schwitzend und gebückt,
voller Vorfreude auf den Schlaf,
den ungestörten Schlaf,
den sie sich redlich verdient hat?
Hat sie den Wecker gestellt?
Und als sie die Augen öffnete, waren da
all ihre Pläne aufgegangen?
Sagte sie „Setz dich da hin und halt still“
zu dem Prinzen und klebte ihm
fröhliche Pflaster auf die zerschrammte Haut,
zufrieden mit dem, was sie ertastete?
Ein Königreich für den ersten Gedanken, 
der ihr durch den Kopf ging.

Schneeweißchen & Rosenrot

glückliche Kindheit,
lässige Mutter 
und als Haustier einen Bären,
größer als der von der Losbude.
der Zwerg kriegt sein Fett weg.
dazu gibt’s nen Schatz
und am Ende pro Nase
einen Märchenprinz gratis.
Blöde Schnepfen.

Rotkäppchen

30, Single, backe gern Kuchen 
und schätze
hier und da ein gutes Glas Wein.
Meine Lieblingsfarbe ist rot.
Such naturverbundenen Ihn
für ausgedehnte Wandertouren und mehr.
Wenn du schöne Augen hast und kräftige Hände
und ein Lächeln mit strahlenden Zähnen,
dann schreib mir.
Das Kennwort ist:
Jagdschein.

Schneewittchen

Das lustvoll Gegessene wieder ausspucken.
Sich modisch gürten, dass einem die Luft wegbleibt.
Im Glassarg zum Bild erstarren
als Männertrophäe – ja,
Schneewittchen ist ein hoffnungsloser Fall.
Wie typisch die Lösung:
Nicht der Faustschlag eines Riesen,
Nicht der Schlachtruf eines Einhorns,
Nicht der Schwerthieb eines Prinzen 
löst den Bann, nein, es ist: 
das Stolpern eines Zwergs.
Das muss wohl den meisten genügen.

Martin Knepper: Der trunkene Hausrat

Ein reicher Mann ist einmal ausgegangen, er wollt mit anderen Reichen speisen,  gerade, wie es die feinen Leute immer tun. Da aber haben die Dinge in seinem  Hause sich gedacht, dass sie sich’s auch einmal wollten gut gehen lassen. Und es  war ein Schrank unter ihnen, der hat den Bauch voll des Branntweins gehabt,  den tät er den anderen kredenzen. Und sind sie alle lustig worden und immer  wilder in ihrem Übermute; der alte Stiefelknecht tät sich auf die Chaiselongue legen, das Geschirr hat munter auf dem Tische geklappert und ein Hifthorn und  eine Tanzgeige, die haben ihnen dazu aufgespielt, die waren froh, dass sie sich  hören lassen durften; denn es hätt sie ihr Herr nur zum Zierrate an die Wand  gehängt, denn er war kein Musikus und pflag viel lieber dem Klingen der Taler  zu lauschen tagein, tagaus. Doch wie sie alle sind immer trunkener worden, ist  ein Streit aufgekommen, es war ein alter Stiefel wohl eifersüchtig auf einen  jungen Käs geworden, der hat mit seiner Bürste getanzt. Und hast du nicht  gesehen, gab ein böses Wort das andere, das Tintenfass hat mit dem Brotkorb das  Raufen angefangen, da traten dann auch Kerze und Schirm hinzu, und  schließlich hat die ganze Gesellschaft, die eben noch so munter miteinander ist  gewesen, einander Wims und Knuff gegeben. Und als unser lieber Herr Jesus,  der an seinem Kreuze an der Wand gehangen, ein begütigendes Wort spricht, hat  ihn der Wandschirm gepackt und in den Ofen geworfen, denn der Wandschirm  war aus dem fernen Nippon und achtete der anderen Götter nicht. Und noch  manch andres hat sein Leben ausgehaucht in dieser Rauferei, der Feuerhaken tät  ein ganzes Regiment von Tellern erschlagen, ein altes Buch ward in der  Waschschüssel ersäuft und gleich vieles mehr. Unter all dem kommt der reiche  Herr nach Hause und mag es gar nicht fassen, was er sieht, spricht „Weh!“ und  „Ach!“, und da er einen Schritt in die Stube macht, fällt er über ein sterbendes  Schemelchen, schlägt unglücklich mit dem Kopfe auf eine ohnmächtige Bain  Marie und war selbst hinüber. Und weil er ein alter Hagestolz gewesen ist, hat er  keine Kinder gehabt, und was noch zu gebrauchen von seinem Hausrate, das  ward in alle Welt verkauft. Manche haben’s besser funden, andere schlechter, just  wie es so geht in der Welt. Das Hifthorn aber ist zu einem Jägersmann  gekommen und fürderhin alle Tage an der guten Luft gewesen, war fröhlich  allzeit und hat nimmer der alten Tanzgeige und des Heilands im Ofen gedacht.

