blumenleere: gehenna

denken wir uns doch mal rein, ins alte rom, oder vielleicht besser gleich gen antikes athen …? egal; gewiss duerfte zumindest sein, saemtliche moralischen vorstellungen von richtig & falsch waren damals noch nicht von christlicher scheinheiligkeit verseucht – das heiszt, es gab dementsprechend kein derartig konnotiertes suendenkonzept. & ja, sicherlich, es existierten wohl mehr bis minder konkrete vorstellungen davon, was als extrem verwerflich & damit – indes, wahrscheinlich teilweise eher personenbezogen – geahndet werden musste, allerdings fernab teuflischer versuchungen, unheilbar boeser seelen & des ansatzes, menschen via solch perverse methoden selbst in ihren eigenen waenden & sogar ihren traeumen zu verklaven zu suchen …
& heute? uns vermeintlich aufgeklaerte packt manchmal nach wie vor die furcht, wenn wir laut der kriterien eines widerwillig erfahrenen religionsunterrichts, des demselben zugrundeliegenden idiotischen dogmas & seiner unsere familien infiltrierenden hinterhaeltigen tentakel zu unkeusche gedanken hegen, waehrend wir die sexuellen uebergriffe ihre machtpositionen rigoros ausnutzender priesterhorden zwar murrend, doch hinnehmend, dass taeter maximal versetzt werden, einigermaszen devot akzeptieren, anstatt endlich – die eskapaden der wurzeln des black metal dahingehend formschoen imitierend – alle kirchen & sonstigen insbesondere katholischen unterdrueckungspalaeste endgueltig & irreversibel niederzubrennen & ergo zu eliminieren.

Carsten Stephan: Moralkolumnist Dr. Ehrmüller

Darf man sagen, dass die Kinder nerven?
Darf man schlipslos aufs Familienfest?
Darf man Tante Trudes Kunst verwerfen?
Darf ein Veggie, um nichts wegzuwerfen,
Knabbern einen fetten Eisbeinrest?

So klug fragen Kaufmann und Friseuse,
Das ist es, worum die Welt sich dreht:
Darf man? Ist es gut? Oder doch böse?
Ehrmüller hält in der Zeitung Lese,
Und man hofft und spricht ein Bittgebet.

Darf man über rote Ampeln gehen,
Wenn der Zug fährt und die Zeit verrinnt?
Keineswegs! Denn schnell ist es geschehen,
Schließlich geht man oben nur auf Zehen,
Dass man fällt. Natürlich auf ein Kind!

Darf man Penner aus dem Bahnhof jagen?
Ja! Er ist doch öffentlicher Raum.
Doch es bleibt ein leises Unbehagen:
Darf man denn zu Menschen Penner sagen?
Nein! Denn ohne Achtung geht es kaum.

Darf man mangels Geld für eine Reise
Karten schicken: Gruß aus Sansibar?
Darf man, wenn zu arm für Biopreise,
Fleisch verzehren? Nö! – Und vom Kakao,
Durch den sie einen ziehen, trinken? Klar!

Unser Doktor hegt Gewissensmaden
Und erteilt schon jahrelang Absolution.
Selten spricht er nur von Schurkenstaaten.
Darf man seinen Lebenstraum verraten?
Er in der Weltethikkommission.

Darf man alte Panzer ausrangieren,
Oder wäre das ein Umweltgau?
Darf man auf Raketen Hate Speech schmieren?
Darf man einen schönen Weltkrieg führen,
Wenn so Zeit fehlt für die Ehefrau?

Andii Weber: Mondgesicht

  PUNKT

Er weiß es noch nicht, aber seine Haut hat sich bereits von seinem Körper gelöst und wartet darauf, abgestreift zu werden, damit er endlich wachsen kann, Kreise im Sand ziehen und die Sonne verschlingen. Ein Haarriss im Glas, das Spiegelbild verdoppelt sich, dann ein Sprung, befreit, bereit. Endlich die Logik, die Formel, die Kurven, das alles verstanden. Er streckt seine Arme und Beine aus, schmatzt, und macht sich auf, in die Nacht.

