Matt S. Bakausky: Spiel, Satz und…

Meine Mutter nahm einen Zug von ihrer Movie, aschte ab und sagte „Vom nächtelangen Zocken vor dem TV bekommst du noch viereckige Augen!“
Ich hielt das zu diesem Zeitpunkt noch für einen dummen Spruch. Ich betrachtete meinen Augen dennoch vorsichtshalber von nun an intensiv beim morgendlichen Zähneputzen im Spiegel – war nicht schon eine winzige kleine Vereckung wahrnehmbar?
Ich zweifelte immer noch an dieser Behauptung, hielt sie für einen mütterlichen Satz zu Erziehung, in der selben Liga wie „Wenn du eine Grimasse schneidest, bleibt dein Gesicht so“, „Wenn du deinen Teller nicht auf isst, regnet es morgen“ oder „Rauchen ist tödlich“.

Zwanzig Jahre und viele Konsolengenerationen später traue ich mich tagsüber nur noch mit Sonnenbrille aus dem Haus – denn sonst zeigen die Kinder mit ihren kleinen Fingern auf mich und sagen zu ihren Müttern: „Guck mal Mama, der Mann hat aber komische Augen“.
Zähneputzen um Zähneputzen konnte ich die fortschreitende Vereckung meiner Augen betrachten. Bis ich irgendwann alle Spiegel abgehängt habe.
Ein Augenarzt inspizierte meine Augen ungläubig: „Interessante Deformierung der Augäpfel“. Er stellte Fragen und schlug mir letztendlich vor meine Augen für die Wissenschaft zur Verfügung zu stellen – nach meinem Tod selbstverständlich.

Frauen gab es in meinem Leben neben meiner Mutter – im Beziehungssinne – nur kurzzeitig. Also solange bis sie meine Augen sahen.
Meine Mutter nahm einen Zug von ihrer Movie, aschte ab und sagte: „Wahre Schönheit kommt von Innen.“ Einen Satz den man zum Aufmuntern sagt, wie „Die ersten werden die letzten sein“, „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“ oder „Nur die Besten sterben jung“. Doch ich war verzweifelt. Naja, außerdem hatten die Sätze meiner Mutter schon sowas Orakelhaftes an sich.

Ich versuchte also meinen Blick für die wahre Schönheit zu schärfen. Da ich nicht wusste was dieses Innen von mir eigentlich ist, besuchte ich einen Psychologen. Dieser behandelte mich wegen meiner Minderwertigkeitskomplexe aufgrund der viereckigen Augen.
Wohl um mich aufzuheitern erzählte mir Dr. Schrank von seinen eigenen Minderwertigkeitsgefühlen aufgrund seines kleinen Geschlechtsteils. Das wollte ich gar nicht wissen. Von nun an trug ich nicht nur eine Sonnenbrille, sondern polsterte meine Hose aus, wenn ich das Haus verließ.

Mir war nun bewusst, dass viereckige Augen nicht das einzige körperliche Manko von mir war. Meine Mutter nahm einen Zug von ihrer Movie, aschte ab und sagte: „Es kommt nicht auf die Größe des Werkzeugs an, sondern darauf wie man es bedient!“ „Woher zur Hölle willst du das wissen?!“, fauchte ich sie an.
Sie wurde still und wir redeten wochenlang nicht mehr miteinander.

Dann bekam ich einen Brief von ihr. Sie schrieb sie wäre beim Arzt gewesen. Weil sie Blut hustete. Krebs in der Lunge. Wenige Wochen zu leben. Tränen kullerten aus den Ecken meiner Augen.
Ich verbrachte die nächsten Wochen bei meiner Mutter im Krankenhaus, zockte immer seltener. Bis ich irgendwann die Konsole gar nicht mehr startete.

Dann Nachts wurde ich vom Telefonklingeln geweckt. Ich solle ins Krankenhaus kommen. Als ich im Taxi saß merkte ich bei einem sporadischen Blick in den Rückspiegel, dass ich in der Eile meine Sonnenbrille vergessen hatte. Ich verdeckte schnell panisch meine Augen. „Alles gut bei Ihnen?“, fragte mich die Fahrerin.
Ich schob die Hände beiseite und schaute in meinen ausgepolsterten Schoß. Als ich aus Versehen wieder in den Spiegel schaute traute ich meinen Augen nicht. Sie sahen irgendwie normal aus.

Im Krankenhaus lag meine Mutter im Sterben. Als sie die Augen öffnete sah sie in meine nicht mehr eckigen Augen und lächelte. Sie nahm einen letzten Atemzug und sagte: „Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende“.