Harald Kappel: frische Wichtel

die Kirche
geisselt die Unzucht
die welken Engel
verbreiten das Laster
auf der Flaniermeile
ist ein Strich gezogen
die Wasser fliessen rückwärts
in ihren Quell

der Kardinal 
ein fetter Bläser
lebt seinen goldenen Traum
unter der Soutane
pulsiert das Aspergill 
harzt der Weihrauch
Oblaten sind getrüffelt
im Katalog
hat man
den Priesterkalender
im Internat
frische Wichtel bestellt

das Bussgeld ist witzig
die Oblaten flambiert
der Weihrauch entleert
die Verdauung intakt
Testikel werden pochiert
die Engel
verbreiten das Laster
der Kardinal
auf der Flaniermeile
zieht 
keinen Strich

Harald Kappel: abgeschenkt

das Neonlicht
flackert
in der Dunkelheit
in meinem Dorf
winden sich die Lenden
am Euter

der Spucknapf
ist fett
und einsam
am Lagerfeuer
wird er zur Butter
für Steckrüben

am Arsch der Welt
zählt nur
das Ritual 
rote Lippen 
sind ein Skandal
nass
zeigen sie
die Wirklichkeit
ungefragt 

das Neonlicht 
flackert
am Arsch der Welt
zählen nur
Geschenke

Robert Alan: Schenken

Jay-Z: Yo girl, wir schenken uns dieses Jahr nix ok?
Beyonce: Ok my boy.

An Heiligabend dann…

Beyonce: Also ich hab jetzt doch ne Kleinigkeit für dich.
Jay-Z: Grönland? Du hast mir Grönland gekauft?
Beyonce: Ja, warum? Gefällt es dir nicht?
Jay-Z: Doch doch! Ich weiß nur nicht wohin damit.
Beyonce: Ach das ist doch egal. Die Hauptsache ist doch, dass man uns liebt.

Theobald Fuchs: Tapezierer – Gefährder oder gefährdet, so viel ist unklar!

Wie gefährlich sind Tapezierer? Ist das massenhafte Auftreten von Tapezieren wirklich ein Zeichen für eine florierende Ökonische? Oder eher der Vorbote, dass die Menschen die Freundlichkeit verlernt haben?  

Aus aktuellem Anlass fragen wir: Wie gefährdet sind Tapezierer wirklich?  

Stimmt es, dass sie nicht mehr wissen wie man lächelt und daher alles »hinter die Tapete kehren« wollen? Fragezeichen…?  

Aber nein: wie ein Neuseeländisches Experiment gezeigt hat: die unkontrollierte Vermehrung des gemeinen Tapezierers bringt andere Gruppen rasch in Bedrängnis. Zum Beispiel den wandernden Kalkbrenner, die Papierschöpferin oder das nächtliche Mauerkratzerlein. Und was reimt sich schon auf Tapezierer? Richtig: Gegenieber.  

Das hat das Neuseeländische Experiment deutlich gezeigt: Die Übersiedlung der wenigen Überlebenden nach Australien – völlig sinnlos. Plötzlich flohen alle australischen Furzkissenbläser*innen über den »Leimeimer«, wie der Pazifik zwischen den Kontinentalstaaten genannt wird.  

Nun hat Neuseeland ein Problem, während in Australien alle Wohnungen schön Raufaser. Die Tapezierer jedoch, die haben sich erst noch einmal kräftig vermehrt und dann gegenseitig. So ist das eben in der Praxis.  

Scheiß auf Neuseeland. Elitäres Blumenmuster-Pack… Meine liebe Güte, bin ich heut drauf! Na ja, ganz normal. Lag heut früh schon Gefährdung in der Luft. Irgendwas mit dem Wetter, man glaubt es nicht! 

Gordie Lachance: Im Nebel oder Mit 17 hat man noch Träume

Ich bin bei dir und bin glücklich.  
Das Gedicht über deinem Bett sagt, dass kein Mensch den anderen sieht und jeder allein ist. Ich kenn dieses Gedicht fast auswendig, so oft habe ich es gelesen.
Jetzt lese ich es zum ersten Mal, ohne mich dabei einsam und ungesehen zu fühlen.
Weil du mich siehst. 

Meine Mutter ruft an und sagt, dass ich heimkommen soll, weil mein Vater „wieder spinnt“. 
Ich will bei dir bleiben, verdammt. Aber „spinnen“ kann Mord und Totschlag bedeuten. Glaub ich. 

Du sollst mich nicht für ein Muttersöhnchen halten. Ich versuche, einen coolen Abgang hinzulegen. Ich gebe dir einen pseudo-ironischen Handkuss. Bescheuert. Dann renn ich nach Hause, im Glauben, meine Mutter retten zu müssen.
Als ich heimkomme, ist gar nix los. Meine Eltern gehen sich nur aus dem Weg, sonst nix. Arschlöcher.

