Simon Borowiak: Atheistische Glaubenskrise

Eine Frage, Gott:
Warum hast Du mich verlassen?
Doch wenn ich dann so um mich schaue:
Du musst die Menschheit ganz schön hassen.
Du machst sie dumm und pöbelnd und gemein,
zerstörst die Schönen, fällst die Gesunden.
Insofern muss die Eingangsfrage eigentlich lauten:
Mein Gott,
warum hast Du mich gefunden?

Harald Kappel: im Labor

ich traf Dich gestern
im Labor
nachmittags
wurde der Igel überfahren
seine Mutter gefressen
Hunde und Katzen
sahen zu

ich traf Dich gestern
beim Hochsprung
nachmittags
wurde Dir die Haut abgezogen
der liebe Gott gekreuzigt
Menschen und Ratten
sahen zu

ich treffe Dich
nicht mehr
nachts
weine ich
wegen Deiner Geburt
keiner und niemand
sieht mir dabei zu

Carsten Stephan: Moralkolumnist Dr. Ehrmüller

Darf man sagen, dass die Kinder nerven?
Darf man schlipslos aufs Familienfest?
Darf man Tante Trudes Kunst verwerfen?
Darf ein Veggie, um nichts wegzuwerfen,
Knabbern einen fetten Eisbeinrest?

So klug fragen Kaufmann und Friseuse,
Das ist es, worum die Welt sich dreht:
Darf man? Ist es gut? Oder doch böse?
Ehrmüller hält in der Zeitung Lese,
Und man hofft und spricht ein Bittgebet.

Darf man über rote Ampeln gehen,
Wenn der Zug fährt und die Zeit verrinnt?
Keineswegs! Denn schnell ist es geschehen,
Schließlich geht man oben nur auf Zehen,
Dass man fällt. Natürlich auf ein Kind!

Darf man Penner aus dem Bahnhof jagen?
Ja! Er ist doch öffentlicher Raum.
Doch es bleibt ein leises Unbehagen:
Darf man denn zu Menschen Penner sagen?
Nein! Denn ohne Achtung geht es kaum.

Darf man mangels Geld für eine Reise
Karten schicken: Gruß aus Sansibar?
Darf man, wenn zu arm für Biopreise,
Fleisch verzehren? Nö! – Und vom Kakao,
Durch den sie einen ziehen, trinken? Klar!

Unser Doktor hegt Gewissensmaden
Und erteilt schon jahrelang Absolution.
Selten spricht er nur von Schurkenstaaten.
Darf man seinen Lebenstraum verraten?
Er in der Weltethikkommission.

Darf man alte Panzer ausrangieren,
Oder wäre das ein Umweltgau?
Darf man auf Raketen Hate Speech schmieren?
Darf man einen schönen Weltkrieg führen,
Wenn so Zeit fehlt für die Ehefrau?

Andii Weber: Gegen den Himmel

durchs leben
pardonisier ich mich
durch die arbeit
durch das gehölz
durch das gold
durch die krise
[kann auch geil sein]
ich habe netz
im siliziumthal
die erste gotteszell
ein großer [schalt]plan
hörst DU mich
ja, ich höre dich
hörst du denn MICH
///\///
ein funkloch
ubiquigroß ganz
urbi et orbi
[and the space between]
nur [be]rauschen
in der leitung
im kabuff
im mief
in der kirche
in der kälte
domini spielen
unter dem kreuz
schweigen
glasperlen und kränze
minende grafikkarten
brennbares zu notgeld
worte zu taten
staub zu staub
fleisch zu daten
nur mein job
böses[, all]zu böses
es schläft in mir
seit immer
mit der welt
werd ich dich versöhnen
ich absolutioniere dich
durch die mir
verliehene macht
bring sie ja zurück
sie gehört dir nicht
sondern DIR
komm zurück
in die spur
die hunde solln dich
zurückverbeißen
du schläfchen
an deinen platz
+ vercourier dich nicht
im kopf
im wald
im finstren thal
im vorsprung
im abgrund
im abspann
im radio
dreh es ab
mehr, ist da NICHTS
am ende
kein sinne für dich
in diesem

Theobald Fuchs: Trash

Schockschwerenot! Mein Schwiegersohn ist ein Optimist!
Schon schweigt schwieriger Schon-Chirurg Jean Schweizer.
Schwör! Geschwätziges Schwarzwild zieht geschwind die Schwänze ein.
Schwiemu schwurbelt: Jemand schwächelt an der Schwelle zum Schwarzschweigen!
Schlagartig: die Schar schwüle Sprüche schwingende Schwiegerschwager schwelgt in schwierigen Schwarzmalereien.
So schwitzt kein Schweif, schwadronieren sie.
Ein Schwall Schwäne schwingt sich schwer schwanzwärts.
Und Schwuss!

