Horst Schulze Entrum: Wie ich das Ozonloch stopfte

Der folgende Text ist mein allererster Action-Text. Und deswegen wollte ich den eigentlich mit der Synchron-Stimme von Robert De Niro sprechen. Aber das darf ich nicht. Reine Rechtefrage. Der Text heißt:
Wie ich das Ozonloch stopfte
Irgendwo da oben musste ein großes Ozonloch sein. Ich beschloss, es zu stopfen. Doch ich war wohl wieder mal ganz auf mich allein gestellt: Im neuen Y-Heft fand ich so schnell kein passendes Gimmick, und auf meine alten Freunde Chuck Norris und Bruce Willis musste ich verzichten. Denn die sind nur reine Fiktion und werden selber von richtigen Schauspielern gespielt.
Aber zum Glück hatte ich noch ein paar olle Edeka-Tüten, eine Packung abgelaufener BigBen-Kondome und die Perlmutt-besetzte Badehaube meiner Omma. So eine Erdenrettung muss gut vorbereitet werden.
Deshalb besorgte ich mir beim Praktiker auch noch eine Leiter, ein günstiges Set Inbus-Schlüssel und eine Tüte Gummibärchen. Die Leiter benötigte ich zum Besteigen, die Inbus-Schlüssel waren einfach nur günstig – ich würde sie nie im Leben benötigen. Und Köttbullar gibt es halt nur bei Ikea, und die verstopfen bekannter Maßen alles – nur bei Ozonlöchern machen die irgendwie schlapp.
Oben auf der Leiter tackerte ich erst einmal alle Edeka-Tüten zusammen. Das war gar nicht so leicht wie sich das jetzt wieder so anhört, weil bei diesem Billig-Tacker jede zweite Klammer völlig verbogen herauskam. Ich hatte ihn bei einem Preisausschreiben meiner örtlichen Volksbank gewonnen, doch nun war es zu spät, ihn zu reklamieren. Da ist die Volksbank immer ganz hartkackig.
Bei stumpfen Anspitzern sind die völlig kulant. Aber wenn man den Tacker einmal benutzt hatte, gilt für die das Verursacherprinzip. Und auf einen langwierigen Rechtsstreit wollte ich es diesmal nicht drauf ankommen lassen; meine einstweilige Unterlassungs Klage gegen Volksbank-Luftballons, mit denen man keine Furzgeräusche machen kann, zieht sich jetzt schon 16 Jahre hin.
Und hier oben auf der Leiter lief mir einfach die Zeit weg. Sie krümmte sich sogar bereits, weswegen ich Einstein auch nur eine kurze SMS schickte: „Albert, alter Schweizer, die Achse krümmt sich tatsächlich.“
Die Edeka-Tüten hielten prima. Aber in meiner Euphorie muss ich mich einfach vertackert haben. Über Afrika gingen mir plötzlich die Kondome aus.
Ich versuchte es mit Laminat. Bei den Stammzeiten hatte ich damals höllisch aufgepasst: lamino, laminas, laminat. Aber damit die ganze Sache auch dauerhaft hielt, benutzte ich sicherheitshalber das Futur Eins: Laminabo. Und über der Schweiz den Imperativ; Laminate: Ihr schichtet. Warum? Ich weiß es doch auch nicht. Wenn man auf einer Leiter im Weltall steht, macht man sich als allerletztes Gedanken darüber, ob sich das so souverän gerettete Publikum auch mal mit einer faden Pointe zufrieden geben könnte.
Glücklich, wenn auch ein bisschen geschafft, stieg ich schließlich wieder zur Erde hernieder, wo wir Menschen wohnen. Und da sah ich, dass ich versehentlich den gesamten Mond in ein fluoreszierendes BigBen-Kondom einlaminiert hatte: Jedes Mal wenn der alte Knabe abnahm, wurde auch die terrestrische Schutzhülle kleiner.
Doch das beweist wieder mal nur eins: Kondome sind nicht immer sicher. Und der Mond leuchtet nur, weil die Sex-Industrie die grandiose Idee hatte, erigierte Schwänze in attraktive Selbstleuchter zu verwandeln.