Neulich sah ich eine Meme, das die sich über die Jahre verändernden Designs des Toys-R-Us-Giraffen-Maskottchens „Geoffrey“ zeigt. Alle Darstellungen des Maskottchens waren im klassischen Comicstil gehalten. – Nur unter “2001” wird Geoffrey durch ein gefiltertes Foto einer echten Giraffe dargestellt. 

Das meme behauptet nun in der Unterschrift, es sei unmöglich, Toys-R-Us’ Geschichte zu erzählen, ohne zu erwähnen, dass Geoffrey durch 9/11  für einen kurzen Moment die Unschuld verlor; Einen kurzen Moment gerissen aus der Comicwelt, aus den Versprechungen des ausgehenden Milleniums – ein Glitch in der Matrix, un-heimlicher Realismus. 

Seit der Mitte der Nullerjahre wird Geoffrey wieder zur klassischen Illustration, diesmal allerdings ohne die dicken, schwarzen Outlines, die Geoffrey bis 2001 zusammengehalten hatten. Weg sind die Linien, die Kurven, der Halt. Ein Blick in den Abgrund, wenn man so will. Zeitgenmäße, chice Farbflächen formen jetzt das erbarmungslose Giraffengrinsen.

mit 13 Jahren hatte ich einen eigenartigen existentialistischen Ekel, ausgelöst durch gedruckte, fröhliche Comicfiguren, zum Beispiel auf Lebensmittelverpackungen; Ich kam irgendwie nicht klar mit diesem Lachen, für immer gefroren auf dem Plastik, erbarmungslos den Kontext ignorierend, vollkommen sinnentleerten Frohsinn senden müssend, im Endeffekt nur, um Kinder zum Quengeln zu animieren – oder gar zum Weinen? 

Dieses fassadenhafte Lachen bedeutet für mich vor allem eins: Grausamkeit. Ein fröhlicher Clown in der Lunge einer Schildkröte, ein anthropomorpher Tigerkumpel in einem Autowrack, aus dem verflüssigte Menschen heraustropfen, ein hüpfender Elefant in Turnschuhen und Baseballcap vergilbt von der UV-Strahlung (viel zu hoch allerweil) während es schon lange keine Rüsseltiere mehr gibt. Wie soll man das als Kind ertragen, geschweige denn als Erwachsene:r?

PUNKT

Das mit der Euphorie ist eigentlich recht einfach erklärt. stell dir zwei sinusfunktionen vor: f1(x)=sin(x+ϕ) und f2(x)=sin(x). “ϕ” bezeichnet hier jeweils die verschiebung der ersten kurve auf der x achse. Diese zwei Kurven in deiner Brust schwingen hin und her. Ihre Addition steht für Deine innere Verfasstheit. Je nach der verschiebung ϕ ergeben sich kleinere oder größere amplituden der ewigen auf und abbewegung der beiden rastlosen kurven.

Wenn du aber eine der beiden funktionen exakt um die Kreiszahl π verschiebst, dein ϕ ein π ist, dann heben die beiden Sinuskurven sich in der Addition gegenseitig auf, es kehrt plötzlich eine ungewohnte stille in die kurve ein: frieden, ausgeglichenheit, tröstende ruhe, euphorie obwohl ja deine beiden brustkurven immernoch schwingen, sind die Amplitude und die Frequenz der addierten Kurven in diesem moment 0,.. so einfach ist das. Harmonie. π. Zen.

So, jetzt musst du nur noch herausfinden, wie man das ϕ einstellt und ewiger Euphorie steht nichts im wege.

Einmal zog Archimedes Kreise in den Sand, und dabei nicht gestört zu werden, war ihm wichtiger als sein Leben. 