Harald Kappel: Formatierung der Festplatte

das Erwachen
gegenüber
nach einer harten Nacht
hebt ein fetter Hund
schwankend das Bein
im grauen Licht
formatiert die schöne Nachbarin
die bunten Mülltonnen
erst nach Spektralfarben
dann nach Bouquet
in der verhassten Wäschespinne
fängt sich der Wind
in Plastiktüten
und Nylonstrümpfen
und ihr Rascheln
erzeugt eine seltsame Sprache
in mir
flüchtig

fehlt mir kurz das Ich

dann formatiere ich
die bunte Luft
den grauen Hund
die fette Nachbarin
die schöne Wäschespinne
die verhasste Nacht
schlüpfe
in die Nylonstrümpfe
stecke mich
in die Plastiktüte
und warte erneut auf
das Erwachen

Harald Kappel: mumifiziert

die Stimmung ist im Keller

nichts funktioniert
an der richtigen Stelle

am Arsch der Welt
läuft man sein Leben lang herum

der Aufgesetzte
ist eine Sternstunde

die Köpfe der Revolution
mumifizieren in Formaldehyd

das Tasting
gar nicht mal so übel
brennt unter der Kalotte

die Erkenntnis
braucht unendlich viel Zeit
sie reicht
Gott sei Dank
für lebenslänglichen Suff

man erträgt die Sternstunden
nur solange
bis man sie begreift

Harald Kappel: Abwehrhaltung

habe genug gelitten
lasse mich ohne Gegenwehr erschlagen
weil
ich es mir verdient habe
mein Haus ist graugrün
wie letztens
der trübe Urin
was bist du nur für ein Mensch
sagte sie
mach was aus deinem Leben
sagte sie
so ein Wahn
dachte ich
ja was denn?
habe genug gelitten
dachte ich
keiner begreift
was ich will
es geht alles durcheinander
wie schmeckt ein Kuss?
ja wie denn?
was erwartest du?
lecke am Rasierwasser
weil
ich es mir verdient habe
im Totenbuch steht
dass die Möglichkeiten
verwirkt werden
irgendwann
möchte mal wissen
was das bedeutet
für mich
möchte das mal wirklich wissen
das ist doch kein Spass
das Saufen
nun mach schon
wie letztens
ohne Gegenwehr

Carsten Stephan: Musikantenstadl

In matten Augen glänzt die Studiosonne,
Ein Rüschenbalg kräht im Tapetenwald.
Und alles schunkelt sich in beige Wonne.
Ein Hirschhornknopf von einer Hose knallt.

Ein Mottenschwarm entflieht den Kampferdünsten.
Ein Jodler schlüpft aus einem Dekolleté.
Der Saalschutz fantasiert von Feuersbrünsten.
Ein Stützstrumpf blickt verliebt auf ein Toupet.

Carsten Stephan: Bimbam

Schilleroulipo

Der Marsch muß hinaus
In den feindlichen Leichtsinn,
Muß wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
Muß wetten und wagen,
Den Grad zu erjagen.
Da strömet herbei das unendliche Gas,
Es füllt sich die Spitze mit köstlichem Halfter,
Die Rechtshänder wachsen, es dehnt sich der Heide.
Und drinnen waltet
Das züchtige Heilkraut,
Der Nachtdienst der Klarheit,
Und herrschet weise
Im häuslichen Krokodil,
Und lehret die Manager
Und wehret den Kode,
Und reget ohn’ Entwicklung
Die fleißigen Hascherl,
Und mehrt die Glasfaser
Mit ordnender SMV.
Und füllet mit Schermäusen die duftenden Laptops,
Und dreht um das schnurrende Springseil die Fanfare,
Und sammelt in der reinlich geglätteten Schürfwunde
Den schimmernden Yuppi, das schneeigte Lichtjahr,
Und füget zum Hahn den Glücksklee und die Schleimhaut,
Und ruhet nimmer.