Matt S. Fußbein Bakausky: Angst und Schrecken in Nürnberg

Scheiß langhaarige Hippies, sagte der Glatzkopf zu den Menschen mit kurz geschnittenen Haaren. Ich hatte mal ein Harem. Dieser brachte mich weiter, doch irgendwann habe ich ihn verloren, als der eigene Geburtstag anstand. Dann wollte jede Person im Harem mit mir Feiern und leider war das nicht möglich. Und der Harem löste sich auf. Das war sehr schade. Eine schlimme Zeit für mein Ego. Aber hier geht es nicht um den Harem. Hier geht es wie immer um mich. Der größenwahnsinnige Lügner und Hochstapler: Peter Fußbein. Ich bin Peter Fußbein. Und ich lüge dir die Welt, widde, widde, wie sie mir gefällt.

Jesus oder sein Bestseller sagte: Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen. Halt stopp, das war ja mein enge Freund Moses, der Dritte. Äh, Erste. Ich war heute in Nürnberg unterwegs und habe dabei Rotz und Wasser vom Himmel fließen sehen. Aber und jetzt kommt das entscheidende: Es geht heute ausschließlich um Medizin.

Meine Medizin ist im Moment das Getränk des Tages. Ich habe es bei meinen Brüdern gekauft. Sie haben gesagt: Bis morgen und ja, ich habe Lust sie morgen zu besuchen und einen Dönerteller zu kaufen. Bevor ich zu meinen Brüdern ging, war da ein oder zwei Menschen aus Kroatien. Deren Medizin war es, Gras zu rauchen. Sie fragten mich mindestens 10000 Mal, ob ich ihnen etwas verkaufen könnte. Und erzählten, dass sie mir dafür eine Million Euro geben würden.

Ich hatte leider weder die Muse noch die Ware im Angebot. Auch das Scheinbündel machte mir keine Lust darauf, ihnen weiterzuhelfen. Ich konnte ihnen einfach nicht helfen, nahm sie jedoch in mein Gebet auf, dass sie finden würden, was sie brauchen. In München, so sagten sie, würde ihnen jeder Ganja verkaufen. Aber in Nürnberg haben sie 20 Leute gefragt und keiner hatte etwas im Angebot. Dann waren sie noch an Wohnungspreisen interessiert. Ich erzählte ihnen, wie viel ich für meine Wohnung zahle. Und in München, da wo der Kerl lebte, wäre es teurer. Das kann ich mir vorstellen. Jedoch zahlt sein Arbeitgeber die Wohnung. Das klingt doch nach einer guten Medizin, wenn man nicht selbst zahlen muss für das Nötige. Anderseits macht das einen ja abhängig. Hahaha.

Medizin ist das Thema und dazu kann ich nichts sagen, da ich ja kein Arzt bin. Aber ich kenne Ärzte, die für mich arbeiten. Ich bin groß im Geschäft und das nicht nur auf der Toilette. Es gibt Menschen, die für mich ein Medizinstudium abschließen, auch wenn es viel Zeit kostet und mir ihre Dienste zur Verfügung stellen. Jajaja, ich bin der Peter Handbein oder so ähnlich. Fragen sie mich nicht, wie ich heiße, ich weiß es nicht. Peter Handbeins oder Beinhands oder Bein Hans Peter äh Medizin ist der Größenwahn. Immer schön groß bleiben. Denn in eine kleine Wohnung passt nicht jeder. Das müssen sie wissen.

Manch eines Medizin ist es eine größere Wohnung zu haben. Und vielleicht wäre das auch meine. Doch ich möchte sie aus guter Quelle bekommen. Ich habe die große Wohnung nicht nur erwähnt, sondern auch erfunden. Medizin ist die Beste Medizin. Lassen sie mich Arzt, ich bin Lauch. Lauch aber mit dicken Bauch, anders geht es nicht. Mein Arzt ähem Therapeut will das ich abnehme. Das geht doch gar nicht in die Einkaufstüte.