Er war im Flow der Kreise aufgegangen und nichts war schlimmer, als da herausgerissen zu werden.

KOMMA

Wie sehr hatte ich bis zum Moment π doch das Tanzen gehasst: erbärmliches Gebalze, den Arsch stundenlang hin- und herbewegen, sinnloses oszillieren zwischen zwei Punkten .. Und überhaupt: Wohin mit den Armen und Beinen, dem Hals, diesen lächerlichen Extremitäten?

Und jetzt gibt es nichts, bei dem ich meine Linien besser und gleichmäßiger in den Sand gezogen bekomme: Ich schwinge zwischen 1 und -1, meine Arme und Beine wissen endlich, wohin mit ihnen, sie haben sprechen gelernt. Ich schlängel mich durch die dampfende Masse blicke kreuzen sich, meine Lippen zucken zu einem triumphalen Lächeln. Schweiss, Wellenamplituden in der Luft; das Glühen drückt die Soße aus meinen Poren. 

Und für einen Moment ist die Ghibli-Unordnung in meinem Kopf sauber verräumt, in Kisten verpackt, kondo-style. sparkt hapπness. im flow sein, senden und empfangen ohne linguistisches Rauschen. 

Einmal rannte Archimedes nackt durch die Stadt und rief immer wieder “Eureka! EUREKA, Eureka!” 
Er war für einen kurzen Moment im Reinen mit sich, befriedigt, stolz, schamlos.

Ein Echsenmensch mit linsenförmigen, scharfzüngigen Pupillen streift durch die Nacht. Es klickert auf einer geraden Linie unter dem warmen Licht der Laternen entlang, allerweil heiß. Zwei Jugendliche auf BMX-Rädern fahren vorbei, blicken sich um, um den göttlichen Affront zu sehen, ihn glauben zu können, doch sie können nicht, noch nicht, sie haben noch nicht vom Baum gekostet. Allerweil so verdammt heissssssssssss.

Es biegt ab und wippt beim Gehen leicht, es verändert seine Gestalt, bald Marder, bald Katze, bald Schlange. Die Schuhe klackern schmatzend auf dem Gehsteig; die Augen glühen warm-grün, wie auch sonst. Das Echse hat kein Ziel, es will nur ein bisschen den Wind spüren, auf der Kleidung, auf der Haut, den Schuppen, im Schutz des Mondes. Selbstbewusst, endlich frei, so heiß, das Blut, heißer als erlaubt. die ganze Welt klackert und schmatzt mit dem Echse in diebischer Verzückung durch die Nacht.

Die Antwort kommt von oben: Du wirst immer mein geliebter Sohn bleiben ….  Sohnemann!

… Ist der wert π dann überschritten – und das geht sehr schnell –  dauert es wieder eine ganze wellenlänge lang, bis dieser kurze moment der ruhe einkehrt, dazwischen sind unendlich viele punkte chaos, Ungereimtheit und Hässlichkeit zu überwinden. 

STRICH

Ein glänzendes Auto (oder, im richtigen Licht … ein Schiff ?) bremst neben der Echse ab, schnuppert und ruft ihr etwas zu. Es hat die Witterung aufgenommen. Ob die Echse denn mit wolle, vielleicht Shisha oder Disko, in die Dunkelheit, in die Kälte, nicht auszudenken, wohin sonst noch. Die Echse blockt ab, so gut sie kann, doch das Autoschiff bleibt weder stehen noch fährt es weiter, es ruckelt neben der Echse her und will. 

Kalt, so verdammt kalt. Das Blut gefriert in den Adern, sie kann sich kaum noch bewegen, sie verwandelt sich in eine Nacktschnecke, dann einen Schwanzlurch. 

Verdammt, Echsen sind doch Kaltblüter, der Mond soll gehen, die Sonne soll wiederkommen, die Nacht muss weg da, aus dem Weg. Mach, dass es wieder heiß wird! 