Horst Schulze Entrum: Im Alter gibt es für fast jedes Problem ein Hilfsmittel, nur nicht gegen die Einsamkeit

Ich schlafe gerne lang, werde immer vergesslicher und habe öfters schlechte Laune. Also hab ich mir gedacht: Das sind doch gute Ressourcen; warum nutze ich die nicht beruflich?
Und so habe ich eine Stelle als Tester angenommen. Als Tester für Senioren-Bedarf. Und bevor ich den Titel dieses Textes auch wieder vergesse, habe ich ihn einfach nur Alter genannt, aber vollständig heißt er:
Im Alter gibt es für fast jedes Problem ein Hilfsmittel, nur nicht gegen die Einsamkeit.
Ich habe schöne Socken an. Socken, die meine Waden nicht so einschnüren. Dazu Schuhe, in die ich leicht hineinkomme.
Ich probiere meinen neuen Rollator aus. Setze mich auf die Sitzfläche. Der Scheiß-Urin-Beutel bleibt dabei irgendwo hängen. Aber auf meiner Windel sitze ich schön weich. Später werde ich es dort wohl noch etwas weicher haben. Im Alter freut man sich auch über die Kleinigkeiten des Alltags.
Ich öffne mein Mittags-Menü. Der junge Mann vom Lieferdienst war schon heute Morgen da. Aha. Hühner-Risotto. Gestern gab es Rindfleisch-Risotto, morgen wird es wohl wieder Grünkohl geben. Lecker. Mit Mettwurst. Die Pelle werde ich wohl liegenlassen müssen. Und die Scheiß-Senfkörner werden sich unter meiner Prothese festsetzen, wo ich sie dann nur mit Mühe herausbekomme. Ich werde laut Schleim hochhusten und die Körner in die Spüle spucken. Zwei-drei Körner werden an meinem Hemdkragen hängen bleiben, weil ich nicht mehr soweit spucken kann. Ich habe einen alten Lappen, mit dem ich den Auswurf dann auf meinem Hemd verreiben werde.
Ich esse schnell mein Hühner-Risotto. Schnell heißt, dass ich das Risotto in meinem Mund aufwärmen muss, denn es kühlt so schnell ab. Die Alufolie auf der Packung dient wohl nur der SeniorenBelustigung. Fünf Minuten brauche ich dafür, bis das Luder endlich offen ist. Das werde ich in meinem Protokoll vermerken.
Siedend heiß fällt mir ein, dass meine Freundin heute ihre neuen Arbeitskolleginnen zum Essen eingeladen hat. Ich muss dafür noch einkaufen, und die Zeit ist knapp. Wo ist der verdammte Einkaufskorb. Ich soll keine Taschen nehmen, denn sonst platzen die Tomaten, der Basilikum wird zerdrückt und die Rauke-Blätter, die ich einzeln auswählen soll, leiden.
Der Rollator hat einen Korb und passt schön zu meiner Grützefarbenen Hose, dem Speichelgrünen Hemd und dem Fensterkitt-gelben Blazer. Ich nehme den Rollator.
Ich knie mich auf das Sitzbrett, löse die Bremsen und rase den Berg zum Karstadt hinunter. Den Urinbeutel halte ich vor mich. Als Air-Bag wird er wohl das Schlimmste verhindern. Mit quietschenden Bremsen komme ich vor Karstadt zum Stehen. Zum ersten Mal sehe ich die Bremsspuren eines Rollators. Aus dem Karstadt höre ich schon die Aufforderung, das Geschäft zu verlassen. Erzähl das mal einem Windelträger.
Mit dem Rollator hakel ich mich durch die doppelten Schwingtüren. Keine dieser verzogenen Scheiß-Gören hält mir auch nur eine einzige Tür auf. Dafür kneife ich sie in den Pöter. Keine würde einen alten Mann zur Rechenschaft ziehen, der sich nur noch so gerade eben über seinen Rollator buckeln kann.
Der Urinbeutel bleibt beinahe in der Griffleiste der Rolltreppe hängen. Kostbare Sekunden vergeude ich damit, glaubwürdig geistesabwesend so vor der Rolltreppe stehen zu bleiben, dass die anderen Kunden nur mit Mühe an mir vorbeihasten können. Bei dem Versuch, wieder so einer jungen Schlampe an den Arsch zu langen, erwisch ich nur eine ältere Dame. Auch Sex im Alter kann schmutzig sein.