Die richtige Medizin zum Abnehmen wäre vielleicht das Adipositas-Programm einer Online-Apotheke: Einfach weniger Essen und mehr bewegen und das macht dann 5000 Euro im Monat bitte.

Und was hat das mit Nürnberg zu tun? Ich bin dort geboren, ich bin Hans Peter Handbein. Der große Gabelstapler. Ich staple hoch, denn anders geht es nicht. Und dann kommt die kleine Oma nicht an das Katzenfutter. Katzen sind die beste Medizin. Ich liebe Katzen. Katzen. Katzen. Katzen. Katzen. So schön und so lieb. Keine Angst, kein Schrecken, nur Katzen. Dafür wurde das Internet gemacht.

blumenleere: are we our destinies?



ob aurora borealis oder borreliose, eine frage des lichteinfalls, dessen schimmer sich auf deiner haut niedersetze, das konzept ihrer membran benetze & bald hindurch dringe, bis zum verarbeitungszentrum hirn, wo alle daten kopulieren & wundersame kinderchen hervorbringen. & damit sollst du dann zu leben haben, irgendwie, im ominoesen spielraum zwischen hypochonder, anhaenger:in sogenannter alternativer heilungsmethoden oder der inzwischen selbst in konventionellen kreisen durchaus hinterfragten bis verpoenten, kaum mittelalten – indes, die wurzeln, die wurzeln … ! – schulmedizin. beziehungsweise spielen wir lieber das psychsosomatische spiel? jedes symptom, mit dem du dich auseinandersetzt, weil es dir nicht gefaellt, sei resultat eines inneren, unverarbeiteten konflikts – feindbild unversoehntes unbewusstes –? & du roedelst dahin, um dich wieder in eine topform zu bringen, die du nie hattest – dreams becoming schemes to try to conceal a past that never was –, & erkennst nicht, wie du schlicht & ergreifend einfach aelter wirst & dein koerper dich, in der konsequenz – yeah, i know it sucks, but that’s life! –, verlaesst, peu à peu. ja, vielleicht schoener, dahingegen, das prinzip salutogenese, ein permanentes oszillieren in einem spektrum, ohne realistische option, je einen seiner absoluten pole zu beruehren –  & fuehlst du dich gesund, bist du es auch, denn sogar, wenn du dich damit komplett verrennen wuerdest, waere, ehe du es bemerken koenntest, dein tod eh vorher schon da; à la hallo!

Welt ohne Gesicht

Spätnachmittag, ein spärlich besuchtes Cafè. Ein Gast kommt von der Toilette zurück, setzt sich auf seinen Platz und bedankt sich mit einem freundlichen Nicken bei dem Menschen am Nebentisch.  

gast

So. Danke. Bin wieder da.

Er greift zu seiner Tasche. Der Mensch am Nebentisch schlägt ihm geschwinde auf die Finger. 

aufpasser

Finger weg von der Tasche!

gast

Wie bitte? 

aufpasser

Der Besitzer hat mich gebeten, auf die Tasche aufzupassen, bis er wieder da ist. Er hat wohl mit solchen Langfingern wie Ihnen gerechnet! 

gast

Ich war das! Ich habe Sie gebeten.

aufpasser

Ihr Gesicht ist mir unbekannt.

gast

Mein Gott! Ich war doch gerade mal drei Minuten auf dem Klo!  

aufpasser

Sie stehlen also nicht nur fremde Taschen. Sie machen sich auch noch über meine Krankheit lustig.

gast

Welche Krankheit bitte?

aufpasser

Prosopagnosie natürlich. Laien sagen Gesichtsblindheit dazu. Ich bin unfähig, die Teile eines Gesichtes zu einem wiedererkennbaren Gesamtbild zusammenzufügen.

gast

So was gibt es doch gar nicht. 

aufpasser

Nur weil Ihnen Allgemeinbildung fehlt, leide ich nicht weniger darunter. Wissen Sie, wie das ist, sich sein ganzes Leben kein einziges Gesicht merken zu können? Weder Ihres noch das eines geliebten Menschen? Wissen Sie, wie das ist? WISSEN SIE DAS?

gast

Warum haben Sie mir das denn nicht vorher gesagt?  

aufpasser

Können Sie sich vielleicht vorstellen, dass ich nicht dauernd über meine Krankheit reden will? – Finger weg von der Tasche!

