Harald Kappel – Am Gatter

durstig

unten am Tor

bin ich das Gatter

für die Sehnsucht

du

oben im Garten

wartest

schweigsam im Schnee

auf den falschen Freund

die Schrift deiner Augen

wird übermalt

von tropfendem Licht

auf den Porzellanflügeln

strahlt Perlmutt im Gegenwind

die Tragödie deiner Augen

dehnt die Zeit der Andacht

das Lügengebäude

im Schatten

atmet nicht mehr

ich übermale die Federn

mit Fehlfarben

du

oben im Garten

wartest

schweigsam im Schnee

auf das letzte Wort

von mir

das niemand kennt

und niemals fällt

Hydragea Must Die – Still Dreaming Of Vampires

When it stops raining the bats begin to sing
And I’ll be born again with crystals in my skin
Forever bound to die and fragment into stardust
The Earth exhales my body in a lifeless collapse

I won’t take my Love on a trip to the Moon
He’ll pick up the violets waiting for my return
I’ll leave him down there, summer garden at noon
With my sign on his chest, in the Chamber of Doom

He’ll grow the fruits du mal of our abandoned romance
With his arms full of glass, he will build up a fence
He will bury his bird heart in the dark and cold loam
Stardust Goddess won’t leave her baby alone

Arabella Block – Der Garten


Ich bin mein Garten.
Gewachsen bin ich wild.
Hab einen Zaun um mich gezogen.
Allerlei in mir kultiviert.
Schön sollte alles aussehen.
Fruchtbringend sein.
Und gerupft, gerupft hab ich.
Kraut gerupft, ausgerupft und mit Lust
die Erde von den schmutzigen Fingern geschüttelt.
O Lust des Rodens.
Geschwitzt hab ich.
Und die Nacktschnecken gefürchtet.
Alles für die Ernte.
Die hab ich verschenkt.
Was soll’s,
hab ich dann zu den Kletten gesagt,
und sie wachsen lassen.
Hab das Kraut willkommen geheißen
und sein wildes Blühen.
Die Äpfel den Igeln auf die Stacheln gespießt,
zwischen die wimmelnden Flöhe.
Den Ameisen gewunken.
Die Brennesseln kultiviert
für das Gaukeln eines Falters.
Blüht auch ihr, ihr Brombeeren,
und die Heckenrosen,
zückt eure Stacheln,
wuchert und schützt den Zaun.
Er bewahrt die Ernte
für das Chaos in mir.

Arabella Block: Fernsehen

ganz nah
vor dem fern seher sitzen
der gar nichts sieht

nur meinen blick einfängt
der in vergeblicher langeweile
den horizont fokussiert

wo keine beute sich zeigt
doch hier springt es und zuckt
und ich starre dankbar 

gedankenverloren
krallen eingezogen
blutgeschmack unter der zunge

satt und lasse mich treiben
lasse für mich sehen
und lasse mich leben

Harald Kappel: BlauWeißNahsehen

irgendwo am Meer
wo’s warm ist
Bewegungen der Körper
Lampe aus
Lampe an
zwei Farben begegnen sich
blaue Tablette im Magen flau
weiße im Glas 
zusammengefügtes Warten
auf nassem Laken
im Zimmer
ein stummer Fernseher
die Wände voller geheimer Gedanken
draußen die Volksmenge
tobt
ein strömendes Grau
in Erwartung des Augenblicks
im Zimmer
Schneefall in der Wüste
draußen lärmende Mehrheiten
Bewegungen des Hauptstroms
im Zimmer
ein stummer Schrei

Harald Kappel: SchwarzWeißFernsehen

inmitten der Arbeit der Nacht
bade ich im Schwarzen Gold
die rauchigen Schlote
werfen Ungemach auf Unterwäsche und Laken
dunkle Schwerkraft
durchdringt unsere private Stille
das Dich und Mich
Käfer fallen im Novemberdunst
in die Kälte des nebligen Wassers
das letzte Grubenpferd lahmt
auf dem Heimweg
die Augen gewöhnen sich
an seine Langeweile
mein Fernseher schreit
in den meisten Ohren wächst wildes Grün
ich will es nicht hören
verdammter Mond
halbfertige Novembernacht
in den Kanälen rauschen Worte
erwartet 
und blöd 
ein dünner Draht 
verbindet die Unterwelt
mit der katholischen Messe
in eigenen Binnenmeer
sprechen Fische
unerwartet
der Neubau der Sprache
hellt die seltsame Befindlichkeit auf 
und ich sehe
in der Arbeit der Nacht
ungestrichene Sinnlosigkeit
nur
wer hilft dem Grubenpferd
auf dem Heimweg
zu sich selbst?
Du?
Ich?
nicht 