Matt S. Bakausky: Déjà-Vu Forever

Als ich Abends nach Hause kam, fand ich einen dicken Umschlag im Briefkasten. Ohne Absenderadresse, jedoch mit Briefmarke und Stempel aus Hong Kong. In der Wohnung angekommen öffnete ich den Brief und fand darin ein kleines Fläschchen. Es war verpackt in dieser Folie mit diesen Aufplopp-Noppen. Die Flasche sah irgendwie billig aus, als wäre sie leicht zerbrechlich. Doppelt bedruckt mit dem Namen „Deja vu Forever“. Ich hatte vor kurzem in einem Onlineshop diese Flüssigkeit bestellt. Oben an der Flasche angebracht war ein Deckel mit einem Zerstäuber. Der Marketing-Text war knapp und doch aussagekräftig. „Deja vu Forever is a parfume for experiencing deja vus a lot a lot a lot…“.
Ein Deja Vu ist wahrscheinlich eine Gedächtnisstörung. Dabei kommt es einem so vor, als hätte man etwas schon mal gesehen oder erlebt. Dieses Wundermittel soll chemische Substanzen enthalten, die jene Störung öfters hervorrufen. Vorausgesetzt man verwendet es wie ein Parfüm. Ich stellte das Fläschen ins Bad, um das Parfüm am morgigen Tag auszuprobieren. Am nächsten morgen wurde ich vom Wecker aus der Traumwelt gerissen. Ich ging ins Bad, um die Zähne zu putzen. Als ich nach der Zahnbürste griff, schmiss ich beinahe das Fläschchen mit dem „Deja vu Forever“ um. „Ob es die gewünschte Wirkung haben wird?“, fragte ich mich.
Nach dem Duschen war es soweit. Ich besprühte meinen Hals drei mal mit dem Parfüm. Es roch nach einer Mischung aus Rose und diesem chemischen Geruch von Neuwagen. Ich war bereit für das erste Deja Vu, musste mich jedoch auch fertig machen für die Arbeit. Auf dem Weg zur Arbeit hörte ich ein Lied im Radio, das ich schon zu kennen schien – ich wusste nur nicht woher. Da fiel mir der „Deja vu Forever“ ein. War das schon ein erstes „Deja vu“?
In der Arbeit begrüßte mich eine Frau. Diese Situation kam mir bekannt vor. „Es geht los…“, dachte ich mir. Es folgten zig Deja vus. Es war ein konstanter Zustand von bereits erlebten Dingen. Mein Chef kam an meinen Arbeitsplatz und fragte nach den TPS-Reports. Die Situation kannte ich irgendwoher. Mittagessen vom Asiaten bestellen, kenne ich schon irgendwoher. Überstunden bis zum späten Abend, kenne ich schon irgendwoher. Den Bus verpassen, kenne ich schon. Endlich zu Hause ankommen, nichts im Kühlschrank haben, kenne ich schon irgendwoher. Im Internet was von einem Lieferservice bestellen, kenne ich schon. Pizza kalt und verbrannt: bekannt. Sich in den Schlaf weinen und sich auf die Traumwelt freuen: bekannt.
Am nächsten Morgen wurde ich vom Wecker aus der Traumwelt gerissen – das kannte ich schon. Ich ging ins Bad, um die Zähne zu putzen – jaja, kenn ich. Als ich nach der Zahnbürste griff, schmiss ich beinahe das Fläschchen mit dem „Deja vu Forever“ um – noch ein Dejavu! „Ob es die gewünschte Wirkung haben wird?“, fragte ich mich – nicht zum ersten Mal. Nach dem Duschen war es soweit. Ich besprühte meinen Hals drei mal mit dem Parfüm – wie oft denn noch? Es roch nach einer Mischung aus Rose und diesem chemischen Geruch von Neuwagen – seltsames Gefühl, den Geruch zu kennen. Ich war bereit für das erste Deja Vu, musste mich jedoch auch fertig machen für die Arbeit.
Auf dem Weg zur Arbeit hörte ich ein Lied im Radio, das ich schon zu kennen schien – ich wusste nur nicht woher. Da fiel mir der „Deja vu Forever“ ein. War das schon ein erstes „Deja vu“? In der Arbeit begrüßte mich eine Frau. Diese Situation kam mir bekannt vor. „Es geht los…“, dachte ich mir. Es folgten zig Deja vus. Es war ein konstanter Zustand von bereits erlebten Dingen. Mein Chef kam an meinen Arbeitsplatz und fragte nach den TPS-Reports. Die Situation kannte ich irgendwoher. Mittagessen vom Asiaten bestellen, kenne ich schon irgendwoher. Überstunden bis zum späten Abend, kenne ich schon irgendwoher. Den Bus verpassen, kenne ich schon. Endlich zu Hause ankommen, nichts im Kühlschrank haben, kenne ich schon irgendwoher. Im Internet was von einem Lieferservice bestellen, kenne ich schon. Pizza kalt und verbrannt: bekannt. Sich in den Schlaf weinen und sich auf die Traumwelt freuen: bekannt.
Am nächsten Morgen wurde ich vom Wecker aus der Traumwelt gerissen – hab ich schonmal erlebt. „Konnte es sein, dass das ganze Leben ein Deja Vu ist? Seit wievielen Jahren schon?“, fragte ich mich auf dem Weg ins Bad.
Kam mir bekannt vor der Gedanke.