Er schlägt dem Gast wieder auf die Finger. 

gast

Das gibt es doch nicht! Wir haben doch jetzt gerade geklärt, warum sie mich nicht wiedererkennen.

aufpasser

Wir haben geklärt, dass Sie der Besitzer der Tasche sein KÖNNTEN. Nicht, dass Sie es auf jeden Fall sind.

gast

Natürlich bin ich es!

aufpasser

Oder ein besonders dreister Dieb! Es tut mir leid. Aber es ist ja wohl nicht allein meine Schuld, dass ich Sie nicht wiedererkenne. 

gast

Ja, meine vielleicht, oder was? 

aufpasser

Wessen denn sonst? Normalerweise orientiere ich mich immer an Auffälligkeiten, um jemanden wiederzuerkennen. Ein Tick, ein Kleidungsstück, eine Körperhaltung. Aber Sie sind so was von durchschnittlich. An Ihnen ist ja nichts Wiedererkennbares! Aus prosopagnostischer Sicht sind Sie behindertenfeindlich!  

gast

Sie haben doch einen an der Klatsche!

aufpasser

Ich bin nicht verrückt, ich leide lediglich an einer unheilbaren Krankheit. Das ist ein Unterschied. Auch wenn Ihnen dafür die Sensibilität fehlt. Auch wenn Sie Menschen wie mich am liebsten entmündigen würde! Und wegsperren! Und noch Schlimmeres!

gast

Am liebsten hätte ich meine Tasche. Soll ich Ihnen beschrieben, was drin ist?

aufpasser

Das könnten Zufallstreffer sein. Man hat mir diese Tasche anvertraut. Ich nehme diese Verantwortung ernst. 

gast

Doch wohl etwas zu ernst!

aufpasser

Wissen Sie, wohin wir kommen würden, wenn sich der eine nicht mehr auf den anderen verlassen kann? Wissen Sie, wohin wir dann kommen? (düster) Das wäre kein guter Ort.

gast

Also der Tisch neben Ihnen. 

aufpasser

Ist das wieder einer Ihrer Behindertenwitze? 

gast

Ich mache keine…egal. Wie klären wir das jetzt?

aufpasser

Wir müssen wohl warten, bis alle anderen gegangen sind. Wenn kein anderer die Tasche mitnehmen will – und es findet sich auch kein lebloser Körper auf der Toilette, wer weiß, wie weit Sie bei Ihrem Taschendiebstahl gehen – dann muß es wohl doch Ihre sein.

gast

Das sind ja noch fast acht Stunden!

aufpasser

Wenn Sie wirklich im Recht sind, wird die Zeit wie im Flug vergehen.

gast

Na prima. Dann hol ich mir mal was zum Lesen.

Der Gast holt sich eine Zeitung und will sich wieder setzen.

aufpasser

Na! Da sitzt schon jemand! 

Ende.

Zeha Schmidtke: 1.10. Gärtnervater

Der Gemüsehändler fegt den Boden. Die Türglocke klingelt.

Händler
Oh, die Türglocke.

Kunde
Guten Tag. Folgendes: Ich will heute Abend richtig lecker kochen. Wir sind zu fünft. Da hätte ich gerne frischen Rosenkohl, möglichst kleine Köpfchen, und für die Vorspeise sechs mittelgroße Artischocken. 

Händler
Es tut mir leid. 

Kunde
Keine Artischocken? 

Händler
Es tut mir leid: So ein Laden, wie Sie ihn suchen, ist das hier nicht.

Kunde
Wieso? Draußen steht doch „Gemüsehandlung“. Und ich will Gemüse.

Händler
Nein. Sie wollen arrogantes Modegrünzeug. Und das gibt es hier nicht.