Zur Not, denkt sich die Echse, muss ich meinen Schwanz abwerfen, als Schutzmechanismus, als Ausweg. würde das Auto sich dann nicht mehr aufbäumen und seine öligen, gummibereiften Arme und Beine nach mir ausstrecken? 

Endlich! Das Auto gibt auf und fährt weiter, die Echse ist frei. und die Echse verkriecht sich armlos und beinlos unter ihrer Infrarotlampe. morgen soll es wieder heiß werden.

Ach Übrigens, Mutter, ich wollte dir noch sagen, dass …

Einmal benutzte Archimedes die vernichtende Kraft von Spiegeln und der Sonne, um Schiffe anzuzünden. 

Er hatte einen durchschlagenden Erfolg: Seine Erfindungen waren gut darin, seine Feinde zum Quengeln und Weinen zu bringen.

Der liebe, böse Gott hatte der Schlange die Arme und Beine abgerissen, Begründung: (könnt ihr euch das vorstellen?) Weil halt! (typisch!) Vorher war die Schlange eine ganz normale Echse, doch leider wachsen Echsen nur Schwänze nach, nicht Arme und Beine. Jetzt also Schlange. Aber woher weiss man schon, als was man am nächsten Morgen aufwacht?

Die große Schlange verschlingt jeden Abend die Sonne und scheißt sie am Morgen wieder aus, und trotzdem kommt am Morgen die Freude und am Abend der Ekel. Die Wellenlänge ist 24 Stunden und die Kurve lässt sich bis ins Unendliche genau vorhersagen. immer auf der Kippe zwischen richtig und falsch – zwischen synchron und aus dem Takt, zwischen Sinus und Cosinus.  

Da steht ein ϕ am Sπegel und schaut hinein. Der Sπegel schaut zurück. Drecks-ϕ.

1 Megacringe, das visceral und spürbar die Innereien zusammenzieht. Abneigung des Innen gegenüber dem Außen, Body und Mind haben ein Problem, Datamosh in der Matrix. In zwei Sprachen mit sich sprechen, aber nur eine verstehen. Kein Feedback, disconnect.

Eine Out-of-Body-Experience, als wäre man verschleimt und verkrustet aus dem Nasenloch einer Kuh gepustet worden. Nur eine stoppelige Fliege. 

Der Bart wächst nach, der Weißpunkt verschiebt sich ins kalte – um das Maul, die pleurodonten Zähne, den Kehlsack herunter. Die Konturen verlaufen, hubbeln und beulen sich aus, schuppen, verwischen, die vorsichtig aufgemalte Balance verflüssigt sich, Zitronengesicht, Essigauge, eine Schlangenlinie, eine Kurve,  ein Haar, ein Riss, Schlag, Blitz, Spiegel, Schiffe, FEURIO! Wir wurden von der Sonne angesteckt! Rette sich, wer kann, such deinen Schwanz, um ihn abwerfen zu können! 

Und wo ist der Mond? Du musst noch eine halbe Wellenlänge auf ihn warten, dann wird auch dieser Spiegel wieder ein klitzekleines bisschen kaltes Sonnenlicht auf dich werfen. In der Dämmerung wird ϕ wieder π und wir fangen nochmal von vorne an.

Verzweifelt man selbst sein wollen, verzweifelt nicht man selbst sein wollen, verzweifelt sich nicht bewusst zu sein, ein Selbst zu haben. Die Verzweiflung der Unendlichkeit, die Verzweiflung der Endlichkeit, die Verzweiflung der Möglichkeit sowie die Verzweiflung der Notwendigkeit. Verzweiflung als Default, nur Glaube als Ausweg (natürlich!)

„Das Absurde ist die Verzweiflung ohne Gott.“ Kierkegaard hatte wohl auch ein bisschen Ängst, wie wir alle mit 13 Jahren, oder? 

oder? 

Das geht vorbei. 

Its just a phase, right?

