Felix Benjamin: Filme

In der vierten Klasse dreht sich alles nur noch um den Übertritt aufs Gümminasium. Mama sagt: „Mein Kind geht nicht auf die Hauptschule!“
Was passiert, wenn ich es nicht aufs Gümminasium schaffe?! Bin ich dann nicht mehr ihr Kind?! Das frag ich mich nachts im Bett, lieg deshalb lange wach und komme in der Schule noch schlechter mit.
Mama bringt mich jede Woche zur Frau Göllner. Das ist eine komische Frau, die will, dass ich meine Familienmitglieder als Tiere male und sich dazu Notizen macht.
Ich gehe trotzdem gern zu ihr, weil sie einen Abreißkalender hat, wo jeden Tag ein anderes Filmfoto drauf ist und auf der Rückseite immer eine Inhaltsangabe vom Film steht. 365 Blätter voll Action und Abenteuer. In diesem Kalender darf ich jede Woche schmökern.
Aber vorher muss ich mich immer eine Ewigkeit auf eine Matratze legen und die Augen zumachen. Frau Göllner sagt ständig: „Deine Arme werden schwer, ganz schwer…Deine Beine werden schwer, ganz schwer“ und so weiter.
Niemals, während ich da so liege, wird irgendwas schwer. Nur das Warten darauf, mir wieder den Kalender schnappen zu dürfen, ist schwer.
Ich liege mit geschlossenen Augen rum und male mir all die tollen Filme aus, die in dem Kalender drin sind, und all die noch tolleren Filme, die ich machen will, wenn ich groß bin.
Endlich darf ich die Augen wieder aufmachen, zu Frau Göllners Schreibtisch gehen und mir den Kalender anschauen, bis ich ihn schweren Herzens aus der Hand geben muss, weil Mama mich abholen kommt. Jede Woche das Gleiche.
In der letzten Sitzung schenkt mir Frau Göllner den Kalender. Den kenne ich zwar mittlerweile längst auswendig, nehme ihn mir aber jeden Abend zur Hand, wenn Mama aus meinem Zimmer geht und sagt, dass ich noch Autogenes Training machen soll. Ich wüsste ja jetzt, wie`s geht.
Mein Schlaf ist weiterhin scheiße, aber letztlich schaffe ich es aufs Gümminasium und darf Mamas Kind bleiben.