Kunde
Das ist ein Scherz.

Händler
Ein Scherz ist es, wie sich Ihre Artischocke benimmt, seitdem sie zur Arzneipflanze des Jahres gewählt wurde.

Kunde
Ja, Mensch. Dieses bedeutende gesellschaftliche Ereignis ist komplett an mir vorbeigerauscht.

Händler
Wie sich die Artischocke seitdem zum floristischen Dekorationselement aufbläst! Sich als Diätmittel und Wellness-Tee den Snobs und Neureichen an den Hals wirft! Dabei ist sie im Grunde ihres Artischockenherzens nichts anderes als ein Distelgewächs! 

Kunde
Aber Rosenkohl werden Sie doch haben.

Händler
Warum nicht gleich Königin-Der-Nacht-Kohl? Wie dekadent muss eine Pflanze sein, um einen zyklischen Blütenaufbau auszubilden!? 

Kunde
Das fragen Sie am besten den Rosenkohl selbst.

Händler
Ich frage aber Sie! Der Rosenkohl wächst bedecktsamig. Er schämt sich seiner Samen! Meinen Sie auch, man müsse sich seiner Natur schämen? 

Kunde
Nee, da gehen der Rosenkohl und ich getrennte Wege. Apropos gehen.

Händler
Dann ist ja alles klar. Hier, bitte. 

Er präsentiert dem Kunden ein paar welke Blätter schmutziges Grün. 

Kunde
Was ist das jetzt?

Händler
Ehrlicher, nahrhafter Baumspinat. Er hat sich nie in den Vordergrund gedrängt. Ein Model in diesen Schicki-Micki-Kochzeitschriften wollte er nie werden. Er bleibt bescheiden und tut seine Arbeit.

Kunde
Sieht ja schon auch aus wie Unkraut.

Händler
Kommt es denn heute wirklich nur auf das Aussehen an? Sagen Sie mir: Zählen die inneren Werte noch etwas?

Kunde
Doch, natürlich! Wie ist er denn so von innen, der Kollege Baumspinat?

Händler
Er hat ein violettes Herz. Violett ist die Farbe der Frömmigkeit und der Kunst! Wegen diesem kleinen Kerl mache ich das Ganze hier überhaupt nur. Ich bin froh, dass er in Ihre Hände kommt. Für 12,70. 

Kunde
Ja, ich bin auch froh. Dass ich jetzt nach Hause geh. Mit ihm.

Der Kunde zahlt und verlässt den Laden.

Händler
Hörst Du mich, Vater? Hast Du mir nicht immer gesagt, ich würde nie zum Gemüsehändler taugen? Ich kann sogar Unkraut verkaufen, Vater! 12,70 für Unkraut! Und morgen, Vater, verkaufe ich einen Baumstrunk!

Michael Schmidt: Wuiser und Wohnen

So ein Philosoph hat mal gesagt: „Ich denke, also bin ich.“ Und das hat auch gestimmt, weil wie wir heute wissen, hat’s ihn tatsächlich gegeben, diesen Philosophen. Allerdings müsst man heut viel eher sagen: „Ich wohne, also bin ich.“ Weil ohne das Wohnen ist alles nichts. Zumindest nichts Gescheites. Und damit man heut überhaupt noch wohnen kann oder zum Wohnen kommt, gehört sich schon was dazu. Die Frau Drangsaler von drüben zum Beispiel, die hat aus ihrer Wohnung raus müssen, weil die einen Eigenbedarf gehabt haben. Der Bub von denen hat nämlich endlich sein Jura-Examen bestanden gehabt, ausgerechnet im Mietrecht, und hat deswegen unbedingt eine erste Kanzlei gebraucht, dort, wo die Drangsalerin drin gewohnt hat. Da hat sie wegziehen müssen. Wo sie hin ist, das weiß ich nicht. Wahrscheinlich haben sie sie eh gleich ins Altenheim rein. Dass sich die das Wohnen anderweitig nicht mehr anfängt, hat sich eh ein jeder denken können. 