FERTIG IST DAS MONDGESICHT

..,-

blumenleere: are we our destinies?



ob aurora borealis oder borreliose, eine frage des lichteinfalls, dessen schimmer sich auf deiner haut niedersetze, das konzept ihrer membran benetze & bald hindurch dringe, bis zum verarbeitungszentrum hirn, wo alle daten kopulieren & wundersame kinderchen hervorbringen. & damit sollst du dann zu leben haben, irgendwie, im ominoesen spielraum zwischen hypochonder, anhaenger:in sogenannter alternativer heilungsmethoden oder der inzwischen selbst in konventionellen kreisen durchaus hinterfragten bis verpoenten, kaum mittelalten – indes, die wurzeln, die wurzeln … ! – schulmedizin. beziehungsweise spielen wir lieber das psychsosomatische spiel? jedes symptom, mit dem du dich auseinandersetzt, weil es dir nicht gefaellt, sei resultat eines inneren, unverarbeiteten konflikts – feindbild unversoehntes unbewusstes –? & du roedelst dahin, um dich wieder in eine topform zu bringen, die du nie hattest – dreams becoming schemes to try to conceal a past that never was –, & erkennst nicht, wie du schlicht & ergreifend einfach aelter wirst & dein koerper dich, in der konsequenz – yeah, i know it sucks, but that’s life! –, verlaesst, peu à peu. ja, vielleicht schoener, dahingegen, das prinzip salutogenese, ein permanentes oszillieren in einem spektrum, ohne realistische option, je einen seiner absoluten pole zu beruehren –  & fuehlst du dich gesund, bist du es auch, denn sogar, wenn du dich damit komplett verrennen wuerdest, waere, ehe du es bemerken koenntest, dein tod eh vorher schon da; à la hallo!

Harald Kappel: eigenartiges Radio

ich bin ein kreiselndes Geschöpf
am Toten Punkt
jenseits der Jetztzeit
die Uhren beben
und laufen ab
nur für mich
das Transistorradio verkündet
meinen Einschlag auf den Mond
und im Dorf        
haben sie es ja schon immer gewußt
Massen versammeln sich am Horizont
meine verklebten Augen
sehen den Würgereiz ihrer Gesichter
im Stall stopfen sie mir trockenes Heu
ins freche Maul
reglos ertrag ich die Fütterung
nach Vorschrift des Führers
im Graben
ist die Strömung zum Erliegen gekommen
und das Denken
dort liegt die Freiheit im nassen Sarg
ich falle quer hinein
dieser Bruch wird nicht verheilen
ein scharfer Schatten
seziert meinen falschen Mut
das Transsistorradio verkündet
meine Läuterung

Harald Kappel: ihr Ratten

ich habe mein Bett
unter euer Fenster gerückt
gleich morgen
werde ich etwas aus dem Leben machen
mein Wein wird sauer
wann er will
Ratten können gehen
wohin auch immer
nur ich
ich
ich bin gefangen
Durst ist mein Käfig
ich kämpfe hart
habe keine Furcht
nur
vor der Freiheit
aber ich werde
euch Allen verzeihen
euch Alle bezahlen
euch Alle lieben
ihr Ratten
ich werde etwas aus dem Leben machen
ich habe mein Bett
unter eure Freiheit gerückt gleich morgen

Andii Weber: Es braucht nur ein paar Rosen, um einen ganzen Staat zu zersetzen

Napoleon Bonaparte im Spiegelgespräch

Napoleon Bonaparte, Kultmegaloman in kleiner Uniform, sitzt in einer Hollywoodschaukel auf seiner Terasse. Seit seiner Niederlage bei Waterloo hat man ihn nicht mehr so entschleunigt gesehen. Er scheint in Gedanken versunken, in seinem Gesicht zuckt kein Muskel. Nur wenn er einen Schluck aus der halben Kokusnuss mit Strohalm nimmt, die ihn sein Familienminister vor dem Gespräch bereitgestellt hat, verzieht sich seine Miene: Es scheint nicht zu schmecken. Die Stille von St.Helena, einer kleinen Insel im Pazifik, scheint Napoleon geradezu zur Ruhe zu verdammen. Doch innerlich lodert seine Flamme weiter, wie er uns im Interview verrät. Ein Gespräch über Abgeschiedenheit, Gartenarbeit, die Fragilität von Macht und über Punk.