Ich telefoniere mit dir und irgendwie ist es komisch. Du sagst, dass du mich wieder anrufst und legst auf.

Du rufst nicht an und ich ruf dich nicht an, weil du gesagt hast, dass du mich anrufst und ich mich nicht aufdrängen will. 

Ich möchte irgendwas für dich sein.

An einem Sonntagabend sitz ich mit meiner Mutter vorm Fernseher. Es war den ganzen Tag friedlich, weil mein Vater Notarztdienst hatte und deshalb kaum zu Hause war. Jetzt kommt er heim. 

Er sagt, dass man deine Leiche gefunden hat. Dass du dich in den Tod gestürzt hast.

Sowas kommt vom Kiffen, sagt mein Vater. 

Sowas kommt von Menschen wie dir, schrei ich ihn an.

Am Ende bin ich nur sich selbst.

Franz Walser: Maßnahme

Ja guten Tag Sie ham keine Arbeit grade? Na da müssen wir eine Maßnahme durchführen

Da wird jetzt mal ordentlich Maß genommen 🙂

Aha ja 1,73, das reicht natürlich nicht, kein Wunder ham Sie keine Arbeit, hier Sie machen jetzt mal ein Training. 

Schön Rücken durchdrücken, ja, schön, gleich 2 Zentimeter mehr, haben Sie mal über Schuhe mit Absatz nachgedacht? Sehen Sie ja das sind so die Kniffe, sowas will gelernt sein, gell da freuen Sie sich ja direkt, dass Sie zu uns gekommen sind, nicht wahr?

Sehen Sie ich wäre ohne eine Maßnahme nie hier gelandet, unter 1,80 geht hier gar nix, außer Sie ham ein Attest.

Da muss man auch mal dankbar sein, Sie wären ganz überrascht, wenn Sie wüssten, wie ich früher…

Ach einen Master haben Sie? Na das ist schön, ich bin ja promoviert, aber ohne Maßnahme bringt einem das heutzutage ja nix mehr.

Na genug Smalltalk, haha, small, klein, von wegen, Größe ham Sie gezeigt, also, Sie haben ja bestimmt noch einiges zu tun, nicht wahr? Jetzt wo Sie wissen wie man sich, na, genau, toll. Na dann noch einen schönen Tag Ihnen und viel Erfolg, Sie kommen noch hoch hinaus, haha.

(Die gemessene Person verlässt, auf den Zehenspitzen balancierend, das Zimmer, die Maßnahmenperson setzt sich auf den Teppich vor ihrem Schreibtisch, kontrolliert mit einem Blick verstohlen, ob die Tür zum Nachbarbüro geschlossen ist, zieht die Absatzschuhe aus, macht den Rücken krumm, fast Embryonalstellung, und weint leise in sich hinein.)

Lea Schlenker: Das Liebesgedicht einer Frau, die zu Weihnachten keine Geschenke macht

Die Autowaschanlage ist heute geschlossen 
Ich sehe nur von weitem aus Möwen  
die sich auf dem Parkplatz versammelt haben 
Wir sind nicht mehr in Bern 
Hier kennt uns überhaupt niemand mehr 
Alle unsere Freunde die morgen wieder arbeiten 
In einem Kaufhaus oder in einer Kanzlei oder in einem Radiostudio
Die werden nächste Woche alle tot sein 

Mein Dichter, mein Hochstapler,  
Lieber bin ich dumm als brillant wie du 
lieber bin ich glücklich als weinend wie du 
mein dilettantischer Schwerenöter 
Du sitzt auf deinem Stuhl als verhandelst du mit Kleinkriminellen
verteilst Küsse als würdest du auf Holzkohlen gehen.  

Wenn du mich dann hochhebst und ich versuche zu fliegen  
den Mond holen will und die Sterne stehlen  
und auf dem intergalaktischen Schwarzmarkt verkaufe 
siehst du aus wie ein Kind, und ich wie eine Erwachsene.  

Die Autowaschanlage ist heute geschlossen 
Ich sehe nur von weitem aus Möwen  
die sich auf dem Parkplatz versammelt haben 
Wir können uns in einem leeren Kino verstecken 
Mit meinem Schwager der durch den Saal ruft 
Wenn das Popcorn etwas mehr Salz dran hätte würde ich vielleicht wiederkommen 

Gelächter von der Frau an der Kasse von La vie claire 
Mit dem hellblauen Haarband und dem silbernen Nasenring  
Gelächter von dem Pizzabäcker 
Der seit Jahrzehnten Pizza mit Emmentaler Käse für Touristen bäckt
Gelächter von dem grauen Ehepaar 
Das auf dem Weg zum Aussichtspunkt vom Weg abkommt und verhungert
Das könnten wir zwei sein 
Wenn wir nur einmal so mutig wären