Ein anderer Spruch, der geht so: „My Home is my Castle.“ „Mein Heim ist meine Burg“. Und auch das stimmt! Weil eine Burg muss man verteidigen, sonst wär sie ja keine, sondern bloß ein Haus oder eine Wohnung, je nachdem. Das gilt nicht bloß bei Leuten, die Eigenbedarf anmelden wie Hauseigentümer oder ihre Buben mit Staatsexamen. Wahrhaftig nicht! Derzeit kann man‘s ja wieder laufend in der Zeitung lesen, dass sie da eingebrochen haben oder dort. Und bei uns ja auch! Beim Professor Wuiser zum Beispiel waren schon mehrfach die Einbrecher drin. Letztes Mal auch wieder! In seine Zwölfquadratmeterwohnung, im sechsten Stock oben! Und haben – natürlich – schon wieder nichts Brauchbares gefunden. Nicht einmal im Kühlschrank! Da haben sie den halt einfach ausgestreckt und durch‘s Stiegenhaus runter. Das restliche Zeug haben sie ihm drin gelassen. Weil die Sperrmüllabfuhr sind sie halt auch wieder nicht, hat einer von ihnen noch gesagt. Haben sonst nichts brauchen können. Haben den Kühlschrank dann auf einen alten Peugeot rauf und sind davon. Die waren ganz schön fertig von der Schlepperei. Der eine hat zum anderen Einbrecher sogar noch gesagt, dass er glaubt, dass er sich dabei einen Bruch gehoben hat. Warum ich das nicht gemeldet hab? Ja, denken Sie vielleicht, ich interessiere mich für so was? Außerdem haben sie bei der Frau Nolpinger im Parterre auch noch geläutet, bevor sie wieder weg sind. Haben sogar mit ihr geredet und gesagt: „Also, wir waren ja schon in vielen Wohnungen! Aber das bei dem Professor Wuiser da oben schlägt doch glatt dem Fass den Boden aus! Ihr solltet einmal für den sammeln gehen! Auf Wiederschaun!“ Also, echt! Da könnt die Frau Nolpinger doch auch mal ein Wörtechn sagen, oder? Mich zumindest geht das nichts an. Mich geht überhaupt gar nichts was an! Oder wollen Sie, dass man mir nachsagt, ich spionier? Der Herr Wuiser hat doch eh nichts in dem Kühlschrank drin gehabt. Bis auf eine abgelaufene Packung Milch, eine H-Vollmilch. Und die war noch von 2011.“