SPIEGEL: Herr Bonaparte, dies sind schwierige Zeiten, Ich habe schon viele Interviews geführt, aber dies ist das erste, bei dem ich eineinhalb Meter abstand halten muss.

Napoleon: Ja, schwierige Zeiten in der Tat, schwierige Zeiten. (blickt verträumt auf die Vulkanspitzen)

SPIEGEL: Aber ich möchte mich trotzdem ganz herzlich bedanken, dass sie sich die Zeit für uns genommen haben.

Napoleon: (lacht scharf und ironisch auf) Ja, bitteschön. Ich habe momentan eigentlich recht viel Zeit …

SPIEGEL: Danke

Napoleon: Ja, bitte.

SPIEGEL: Dankeschön, wirklich. das ist sehr … lieb.

Napoleon: Ja, zum Henker, bitteschön!

SPIEGEL: Danke! Sie sind ja schon einige Jahre hier in der Verbannung auf St. Helena. Was können wir als freie Europäer denn von Ihnen als unfreien Ex-Europäer lernen?

Napoleon: Wenn sie mich so fragen: Nichts.

SPIEGEL: Aber sie müssten doch der absolute Grand Expert in sachen Isolation sein. Wie halten sie es aus so ganz ab vom Weltgeschehen?

Napoleon: Sie sagen das mit so einem Unterton, das gefällt mir gar nicht!

SPIEGEL: Was meinen Sie?

Napoleon: Na das mit dem Grand Expert in Sachen Isolation. Sie wissen schon, das ich immernoch der Grand Impereur bin oder?

SPIEGEL: Ach so?

Napoleon: Natürlich! Zugegeben, mein Reich hat sich etwas verkleinert. Ich herrsche hier mit allem Pipapo und sogar Hofstaat über meinen Garten.

SPIEGEL: Ihren Garten?

Napoleon. Das hat mein Arzt empfohlen: Herr Empereur, hat er gesagt, gehen sie doch mal in den Garten und schneiden sie Rosen und Hibiskusblüten ab; Das hilft gegen die Langeweile und die Gicht. Ja, und das habe ich dann gemacht. Zuerst war das auch ganz fabelhaft: Ich habe diese stacheligen Blumen ganz herrlich gezähmt und mir unterworfen. Doch dieses Drecksgestrüpp ist einfach immer nachgewachsen! Sie müssen wissen, mein Garten ist sehr groß …

SPIEGEL: Lassen Sie mich da mal kritisch einhaken: Wie groß genau?

Napoleon: So groß (Napoleon zieht seine Hand aus seiner Hose und macht eine ausladende Bewegung).

SPIEGEL: Hat es eigentlich einen Grund, dass sie die Hand nicht mehr im Revers tragen, sondern in der Hose?

Napoleon: Hä?

SPIEGEL: Fahren sie fort!

Napoleon: Also die Rosenscheiße wuchs immer wieder nach und so befahl ich meinem Koch, dass er jeden Tag genau einen Daumen dick abschneiden solle von allen Rosen.

SPIEGEL: Ein solider Plan, wie mir scheint …

Napoleon: RUHE! Damit fing der Mist ja gerade erst an! Mein Koch war den ganzen Tag am Rosenschnibbeln. Denn wie ich bereits erwähnte, ist mein garten sooo … egal. Seine eigentlichen Schnibbelpflichten, die in der Küche nämlich, vernachlässigte er also sträflich. Was natürlich unverzeihlich ist.