Lea Schlenker: Tagesschau bleibt statisch

Zwei blaue Augen  
klar wie Gletscherwasser 
ich habe schon Messerstiche gefühlt  
während ich auf deinen Ruf wartete 
Die Sonne ist kostenlos 
Die daraus resultierenden Geschehnisse  
eher kostspielig  

Ich möchte nachts draussen sein  
Treffe dort alle Barkeeper und Dealer und Geschöpfe der Nacht 
Und höre dein Rufen nicht mehr  
Wenn ich dich nicht vergessen möchte 
und das werde ich  
eher früher als später 
dann kratze ich jeden Morgen alle Erinnerungen an dich zusammen 
was ich trug was ich sagte was du wolltest was ich nicht habe 
und dass ich nie wieder die Bücher lese die du mir empfohlen hast 
während ich Koffein auf schlechtem Magen trinke 

ich sehe mich selber 
den ganzen Tag im Pyjama und ohne Schokolade zuhause 
schreibe in mein Motivationsschreiben 
dass mich die Menschenrechtssituation in China ankotzt 
Heute soll angeblich der heisseste Tag des Sommers sein 
Ich mache die Augen zu und wenn ich wieder wach werde 
Dann ist der Sommer verschwunden 
Frank Zappa macht niemandem mehr Angst 
Ich schreibe ein Gedicht 
während im Hintergrund der Fernseher läuft  

Ich wurde zwar einmal von einem Auto angefahren 
aber was ich so aus den Nachrichten mitbekomme 
ist schlimmer als alles was ich jemals erleben werde

Lea Schlenker: Astronomische Denkweise

77 Gedichte
gelangweilt aneinandergereiht

sie gleichen sich wie falsche Freunde
und leiten eine Katastrophe ein
ein Autounfall auf einer Seitenstrasse im Verzascatal
77 Deutschschweizer Touristen
sterben dumm beim Einparken

Ich habe gemischte Gefühle
wenn es um meine Familie geht

sehe meine Grossmutter unter Rosen
schön aber auch giftig
sehe meine Mutter in meinem Spiegelbild
schön aber auch gefährlich

77 Gedichte
lieblos in die Tastatur gehauen
ich kann nicht mehr einschlafen
ohne sie und dich und dem Wissen
dass ein Sextape von mir im Umlauf ist

Ich schaue es mir an
Ich vermisse dich

Ich weiss nicht
Ob Gedichte wirklich helfen
Ich weiss nicht
Wo mein Kopf aufhört und mein Herz beginnt

Ich weiss nicht
ob das Aufschreiben nicht alles nur noch schlimmer macht
ich habe schon sehr viele Freunde an die Wörter verloren

ausserdem
spüre ich die Laken nicht mehr unter mir
oder auf mir
viele Decken mit denen du dich bettest
sind fettig und alt und dunkelrot

Jupiter Mars Saturn
auf dem Badezimmerteppich
ausgelegt wie auf dem Bügelbrett
wie meine 77 Gedichte
bevor ich sie 
aneinanderreihte

ich hole mal
das Telefon

Hanne Mausfeld: Endlich frei

Mal Fehler machen,
rebellieren,
sich nicht genieren
und drüber lauthals lachen.

Mit Wonne in den Fettnapf 
treten und heimlich 
beten, dass es jeder sieht
und akzeptiert,

was dazu führt,
dass man und frau es 
ab dann 
leichter machen kann.

Ganz offen lästern 
überall –
frech, geistreich, bis es andern
wird zur Qual.

Setz dies und jenes in den Sand,
gereich der Familie zur Schande,
tu endlich das,
was keiner will.

Dann brauchst du
keine rote Kappe,
hältst nie mehr deine Klappe
und sagst dir:

Mir ist alles 
einerlei,
ich werd so richtig 
narrenfrei –

übertreib die Schminke
und winke
als Nathan 
von der Bühne.