Margret Bernreuther: Die 69.-€-Platte

„Du hast gerade 69€ für eine Platte ausgegeben? Also, nicht mal eine Platte, sondern eine Single, weil es geht ja nur um dieses eine Lied? Ich dachte, du musst ein bisschen auf dein Geld aufpassen? Wegen Corona, ich mein harte Zeiten. Was ist denn mit dem Lied? Spiel mal vor! Ja schick mir den Link! Also, ich weiß ja nicht, das ist jetzt finde ich kein Wocheneinkauf wert. Also. Da würde ich den Kindern doch vielleicht das nächste Mal lieber sowas wie neue Sandalen kaufen. Ich mein, der Sommer hat ja gerade erst angefangen. Und deine Stereoanlage ist doch eh voll im Arsch. Du kannst also noch nicht mal ordentlich aufdrehen daheim. Ja, schön wenn deine Nachbarn da nicht so traurig drüber sind. Ich kapier einfach nicht warum du das Lied nicht einfach streamst, du hast mir doch den Link geschickt. Also für mich ist das raus geschmissenes Geld. Ich würde das Ding zurückschicken. Ja sag mal, wie sieht das denn schon wieder aus. Du hast die noch keine 24 Stunden und dann sieht die Platte so aus. Also Mint kannst du knicken. Die wirst du noch nicht mal mehr als very good los. Warum willst du sie denn überhaupt nicht zurück schicken? Ja erzähl mal von deinem Plan. Deswegen hast du die Platte gekauft? Kann ich dir gleich sagen, klappt nicht. Das hat doch noch nie geklappt. Ich mein wäre ja was anderes, wenn du dir das Lied selber drauf schaffst und es auf der Bühne oder unter seinem Fenster performest. Das wäre ein Zeichen, aber so. Wie soll der das denn schnallen. Und dass du ihn meinst.
Du hast jetzt 69 Euro ausgegeben, weil du dir ernsthaft ausmalst das du bei der nächsten Gelegenheit das Lied auf den Plattenteller legst und wie durch Zauberhand weis der sofort ALLES?
Meine Güte bist du bescheuert. Und was machst du, wenn er nicht kommt? Immer einpacken?
Und dann weiß ich schon wie das Ding in ein paar Wochen aussieht. Wieso passt du denn eigentlich nicht besser auf deine Platten auf. Hier zum Beispiel, sowas ist echt traurig zu sehen.
Aber viel trauriger ist, das du immer denkst, dass es irgendjemanden interessiert.
Ja, sorry, das war jetzt hart. Aber du musst echt an dir arbeiten. Also wirklich an allem. Du kannst doch so nicht weiter machen. Machst du denn auch mal was für dich? Also, mal Yoga oder ein ausgiebiges Bad. Stimmt schon, Musik hören ist schon was für dich selber, aber nicht, wenn du die ganze Zeit drüber nachdenkst wie du andere damit beeindrucken kannst. Dann ist das ja wohl weniger, was du für dich machst. Wenn du Lieder für andere aussuchst.
Hast du halt nicht gelernt. Mal bei dir zu bleiben. Ich mach dir keinen Vorwurf. Ich sag nur, das ist mal, was du angehen solltest.“. 

Michael Schmidt: Wuiser und das Sammeln