SPIEGEL: Ja, und dann?

Napoleon. Naja dann habe ich meinen Innenminister zum Kochen geschickt, und meinen Arzt zum Koch in den Garten zum Rosenschnibbeln. Dadurch ist aber zum einen eine Vakanz im Innenministerium entstanden die ich umgehend mit dem Minister für Digitales und Infrastruktur auffüllen musste und meinen zweiten General, eine Schnarchnase vor dem Herrn übrigens, habe ich beordert, meine täglichen Arztvisiten abzuhalten.

SPIEGEL: Interessant …

Napoleon: Ich bin noch nicht fertig! Durch diese Rochaden entstand in meinem (macht ein verächtliches Gesicht) “Parlament” ein Machtvakuum und löste eine kleine Regierungskrise aus. Und jetzt habe ich Rosen mit perfekten Blutwerten und einen 5G-Funkturm in meinem Wohnzimmer und muss mir bei jeder Arztvisite anhören, dass es das beste gegen meine Gicht wäre, wenn ich mir beide Beine amputieren ließe.

Sie sehen an diesem Beispiel, wie fragil Macht ist: Es braucht nur ein paar Rosen, um einen ganzen Staat zu zersetzen. Diese Engländer können ihnen davon ein Liedchen singen.

SPIEGEL: Es scheint mir so, als würde ihnen nicht langweilig werden, trotz der Verbannung in die absolute Abgeschiedenheit.

Napoleon: Was reden sie da? Es ist dermaßen fade. Ich möchte etwas singen!

SPIEGEL: Aber …

Napoleon: I’m so bored with St.Helen
I’m so bored with St.Helen
But what can I do?

SPIEGEL: Sind sie ein Punk, Herr Bonaparte?

Napoleon: Was erlauben sie sich?

SPIEGEL: Entschuldigung, dumme Frage.

Napoleon: Ja.

Spiegel. Verzeihung.

Napoleon. Schon gut.

SPIEGEL: Anders gefragt: Rosenschneiden, Regierungsgeschäfte, Arztvisiten. Bleibt da überhaupt noch Zeit, die Stille von St.Helena zu genießen?

Napoleon. Was ist denn das nun wieder für eine Frage? Was meinen sie, warum ich das alles mache? Meinen sie wohl, ich wäre hier zum Spaß? Ich schlage hier meine letzte Schlacht. Die schlacht gegen die Langeweile, die Stille. Also möchte ich durchaus sagen, dass ich erfolgreich bin, trotz der ganzen Amateure um mich herum. Entourage, entourage! ich kann es nicht mehr hören! Wuseln ständig in meinem schönen Garten herum und bringen alles durcheinander.

SPIEGEL: Wie lebt es sich denn so im Hause Bonaparte im Südatlantik?

Napoleon: Naja, ich habe einen sehr großen Hut und ein sehr kleines Bett. daneben versuche ich meine Memoiren zu schreiben. Und von wegen Abgeschiedenheit! Ganz im Gegenteil: Sie wissen ja gar nicht wie viele Touristen Täglich, stündlich versuchen in mein Anwesen zu gelangen, um mich zu begaffen. Das ist die eigentliche Demütigung: Die Romantisiereung meiner Abgeschiedenheit durch dahergelaufene Taugenichtse, die mir beim verschimmeln zuschauen wollen. PACK!

Und so versuche ich mich noch weiter zurückzuziehen: Ich gehe nur noch aus dem Hause, wenn es gar nicht anders geht. Und eigentlich geht es immer anders. Man braucht halt nur einen funktionierenden Hofstaat, dann kann man auch zu hause bleiben.

SPIEGEL: Viele Menschen, die momentan in Isolation leben, würden dem vielleicht entgegenen, dass sie keinen funktionierenden Hofstaat zu Hause haben. Haben sie den Realitätsbezug verloren, Herr Bonaparte?

Napoleon: Nein.