Seufzend mustern mich die Verkäuferinnen, als ich stocktaub ihre Hinweise – „Wir schließen gleich!“ – ignoriere. Geriatrisch schlenze ich Strauchtomaten in meinen Korb vorne am Rollator. Mit meiner Greifzange fische ich den Mozzarella unten aus dem Kühlregal. Spitzen-Ding, so eine Greifzange. Meine Scheißwindel hat sich gelöst und rutscht in der Hose langsam herunter. Werde in mein Protokoll aufnehmen, dass die neuen Klettverschlüsse nicht nur tierisch scheuern, sondern auch unglaublich schnell aufgehen. Habe meinen Urinbeutel verloren. Finde ihn unten im Kühlregal bei den Mozzarellas. Werde auch vermerken, dass man sich mit diesen Billig-Dingern schnell die Blase verkühlen kann.
Leutselig stellt sich mir der Abteilungsleiter in den Weg. Ich mache auf kurzsichtig und ratter ihm voll über die Zehen. Als er wieder Luft kriegt, schafft er es immer noch zu lächeln. Und bevor er mich hinauskomplimentieren kann, drücke ich ihm die Einkaufsliste in die Hand und lasse mich mit einem vernehmlichen „Uff“ auf die Sitzfläche fallen. Zum Glück war der Urinbeutel nicht so voll, den ich dort abgelegt hatte. Werde den Hersteller darauf hinweisen, dass Männer mit Windeln eigentlich nicht auch noch einen Urinbeutel benötigen. Es sei denn, sie legten Wert auf gespritzte Tomaten.
Entsorge den geplatzten Urinbeutel in der Biotonne am Gemüseregal und die stark tropfenden Strauch-Tomaten ebenfalls. Als der Verkaufsleiter gestresst mit vollem Korb zurückkommt, beschwere ich mich lauter als nötig über den teuren Büffel-Mozzarella, dessen Verpackung so schnell reißt. Kläre ihn lauthals darüber auf, dass ich meine nunmehr nassen Kompressionsstrümpfe nicht ohne Hilfe wechseln könne. Schicke ihn nach dem teuren Barolo. Brülle hinterher, er soll den Cremant nicht vergessen.
Muss den ganzen Berg wieder hoch. Habe jetzt Blasen von den Rollatorgriffen an den Händen. Aber der Korb ist spitze. Alle Tomaten sind noch heil und der Basilikum steht vorne wie eine Eins. Bin stolz auf mich. Zeitlich liege ich noch gut, muss mich nur noch schnell umziehen. Beschließe, erst einmal die hors d´heuvre zuzubereiten. Die finden alle immer ganz lecker und lieben den Wortwitz von wegen Horst d´heuvre.
Ich blanchiere die Tomaten und frage mich, warum meine Freundin trotzdem immer darauf besteht, dass die Tomaten heile ankommen sollen. Richte schon mal Wasser für die Nudeln her. Im Timing bin ich bei den Nudeln immer Spitze. Es klingelt. Ich öffne. Meine Freundin mag es zwar nicht, wenn ich immer noch Rentnerklamotten anhabe, wenn sie nach Hause kommt, aber was willste machen, will ich sagen, kann mich ja gleich noch schnell umziehen. Habe leider nur vergessen, dass sie sofort mit ihren neuen Kolleginnen von der Arbeit nach Hause kommen wollte. Aber das ist ja das Schöne an Demenz; wenn man dann ein Déjà-Vu hat, hebt sich das auf.
Die Kolleginnen schauen betreten weg. Der Mozzarella-Fleck auf meiner grützefarbenen Hose bildet einen schönen Kontrast zu meinem speichelgrünen Hemd mit dem senffarbenen Auswurf.
Das Nudelwasser kocht, meine Freundin auch. Werde meine Nudeln demnächst wohl wieder alleine essen müssen.
Im Alter gibt es für fast jedes Problem ein Hilfsmittel. Nur nicht gegen die Einsamkeit. Auch das werde ich in meinem Protokoll vermerken.