„Wer Sachen sammelt, hat es in der Pandemie leichter gehabt. Meine Nachbarin zum Beispiel sammelt alte Bügeleisen. Ja, alte Bügeleisen! Die hat sie über die ganzen Jahre zusammengetragen und während dem Lockdown, da… ja, da hat sie… Naja, da wird sie sich den ganzen Haufen halt angeschaut haben. Da hat sie was zum Anschauen gehabt mit ihren Bügeleisen da. Zumindest ist ihr nicht langweilig geworden, während dem Lockdown, hat sie gesagt, weil sie ihre Bügeleisen hat. Und der Cousin von meinem Mann, der sammelt auch. Der sammelt alte Unterlagen über Baustellen von der Bahn. Damit er am Ende von seinem Leben der Bahn mal vorlegen kann, wo seine Lebtag lang all ihre Züge stecken geblieben sind, sagt er. Aber das spricht schon zwei andere Sachen an vom Sammeln: Erstens kann man davon fanatisch werden. Und dann noch die Geschichte mit dem Platz. Wo tut man die ganzen Dinge bloß hin? Ein Kollege von mir zum Beispiel. Bei dem waren wir einmal spontan in seiner Wohnung, weil wir ihn zum Geburtstag haben überraschen wollen. Und wie wir mit der Überraschung so reinkommen, tja, da waren wir selber ganz überrascht. Als wenn eine Bombe eingeschlagen hätt dort! Alles voll mit Bücher vollgestopft! Bis unter die Decke! Da muss sich schon der Boden durchgebogen haben in dem unten seine Bude rein. Und zwischen den Bergen von den Büchern hat er sich grad ein, zwei Weglein freigeschaufelt gehabt. Und wie wir mit der Überraschung zu ihm reintun, sitzt er ganz hinten in der Ecke – da hat er grad noch ein Tischlein eingezwickt gehabt – sitzt er ganz, ganz hinten in der Ecke unter einer Funzel und im Unterhemd und schneidet sich ein Brot runter, weil er ansonsten nichts mehr zum Beißen und zum Anziehen gehabt hat! Freilich, einen Anzug für die Arbeit hat er schon noch gehabt. Darum wären wir auch sonst nie draufgekommen, dass er so arm und so fanatisch ist und privat nichts anderes kennt wie das Sammeln von seinen Büchern da. Herrgott, was die Leut nicht alles sammeln! Der Professor Wuiser bei uns im Haus ja auch. Und der hat auch gesagt, dass ihm seine Sammlung die Pandemie erleichtert hat. Bloß WAS der sammelt, das weiß bis heute noch kein Mensch. Nur, dass er sich für seine Sammlung ein zweites Kellerabteil bei uns zugelegt hat. An der ersten Tür hat er ja ein Schild mit der Aufschrift „Geheimarchiv Wuiser – Professor und Akademiker in Rente“ hängen. Aber drin ist da nix. So viel wissen wir. Weiß das ganze Haus bei uns. Das ist nur eine Attrappe für die Einbrecher, und das weiß auch ein jeder. Nein, die eigentliche Sammlung vom Herrn Wuiser ist ja in seinem zweiten Kellerabteil drin. Und das muss riesig sein! Aber da hängt eben ein anderes Schild, mit der Aufschrift „Vorsicht Starkstrom“. Und dass das keine Attrappe ist, haben wir da gemerkt, wie es letztings bei uns wieder einen Einbrecher gegrillt hat. Schon den zweiten diesen Monat. Hat gar nicht schön ausgeschaut, das Ganze! Aber probieren tun sie’s halt allweil wieder, obwohl ich ihnen sogar einen Zettel ins Stiegenhaus gehängt hab: „Von Einbruch ist dringend abzusehen!“ Hilft aber nichts. Darum hat der Professor Wuiser auch den Starkstrom nochmal um eins hochgedreht. Sicherheitshalber halt. Aber mit seiner Sammlung, sagt er, ist er gut über die Pandemie gekommen. Was? Die Einbrecher? Ja, die nicht. Kann ich mir nicht vorstellen. Auf gar keinen Fall, bei der Rauchwolke. Und bei dem Gestank! Das hat bis zu uns in die Wohnung rauf gestunken. Sagen wir allweil noch zu unserem Enkel: Pass auf, wenn’s so derb stinkt, dann hat’s grad vom Professor Wuiser einen Einbrecher erwischt. Da brauchst dir nichts groß dabei denken.“

