Watching a Crime

Ich sinke in Gedanken.

Die Treppen zur U-Bahn hinunter.

Sehe Menschen.

Höre Schreie.

Weine leise.

Ich fliege in Gedanken.

Durch die Straßen von Kiew.

Sehe Soldaten und erkenne nicht,

zu welchem Heer sie gehören.

Unter mir mein Schatten.

Oder bin das ich?

Am Fenster steht ein Kind.

Oder ist es schon erwachsen?

Der Himmel dröhnt.

Was war, ist auf einmal wieder, was sein wird.

Nichts kann meinen Flug durch die Stadt stoppen.

Ich sauge den Schmerz auf,

gerate in Taumel,

und mein Körper stirbt im Bombenhagel der Vergangenheit.

Ich stehe auf und laufe zu Fuß weiter.

Es ist Krieg.

Heute und morgen gibt es nicht mehr.

Es gibt nur noch diesen Krieg.

Lea Schlenker: Ich kann nicht über den Krieg schreiben

Ich kann nicht über den Krieg schreiben
Mein Blut ist
Ignazio Cassis
Und ein bisschen
Emmanuel Macron
Auf dem Weg zur Arbeit im Labor
Fallen mir die Earpods aus den Ohren
Nach dem Aufstehen mache ich mir einen Tee
Aus Schweizer Alpenkräutern
(seit zehn Jahren denselben)
Ich kenne
Ich will
Stabilität

Ich kann nicht über den Krieg schreiben!
Wenn ich die Nachrichten lese halte ich mir
Die Hand vor den Mund
Und greife dann zur Fonduegabel
Ich lese von
Demonstrationen
Bin aber schon ein bisschen müde
Ich döse ein wenig in einem Kinosessel
Mitten in meiner Stadt
Meinem Monbijou
Während in einer nicht allzu weit entfernten Stadt
Die Filmrollen explodieren

Ich kann nicht über den Krieg schreiben
Ich plane meinen sweet thirty in Montreux
Und einen Weekendtrip nach Paris
Drinks in Basel und St. Louis
Die Zeit vergeht wie im Flug während draussen
Die Bomben knallen

Ich kann nicht nicht über den Krieg schreiben
In meinem Kopf Geschrei
Und in meinen Beinen
Ich drehe Runden wie ein geschlagener Hund
Alles was ich denke
Alles unter der Sonne
Und dem blauen Himmel

Ich kann nicht nicht über den Krieg schreiben
Nie würde ich für mein Land kämpfen
Nie würde ich für ein Land sterben
Ich würde Abrüstung schreien
Ich kenne
Ich will
Stabilität

Ich kann nicht über den Krieg schreiben
Und ich kann nicht nicht über den Krieg schreiben
Live Ticker und Panikattacken
Was heisst Neutralität
Es heisst Grau wo normalerweise Farbstufen wären
Emmanuel Macron telefoniert
Schon wieder?
Ich wasche mein Gesicht
wie jeden verdammten Morgen

Stefan Veiths Restaurant Gargantua: Neujahrsmenu für 2022

Gargantua serviert heute

Josefa Tabernagels Future Dish aus dem Jahre 1880,
welches sie damals bereits aus dem outer space hinterm Mond einigen dort lebenden Dinosauriern zu Neujahr servierte

Windradgeschnetzeltes oder Cyberfilet vom Ahornfisch
im selben Sud 3 Tage lang gebadet (Ahorndrosselschleim, oder Narzissenschnaps, Weinerliche Pferdetränen), von einem Öko-Narzisten angerührt und in unglücklicher Tönnieskuhbutter gesäuert.
Gersten/Emmausnudeln mit Semmelbrösel, dazu einen Dahammerden-Salat

Zum Nachtisch reichen wir einen zwetschgenverschnapsten Adamsapfel plus geeister Veganersahne (egal ob Hafer oder Koko-Lores)

Dazu trinken wir einen kalten Kaffee aus Grönland.

Wohl bekomms!

Benjamin Weissinger: Parlamentsmoët

Statt 1 Parlamentspoet
brauchts hier 1 Parlamentsmoët
Genommen von den Reichen,
eingeschenkt den Armen- als Zeichen.
Dann Wohnung für alle,
Grundeinkommen.
Grenzen auf und Bleiberecht.
Dazu Kaviar vom Hecht Stör.

Lea Schlenker: Aprikosenmänner

Ich lebe
Ich wohne in einem Kino
Lach nicht
Von Xanadu und Rosebud
Und wehende Blätter in lautloser Perfektion
Fülle ich meine Einkaufstaschen 
Mit königsblauem Samt
Cinema
Für zwölf Franken
Und einer Videothek
In der ich alte Männer in verlorener Manier antraf
Hey ihr Aprikosenmänner
Jetzt kommt die Zeit
In der sich für euch alles ändert
Im Cinema
Meinem Zuhause
Nahm ich Platz auf staubigen Sitzen mit Butterflecken
Mein Vater war Ticketkontrolleur
Und meine Mutter das Stunt-Double von Grace Kelly
Immer nur Tee ist doch langweilig
Ich möchte ausnahmsweise mal Cherry Coke trinken
Und in Hollywood sein

Ich wurde geboren auf einer Filmrolle
Und werde auf meiner Schreibmaschine sterben
Mit Greenwood in den Ohren und dem Gedanken
Dass der Bundesrat hätte schneller reagieren können
Fuck 2021
Oder  – 

Oder wir heiraten
Tanzen auf dem Tisch
An den Schuhen matschige Bananen
Bis wir umfallen und uns das Genick brechen

Ich rufe an 
Aus meinem Kino
Versprochen
Sobald ich einen Ort gefunden habe
An dem ich Empfang habe

Lutz Senneberg: Die Orgel

Ich bin der Nebel,
Du bist der Giebel,
Ich Spiele am Hebel,
Du liest in der Fibel.

Ich zupf an der Leier
Du drehst an der Orgel,
Machst Suppe aus Eier,
Ich dünste nen Geier.

Du machst täglich Sport,
Ich bewege mich kaum,
wechselst ständig den Ort,
ich bleibe im Raum.

Auf Orgel gibt es keinen Reim,
Das les ich jetzt als Zeichen:
Denn unsere Liebe soll nicht sein,
Muss deiner Orgel weichen.

Hanne Mausfeld: mit weitblick

wegbeamen 
unnötig
in wärme lüfteln und
in wilden wolkenwelten
voller kumulus 
wann immer wellen schlagen
liebend auf schaumkronen tanzen
auf himmelspferden gallopieren
im eigenen Kämmerchen
wohlwollend 
auch zum selbst 
das geistige lotterbett 
nicht besudeln oder
maßstab
sein lassen 
für blaue Stunden
wer weiß wo