Margit Heumann – Grünes Freud und Leid

Mit dem Umzug aufs Land hatte ich plötzlich einen Garten, der bisher von der Mitbewohnerin akkurat bebaut worden war. Sie war froh, nur noch die Hälfte zu haben, und ich freute mich darauf, ökologisch wertvolles Gemüse und ein paar Blumen selbst zu züchten.

Im März konnte ich es kaum erwarten, mit dem Pflanzen zu beginnen. Ich teilte die Beete ein, ziemlich provisorisch, aber darauf kam es nicht an, dann zog ich eine Furche mit dem Hackenstiel und säte oder pflanzte in diese Rinne. Als ich fertig war, betrachtete ich zufrieden mein Werk. Keine Frage, alles war wohl gelungen. Nur im Vergleich mit Frau Langs Hälfte sah es ziemlich laienhaft aus. Ihre Beete waren genau rechtwinkelig, die Setzlinge in einer schnurgeraden Reihe mit genau gleichem Abstand. Später fand ich heraus, wie sie das machte: Sie hatte einen Meterstab für die Anlage dabei, sie spannte Schnüre für gerade Rinnen, sie hatte ein Stöckchen als Abstandsmaß zwischen den Pflanzen. Damit konnte ich nicht konkurrieren.

Mit dem Frühling begann auch die Saison in meinem Reitbetrieb. Zäune waren zu reparieren, Stuten kamen zum Decken, die Reitschüler wollten Unterricht und die Berittpferde Ausbildung. Der Garten geriet ins Hintertreffen. Oft saß ich bis spät abends auf dem Pferd, vergaß das Gießen oder hatte einfach keine Lust mehr. Zum Ausgleich stand ich dann mal wieder eine halbe Stunde mit dem Gartenschlauch da und ertränkte alles. Zum Jäten kam ich nur alle heiligen Zeiten, und wenn noch ein mehrtägiges Turnier oder eine Reitwoche auswärts dazu kam, schoss das Unkraut in die Höhe, dass es über den Nutzpflanzen zusammenschlug. Der Unterschied zu Frau Langs Hälfte wurde noch offensichtlicher: Bei ihr wurde kein Unkräutchen höher als zwei Zentimeter, bei ihr wurde zur richtigen Tageszeit und ganz gezielt mit der Gießkanne jedes einzelne Pflänzchen befeuchtet. Der Anblick ihres gepflegten Gartens deprimierte mich schrecklich.

Manche Pflanzen waren so robust, dass sie meine Pflegeattacken ziemlich unbeschadet überstanden. Die Zeit der Ernte kam. Über Wochen ernährten wir uns von verlaustem Salat, wurmigen Radieschen und winzigen Erdbeeren. Erntezeit schien nicht kompatibel mit Reitbetrieb, die Bohnen waren reif, als ich das Vereinsturnier vorbereitete, die Tomaten während einer dreiwöchigen Fortbildung, und ehe ich es bemerkte, war der Blumenkohl von Raupen zerfressen. Frau Lang dagegen ging jeden zweiten Tag ihr Gemüse durch und erntete die reifen Früchte, und der Blumenkohl wurde mit großen Blättern abgedeckt, sobald die ersten Kohlweißlinge auftauchten.

Ich war richtig erleichtert, als ich im Herbst den Garten leer räumen konnte. Nächstes Jahr, das nahm ich mir fest vor, sollte es anders laufen. Tat es natürlich nicht, und nach ein paar erfolglosen Versuchsreihen stellte ich den Gemüseanbau ganz ein und säte Grassamen aus. Ein Rasen war pflegeleichter, vor allem deswegen, weil ich meinem Mann das Mähen aufs Auge drücken konnte.

Zeha Schmidtke – Unkenrufe

Nachts in der Gartenkolonie. Grillen zirpen. Ein paar wirklich laute Unken dominieren die Stimmung. Ein später Spaziergänger wird auf seinem Gang durch die Gemeinde von einem Nachbarn angesprochen.

nachbar

Nabend.

spaziergänger

Guten Abend.

nachbar

Na? Können Sie auch nicht schlafen bei dem Lärm, ne? Wissen Sie, was das ist? Wissen Sie, was das ist? Das ist vom Nachbarn hier.

spaziergänger

Ach.

nachbar

Ich sag immer: Gartenteich ist ne schöne Sache. Gartenteich haben wir alle. Aber das reicht dem Nachbarn ja nicht, er muß ja immer ne Extrawurst haben. „Gartenteich haben sie alle“, hat er sich wahrscheinlich gedacht: „Ich brauch was spezielles.“ Manche ticken ja so.

spaziergänger

Ja, ja.

nachbar

Er brauchte was Exklusives. Diese fetten Frösche. Aus dem Import. Solche Kawenzmänner sind das! Und das geht jetzt hier die ganze Nacht.

spaziergänger

Ach, so.

nachbar

Tun Sie mir doch mal einen Gefallen. Ich hab bisschen Probleme mit den Gelenken. Können Sie mal hier…einmal hier kurz drücken.

spaziergänger

Hier?

nachbar

Ja, ja.

Der Spaziergänger drückt auf den Knopf. Eine Explosion zerreißt die Nacht. Die Unken unken nicht mehr.

Der Nachbar lacht sich kaputt.

nachbar

Da fliegen sie! Die fetten Frösche!

Der Froschgarten brennt. Ein paar Planken fallen zu Boden.

nachbar

Jetzt sind sie ruhig. Die haben Sie wirklich sauber ruhig gekriegt.

Aus der Ferne: herannahende Sirenen: Polizei und Feuerwehr.

spaziergänger

Wieso ich?

nachbar

Ich muss dann mal los. Ihnen alles Gute!

Die Sirenen kommen näher.

Ende.